Einleitung
Die in vorliegendem Bande veröffentlichten Stücke kurdischer Epik, sowie die Prosaerzählungen und die volkstümlichen Verschen sind von mir in den Monaten Juni, Juli und August 1903 in Soujbulaq, der Hauptstadt der Provinz Mukri-Kurdistän, gesammelt worden. Über die geographischen Verhältnisse der kleinen Provinz, deren Verwaltung jetzt meist durch einen vom Gouvernement der Provinz Azärbâîjân aus Täbriz gesendeten Gouverneur ausgeübt wird, findet man das Nötige zusammengestellt in de Morgans Mission scientifique en Perse, Vol. II, pag. I ff.)
Eine ältere, die verwickelten Stammesverhältnisse des Landstriches in hervorragend lichtvoller Weise behandelnde Darstellung rührt von H. C. Rawlinson her.) Rawlinson hat auch einige Angaben der bekannten Kurdenchronik des Shäräf-eddîn in seiner Darstellung verwertet; der 1860 publizierte Text dieses Werkes liefert uns eine weitere Reihe von geschichtlichen Daten über den Kurdenstamm der Mukri, welcher jetzt den größten Teil des Gebietes südlich und südwestlich vom Urmia-See in Besitz hält. Shäräf-eddin (Text, Bd. I, pag. 288) führt eine Tradition über die Herkunft der Mukrifürsten an, laut welcher diese Kurden eine Unterabteilung der Bäbäh, des in und um Sulaimäniyä auf türkischem Gebiete heimischen Kurdenstammes seien und in dem Distrikte Shähnzor ihre ursprünglichen Wohnsitze gehabt hätten. Das ist um so wahrscheinHcher, als die Mundart der Mukri und die der Bäbäh tatsächlich ein und dieselbe ist, wie im folgenden gezeigt werden wird. Zudem knüpfen noch heute die vornehmen Familien in Soujbulaq ihre Familientraditionen an die Bäbäh. Ferner zeigen die Angaben Rawlinsons über die eigentümhchen Grundbesitzverhältnisse unter den Mukri, die ich als auch heute noch geltend bestätigen kann, aufs deutlichste, daß wir in der herrschenden FamiHe, den Bäbä Amiriyä, die siegreichen Eindringlinge zu sehen haben, die durch Schwertesmacht sich die Landbevölkerung unterjocht und Grund und Boden unter sich geteilt haben. Die Kurdenchronik sagt, daß die Eroberer aus der Gegend von Sulaimäniyä gekommen seien und da die Zeit der Eroberung, die Regierung Ismails I. Säfäwi, nicht gar so weit von der des Shäräfeddin entfernt ist, haben wir keinen Grund, der Angabe zu mißtrauen.
Daß die unterjochten Stämme ebenfalls Kurden waren, scheint daraus hervorzugehen, daß sich trotz des kurzen Zeitraumes von kaum 400 Jahren, der uns von jener Eroberung des Landes trennt, keinerlei Reste türkischer Bevölkerung und türkischen Idiomes nur solche könnten in Frage kommen innerhalb des Mukrigebietes mehr finden. Die ackerbauenden Klassen, die ra'tyät, nennen sich größtenteils zum Stamme der Debokri gehörig und man darf wohl vermuten, daß diese Debokri, welche in größerer Masse die östHchen Teile des Mukrilandes, den Distrikt Shär-werän, und die nach Miän-dü-äb hin gelegenen Täler des Tatäü und Jagatü bewohnen, die Reste der einstigen Bevölkerung darstellen, die von den Stammes- und sprachverwandten Mukri aus dem Besitze verdrängt worden ist.
Die östliche Grenze des Mukrisprachgebietes haben wir damit festgelegt: was östlich vom Tale des Jagatü gelegen ist, gehört den türkischen Idiomen, die auch noch beträchtliche Teile der Ebene von Miän-dü-äb beherrschen. Nach Süden zu gehören, soweit das persische Gebiet in Betracht kommt, noch die Distrikte von Bänä und Saqqiz zum Mukridialekte; kaum einige Stunden südlich von diesen beiden Städtchen beginnt in der Landschaft Märiwän, nach der türkischen Grenze zu gelegen, und bei dem Stamme der Tiläküi im Distrikte Hobatü, östhch davon, das Gebiet des eigentlichen Kurdistäni, der Mundart von Sinnä... |