1. SERTSCHAO KURDISTAN Freitag, 14. Dezember 1979: Spätherbstlich versmogt bot sich Teheran schon am Flughafen Mehrabad dar, sofern ich das in meiner Gemütslage zwischen Schwips und Kater noch richtig aufzunehmen fähig war. Es war sieben Uhr früh und der achtstündige Herflug, unterbrochen von einer Stunde Schlaf, hatte aus einer nicht enden wollenden Alkoholschwemme der westlichen und einiger iranischen Passagiere bestanden. Adieu dekadenter Westen! Einen Bocksbeutel hatte ich sogar in der Reisetasche verstaut mit dem kribbeligen Gefühl des Unbotmäßigen. Durch die Kontrolle brachte ich ihn, weil ich auf die Frage der bekopftuchten Jung-Schiitin »No alkohol?« derart angewidert das Gesicht werzog, daß sich eine Durchsuchung wohl erübrigte.
Die erste Paßkontrolle erfolgte durch Chomeinis »Wächter der Revolution«, die Pasdar. Täuschte ich mich oder hielt der Mann tatsächlich meinen Paß verkehrt herum? Wohlerzogen schaute ich weg. Chomeini-Milizen können Nicht-Moslems gegenüber äußerst unberechenbar sein. Mein Blick fiel auf einen unscheinbaren Anschlag, in dem es hieß, daß sich ausländische Journalisten sofort bei einer Informationsbehörde zu melden und drei Tage vor Verlassen des Landes ihren Paß abzugeben hätten. Journalisten schätzt man in der Islamischen Republik nicht besonders. Im Mai 1979 hatte Chomeini Politiker, Journalisten und Schriftsteller, die weder Gott noch den Islam erwähnen, »Handlanger des Teufels« genannt. Im September wurde er konkreter: Wer gegen die islamische Nation schreibt oder revoltiert, sei wie ein »Tumor, der entfernt werden müsse«. Einen Monat später wurde eine neue Bestimmung ins Leben gerufen: Journalisten, die über den Iran berichten wollten, müßten bereits in der Iranischen Botschaft ihres Heimatlandes um Arbeitserlaubnis nachsuchen und brauchten ein Sondervisum bei jeder Einreise. Beides hatte ich natürlich nicht.
Vor drei Wochen hatte die Einschüchterungstaktik aus Teheran ihren Gipfel erreicht: Journalisten ohne amtliche Akkreditierung werden als Spione behandelt und ertappte Spione sind zu erschießen. Ausländskorrespondenten haben einen »Wahrheitsschwur« abzulegen, in dem es heißt: »Ich schwöre bei Gott dem Allmächtigen und bei meiner persönlichen Redlichkeit . . . nur die Wahrheit zu schreiben und keinerlei Falschmeldungen zu publizieren, die feindliche Gefühle gegenüber der iranischen Revolution in der Welt wachrufen oder die Völker gegeneinander aufwiegeln können.« Journalisten sind für ihre Berichterstattung strafrechtlich verantwortlich zu machen.
Schon vor sechs Monaten hatte mich der damalige stellvertretende Ministerpräsident und Regierungssprecher Sadegh Tabatabai (wie der Femsehgewaltige und spätere Außenminister Ghotbzadeh. aber auch manch anderer mächtige Mann seit der Revolution, ebenfalls aus der Chomeinifamilie) mit leicht drohendem Unterton beschworen, ja »objektiv«, also im Sinne der Machthaber zu berichten. Immerhin hatte Abdulhassan Bani Sadr, vor einem halben Jahr noch Herausgeber der Zeitschrift »Islamische Revolution « und Ideologe ohne Portefeuille, mir in einem Interview angekündigt, darauf hinzuarbeiten, daß die Vetternwirtschaft der Religiösen endlich beendet würde; inzwischen sollte ich aber über die gegenwärtige Phase des Übergangs von der Diktatur zur Demokratie mit Wohlwollen berichten.
Mein Wohlwollen hatte auch eine geraume Zeit angehalten, bis es sich verlagerte - auf die Gegenseite, auf die Seite der »Aufrührer«, der »Rebellen«, der »Söhne des Teufels«, wie der große Ayatollah die Kurden zu bezeichnen pflegte, bevor er von ihnen zu Verhandlungen gezwungen wurde. Der im September so leichtfertig verkündete Sieg hatte sich inzwischen in eine satte Niederlage für die Zentralregierung verwandelt. Aus den von Chomeini zuerst verfluchten Kurdenführern, dem Generalsekretär der »Demokratischen Partei Kurdistans Iran« (DPK), Abdul Rahman Ghassemlu, und Scheikh Esodin Husseini, dem »geistigen Führer«, einem undogmatischen sunnitischen Mullah, waren inzwischen »unsere lieben Brüder« (Chomeini) geworden, mit denen man sich an einen Tisch setzte. Hatte sich doch, trotz wiederholter Aufforderungen aus Ghom mit süßen (angeboten wurden Amnestie und eine Tageseinnahme der Erdölproduktion = 145 Millionen Mark) und mit bitteren (angedroht wurde härteste Bestrafung) Worten keine Kurdenhand bereit gefunden, die beiden Führer auszuliefern, damit sie vor eines der flink arbeitenden Revolutionstribunale gestellt werden konnten. Dafür hatte der fälschlich mit »Ayatollah« titulierte Sonderhenker Chomeinis für Kurdistan, Khal- kali (offiziell Chefankläger der Revolutionsgerichte) seine Blutgier bereits an 111 hingerichteten Kurden gestillt.
Nach Kurdistan wollte ich also, genauer gesagt, zunächst nach Mahabad, dem früheren »Sautsch Bulak« (d.h. »Quelle«), der Stadt des Stammes der Mukri-Kurden, einem 50 000-Seelen-Ort 900 Kilometer westlich von Teheran. Mahabad war vor 33 Jahren die Hauptstadt des einzigen kurdischen Staates, den es in neuerer Zeit gegeben hatte, der »Republik von Mahabad«. Als »Touristin« wollte ich dahin, unerkannt, unbefragt und so schnell wie möglich. Wobei mich allerdings der Gedanke nicht gerade begeisterte, daß eine Kollegin von einer Berliner Tageszeitung seit Wochen in einem … |