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Wie teuer ist die Freiheit?


Auteur :
Éditeur : ISP Date & Lieu : 1994, Köln
Préface : Pages : 232
Traduction : ISBN : 3-929008-56-4
Langue : AllemandFormat : 110x180 mm
Code FIKP : Liv. All. Sch. wie. 4764Thème : Général

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Wie teuer ist die Freiheit?

Wie teuer ist die Freiheit?

Lissy Schmidt (Milena Ergen)

ISP


Die Vorgeschichte des Aufstands - Die Haltung der kurdischen Bewegung während Krieg und Krise.

"Der Überfall öffnet ausländischen Interventionen Tur und Tor, für deren furchtbare Konsequenzen für das Land und die anderen Staaten der Region allein der Irak verantwortlich ist."

Dieser Satz stammt aus einer Erklärung der "Kurdistan-Front Irak" vom 3. August 1990, die gleichzeitig auch ihre bewaffneten Angriffe gegen die irakische Regierung einstellte und sich in ihren Lagern jenseits der irakisch-iranischen Grenze zusammenzog.
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Die Journalistin Lissy Schmidt (Milena Ergen), Jg. 1959, wurde am 3. April 1994 in Irakisch-Kurdistan ermordet, wo sie seit 1991 lebte. Sie arbeitete als Korrespondentin für verschiedene deutsche Tageszeitungen, u.a. die Frankfurter Rundschau und den Berliner Tagesspiegel, und berichtete für verschiedene Rundfunk- und Fernsehanstalten aus den kurdischen Gebieten. Sie war "feste freie" Mitarbeiterin der französischen Nachrichtenagentur afp.

 

 


EINLEITUNG

Stehe, stehe,
denn wir haben deiner Gaben wohlgemessen
Ach, ich merk es, wehe wehe, hab’ ich doch das Wort vergessen...


Nicht selten ist nach dem irakischen Einmarsch in Kuwait dieser Abschnitt aus Goethes "Zauberlehrling" zitiert worden, um die Unübersichtlichkeit zu beschreiben, in die Saddam Hussein eine Welt stürzte, die sich doch gerade anschickte, statt Blockkonfrontation auf Frieden und Menschenrechte zu setzen... "Das Wort" ist der westlichen Welt unter Führung des Zaubermeisters Bush dann jedoch so schnell wieder eingefallen, daß sich so mancher Zweifel regen muß, ob es denn wirklich je vergessen war.

Es hatte wohl keinen Staat unserer sogenannten westlichen Welt gegeben, der den irakischen Herrscher Saddam Hussein in den vergangenen zehn Jahren nicht mit Waffen, Technologie und Know-How versehen hätte. Beruhigt konnten diese Staaten dann im Februar 1991 feststellen, daß trotz dieser Waffenlieferungen keine Diktatur so leicht in die Lage versetzt wird, die Lieferanten zu besiegen. Dennoch sind seitdem die Unkenrufe noch lauter geworden, die Bedrohung des Norden komme nun aus dem Süden. Was immer der konkrete Anlaß des irakischen Einmarsches in Kuwait gewesen sein mag - letztendlich diente er dazu, den internationalen Führungsanspruch der USA in der Phase der "Post-Perestroika" zu manifestieren. Diskussionen um die Durchführbarkeit einer "pax americana" in der Region hat es seitdem viele gegeben. Im Golfkrieg war deutlich geworden, daß die ehemalige UdSSR zumindest vorerst in keinerlei Konkurrenz zu einer von den USA in Kooperation/Konkurrenz mit den westeuropäischen Staaten und Japan bestimmten Hegemonie treten wollte oder konnte. Ob die USA allein oder nur mit europäischer Kooperation in der Lage sein werden, die Mittelostregion zu kontrollieren, hat sich noch nicht deutlich herausgestellt. Pläne eines prowestlichen arabischen Zusammenschlusses wurden erwähnt, um dann deren vorläufiges Scheitern festzustellen. Arabische Wirtschafts- und Verteidigungszusammenschlüsse sind heute nicht konkreter als direkt nach Ende des Golfkrieges; stattdessen haben eine Reihe von arabischen Staaten bilaterale Verteidigungsbündnisse mit westlichen Staaten abgeschlossen.

In jedem Fall haben nationale Grenzen in der sogenannten Dritten Welt ihre Bedeutung als "Landmarken der Blockkonfrontation" verloren. Der Freiraum der wesdichen Staaten in der Wahl ihrer Optionen bei der Einflußnahme auf die Region ist, wie überall auf der Welt, erheblich größer geworden. Neben direkter Unterstützung bestimmter strategisch wichtiger Staaten, eröffneten sich Möglichkeiten, „unwichtige“ Staaten einfach völlig aus dem Programm zu streichen.
Diese Möglichkeit hatte es vor der Perestroika nicht gegeben, da immer die Gefahr bestand, dieses Vakuum könnte - zumindest militärstrategisch - von der UdSSR genutzt werden.

Diese mehr oder weniger neue Situation ist natürlich von Entwicklungstheoretikerinnen und Internationalistlnnen bereits aufgegriffen worden, oft jedoch nur, um festzustellen, daß "nichts mehr so ist wie zuvor". Das Spektrum der entwicklungspolitischen Diskussion über "neue internationalistische Ansätze" reicht von einem Treuhänderschaftsmodell, das seinen Paternalismus gar nicht mehr verbergen will (Menzel)1 bis hin zur Prognose, die "hereinbrechenden Ränder werden den alten und neuen Zentren auf den Kopf fallen" (Hirschier).2

Die Diskussionen verlaufen allerdings, vor allen in Kreisen, die ich unter "linke" subsummieren möchte, eher resig-nativ. Die Tatsache, daß der "Imperialismus sich durchgesetzt hat", ist schwer auszuhalten, vor allem für "uns", die wir jahrelang begeistert "raus aus..." und ähnliche Parolen ge-schrien haben. Nach dem Ende des zweiten Golfkrieges hat sich diese Resignation noch verstärkt, nicht nur das "raus aus" wird zunehmend schwieriger, auch mit dem "Es lebe..." ist es nicht mehr so einfach. Gerade im Mittleren Osten sehen sich gestandene Internationalistlnnen einer "verkehrten Welt" gegenüber. Da sind es auf einmal die verhaßten USA, die das verhaßte Israel von seiner harten Linie abzubringen versuchen, im palästinensischen Lager leistet die fundamentalistische Hamas den kompromißlosesten Widerstand gegen eine imperialistische Befriedung, und an sich ist die Mullah-Fraktion Teherans, mit der keiner von uns zu tun haben will, der entschiedenste USA-Gegner der Region. Im befreiten Irakisch-Kurdistan ruft "das Volk": "Yes, yes, Bush"...

Bitter für uns - vor allem aber für die, die schon seit Jahren in eben dieser Region für die Selbstbestimmung ihrer Volker und mehr gesellschaftliche Gerechtigkeit kämpften, bislang gegen die Interessen der Imperialisten! Was wir in Diskussionen nicht aushalten wollen oder auch einfach resigniert abtun, ist die Realität dieser Menschen, die oftmals ihre politischen Forderungen nicht aufgegeben haben, aber gezwungen sind, sich in einer völlig veränderten Realität zu behaupten - die dann nicht einfach als "zu frustig" in die Ecke gestellt werden kann.

Die Entwicklung in Irakisch-Kurdistan ist eines der offensichtlichsten Beispiele für eine solche Situation: Mit den Volksaufständen der Kurden und Schiiten nach dem Krieg und vor allem der alliierten Einrichtung einer kurdischen Schutzzone wurde das Interesse der Weltöffentlichkeit wie der Internationalistlnnen auf Kurdistan gerichtet. "Sympathie" (wörtlich: "Mitleiden") für die leidende Bevölkerung wurde jedoch sehr bald wieder durch Unverständnis und Ablehnung der politischen Manöver der kurdischen Führung abgelöst; der Bruderkuß mit Saddam Hussein stieß genauso auf Unverständnis wie Verhandlungen mit der Türkei, die ihrerseits einen Krieg gegen die „eigenen" Kurden führt.

Auch die Einrichtung der Schutzzone ließ die kurdische Führung hier als Verbündete oder Marionette des Westens erscheinen.

All diese Fragen und Zweifel stehen auch heute noch auf der Tagesordnung. Die kurdische Region ist seit zwei Jahren selbstverwaltet und wird bis heute in der internationalen Diskussion - in der internationalistischen wie in den internationalen Gremien - als eher ambivalentes Gebilde gehandelt. Trotz aller Werbeversuche kann sich der Westen nicht dazu entschließen, die ehemalige kurdische Befreiungsbewegung und jetzige Regierung als verläßlichen Partner anzusehen, "von links" werden ihr die politischen Manöver mit Nachbarn und westlichen Nationen übelgenommen.

Dabei stellte und stellt uns die Situation in Kurdistan vor eine der wichtigsten Fragen bei der Diskussion über die Neustrukturierung internationaler Beziehungen: Auf welche materiellen Grundlagen kann sich eine "Befreiungsbewegung" heute bei der Verwaltung ihres Territoriums stützen? Welche außenpolitischen Spielräume werden ihr gesteckt, und wie bedingen diese wiederum innenpolitische Entwicklungen? Und - noch einmal außenpolitisch - auf welche internationalen Kräfte kann sich eine solche politische Struktur berufen?

Antworten auf diese Fragen werden in der Regel nicht gegeben, auch in diesem Buch werden sich keine finden. Ziel der vorliegenden Veröffentlichung soll sein, erst einmal Material zu dieser Diskussion zu liefern und der Antwort einen Schritt näher zu kommen.

In bezug auf Kurdistan hat es noch längst - so meine heutige Einschätzung - keine klaren Entscheidungen gegeben.
Solange die Zukunft des gesamten Iraks nicht international entschieden war, wurden auch für Kurdistan alle Optionen offen gelassen. Heute sind einige davon, z.B. ein unabhängiges Kurdistan, gestrichen. Was genau mit der kurdischen Region passieren wird, hängt jedoch weiterhin von den Plänen für den gesamten Irak ab. Fest steht nur, daß der - als eines der größten Ölförderländer der Welt - nicht "zu vernachlässigen" ist.

Die Darstellung der kurdischen Bedingungen soll aber nicht als Analyse, also in aufgearbeiteter Form präsentiert werden. Ich habe mich als Reporterin über weite Strecken dieser zwei Jahre der Selbstverwaltung in Kurdistan aufgehalten, und was nun vorliegt, ist vielmehr eine Sammlung von Reportagen und Interviews, eher chronologisch als nach Themen geordnet, heute, zum Teil über ein Jahr "danach" nur sehr wenig überarbeitet. Beabsichtigt ist damit, den Leserinnen die Konfrontation mit kurdischen Standpunkten zur jeweiligen Phase der Entwicklung zu ermöglichen. Die Gegenfrage, die mir als "linker" Interviewerin bei kritischen Nachfragen über das kurdische Verhältnis zu den westlichen Industrienationen immer wieder gestellt wurde, möchte ich an die Leserinnen weitergeben: "Sag uns doch, wie wir sonst überleben sollen?"

Ich habe versucht, die Entwicklung in der selbstverwalteten kurdischen Region so wenig wie möglich zu glorifizieren oder zu denunzieren. Die Schlußfolgerung aus den gewonnenen Eindrücken bleibt offen, und ich muß gestehen, daß ich selber noch nicht zu einer "Beurteilung" gekommen bin. Fest steht, daß die kurdische Erfahrung integraler Bestandteil einer internationalistischen Debatte sein muß, daß Diskussionen und Theoriebildung hier bei uns nicht an einer Realität wie der kurdischen vorbei geführt werden können. In diesem Zusammenhang werden Intcrviewerin und Leserinnen in der Ambivalenz der kurdischen Entwicklung auch ein gutes Stück eigene Ohnmacht aushalten müssen... Hoffentlich wird sie als Herausforderung aufgefaßt, die Diskussion über die vorliegende Schilderung hinaus weiterzuführen.

Lissy Schmidt, September 1993

1 Menzel in der Frankfurter Rundschau vom 3. 6. 1991.
2 Guido Hirschier, „Abschied von der Entwicklung? Überlegungen zur Weltgesellschaft, zum transnationalen Kapitalismus und zum Entropiekapitalismus“, in: Widerspruch, Zürich, Heft 22, Dezember 1991.



1. "Das ist nicht unser Konflikt..."

Die Vorgeschichte des Aufstands - Die Haltung der kurdischen Bewegung während Krieg und Krise.
"Der Überfall öffnet ausländischen Interventionen Tur und Tor, für deren furchtbare Konsequenzen für das Land und die anderen Staaten der Region allein der Irak verantwortlich ist."

Dieser Satz stammt aus einer Erklärung der "Kurdistan-Front Irak" vom 3. August 1990, die gleichzeitig auch ihre bewaffneten Angriffe gegen die irakische Regierung einstellte und sich in ihren Lagern jenseits der irakisch-iranischen Grenze zusammenzog.

Alle Parteien der Kurdistan-Front unterhielten zur Zeit der irakischen Invasion Kuwaits vor allem Stellungen im Iran und nur kleinere Stützpunkte für ihre Guerillakämpfer in den Bergen des irakisch-iranisch und irakisch-türkischen Grenzlandes. Seit den massiven Giftgasangriffen unmittelbar nach Ende des Krieges zwischen Iran und Irak 1988 hatte es nur kleine, vereinzelte militärische Aktionen der Front gegeben. Befreite Gebiete, die sie bis 1988 kontrolliert hatte, waren wieder unter irakische Kontrolle genommen worden.

Ihre Haltung, den irakischen Einmarsch zu verurteilen, sich aber nicht direkt in den Gang der Ereignisse einzumischen, hielt die Front auch nach den beiden UNO-Resolu-tionen 660 - Forderung des Rückzugs irakischer Truppen am 2,8. - und 661 - Verhängung des Wirtschaftsembargos am 6.8. - und nach der Stationierung amerikanischer Truppen in Saudi-Arabien am 8.8.1990 durch.

Währenddessen schloß sich die Türkei als einer der ersten NATO-Staaten dem Embargo an und begann sich schon zu Beginn der Krise als einer treuesten Vasallen der Vereinigten Staaten zu profilieren. Das weckte Erinnerungen an den Iranirak-Krieg, in dem jede Seite von „den Kurden der anderen“ profitiert hatte. Auch die Kurden im Irak und der Türkei führen seit Jahrzehnten einen erbitterten Kampf gegen ihre ...

 




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