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Saddams tödliche, diplomaten in Berlin


Auteurs : |
Éditeur : Evra Date & Lieu : 2005, Berlin
Préface : Pages : 198
Traduction : ISBN : 3-937716-21-1
Langue : AllemandFormat : 140x200 mm
Code FIKP : Liv. Ger. Bök. Sad. N° 1389Thème : Politique

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Saddams tödliche, diplomaten in Berlin

Saddams tödliche, diplomaten in Berlin

Marion Böker
Giyasettin Sayan

Evra

Ende Juli 1980 spielt sich ein wahrer Polit-Krimi in Berlin ab. Saddam Husseins Geheimdienst plante ein Attentat auf einen oppositionellen kurdischen Studentenkongress in Berlin. Damit sollen 120 Personen der kurdischen politischen Führung und deren Nachwuchs kaltblütig vernichtet werden.
Die Attentäter kommen mit Diplomatenpass aus der Ost-Berliner Botschaft. Sie pendeln tagelang unbehelligt zwischen Ost- und West-Berlin. Ein Spitzel aus den Reihen der kurdischen Studentenvereinigung soll einen Koffer mit 500 Gramm PETN-Sprengstoff im Jugendgästehaus Wedding absetzten.

Etwa 700 Menschen, darunter die Kongressteilnehmer/innen, ein paar hundert Jugendliche beim Berlin-Ausflug, Angestellte und die
Nachbarschaft im Wedding sind in Gefahr.
Der Spitzel bekommt kalte Füße. Er warnt die politische Leitung der kurdischen Studenten und der PUK. Der Staatsschutz wird eingeweiht. Das Attentat vom 1. August 1980 wird in letzter Sekunde verhindert und die Täter in Untersuchungshaft in Berlin-Moabit gebracht.
Ein Verfahren wird eröffnet. Es hätte tiefe Einblicke in den Staatsterrorismus Saddam Husseins gewährt.

Das aber war politisch nicht erwünscht. Die Bundesregierung intervenierte erfolgreich. Vor allem die FDP-Außenpolitiker wollten die Geschäfte mit dem irakischen Diktator fördern. Darunter Geschäfte mit verbotenem Giftgas, das Saddam Hussein später zur Massentötung der kurdischen Bevölkerung unter anderem 1988 in Halabja einsetzte.
Die Täter werden abgeschoben. Der Politik und Justiz gelang es nicht, wie im späteren Fall des Mykonos-Prozesses 1992-1997, das Recht durchzusetzen.

Heute könnte der Fall juristisch wieder aufgenommen werden: Die Täter, Beteiligte an der systematischen Vernichtung der Kurden durch Saddam Hussein dürfen nicht straflos bleiben. Das internationale Völkerrecht ist weiterentwickelt und der Irak hat eine Regierung, die die Aufarbeitung der Geschichte betreibt. Aber auch die deutsche Beteiligung an den tödlichen Geschäften mit dem irakischen Diktator muss endlich auf den Tisch kommen: „Kein Unrecht geht verloren, aber Recht geht verloren, wenn Unrecht nicht verarbeitet wird."
Kamal Fuad, Überlebender des Attentats vom 1. August 1980, bis April 2005 Parlamentspräsident des Regionalparl'aments in Suleymania (Kurdistan), politischer Geschäftsführer der Patriotischen Union Kurdistans (PUK), Irak.



VORWORT

Im August 1980 hatte der Kurde Giyasettin Sayan gerade ein zweites Studium aufgenommen. Nachdem er an der Berliner Fachhochschule für Wirtschaft den akademischen Grad eines Diplombetriebswirts erworben hatte, studierte er ab 1980 an der Freien Universität Berlin weiter und erwarb 1984 sein zweites Diplom als Politikwissenschaftler.

Giyasettin Sayan war wie einige andere, heute in Südkurdistan und im Irak politisch maßgeblich in Verantwortung stehender kurdischer Politiker, als Student einer der Aktivisten des 21. Kongresses der AKSA, einer Vereinigung kurdischer Studierender im Ausland, die Für den kurdischen Widerstand eine zentrale Rolle spielte. Er war auch im Vorstand von AKSA und damit mit der Vorbereitung des Kongresses vertraut. Genau gegen diesen Kongress sollte sich das Attentat richten, das von offiziellen diplomatischen Mitarbeitern der irakischen Botschaft in der DDR am I. August 1980 geplant war. Ziel dieses Attentats, hinter dem die damalige irakische Regierung und ihr Geheimdienst standen, war der eiskalte Mord an möglichst vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmern dieses Kongresses. Wäre der Auftragsmord gelungen, wäre ein großer Teil der damals nachkommenden Generation der kurdischen politischen
Führungsschicht unter dessen Opfern gewesen.

Das Attentat konnte gerade noch rechtzeitig in einer sehr riskanten Aktion durch die Zusammenarbeit der kurdischen Führung und der Westberliner Polizei- und Staatsschutzbehörden verhindert werden. Die Attentäter wurden gefasst und inhaftiert. Doch dann blieb das Verbrechen bis heute ungesühnt.

Fünfundzwanzig Jahre danach haben Marion Böker und Giyasettin Sayan ihre Recherchen über dieses Vorkommnis zu vorliegendem Buch verarbeitet. Das Buch richtet sich an Leserinnen und Leser, deren Sachkenntnis und innere Beteiligung ganz unterschiedlich sind und sein müssen. Das sind einerseits viele heute ältere Kurdinnen und Kurden, die als Zeitzeugen oder sogar als direkte Beteiligte noch lebendige Erinnerungen haben. Sie sind auch sehr gut mit den Hintergründen und historischen Zusammenhängen vertraut, denn das damals geplante Attentat ordnet sich nahtlos in die türkisch-irakische-kurdische Geschichte wie in die jahrhundertealte Geschichte der Beziehungen zwischen Deutschland und dem Nahen Osten ein. Ihrer Empörung über die damaligen Versäumnisse, aber auch ihrer nach Saddams Sturz neu entstandenen Hoffnung auf Gerechtigkeit verleiht das Buch eine Stimme voller Argumentationskraft und moralischer Souveränität.

Das Buch richtet sich aber auch an die jüngere Generation kurdischer Leserinnen und Leser. Es soll sie an diesen Akt eines seit Jahrzehnten straflos gebliebenen Staatsterrors gegen kurdische Politiker/innen erinnern. Dabei gerät durchaus auch in den Blick, dass es mehrere solcher von der irakischen Regierung befehlenden Attentate im Ausland gegeben hatte.
Gerade jetzt - nach dem Sturz des verbrecherischen Saddam-Regimes -bestehen Chance und Herausforderung neu, dieses unerfreuliche Kapitel abzuschließen und die Verantwortlichen auch juristisch zur Rechenschaft zu ziehen. Das ist keine Frage von Rachegelüsten. Es ist eine Frage historischer Gerechtigkeit und damit eine politische Herausforderung im Namen der Menschenrechte. Dass diese Herausforderung nicht auf die noch lebenden Beteiligten an den damaligen Ereignissen allein begrenzt werden kann und darf, machen Marion Böker und Giyasettin Sayan besonders deutlich. Nur wenn diese aus der Vergangenheit überkommenen
Außenstände endlich eingelöst werden, wird die Zukunft eine tragfähige Grundlage haben.

Lesen sollten das Buch aber auch Menschen - vor allem Deutsche die sich für ihre eigene Geschichte und politische Verantwortung interessieren und mehr über die gemeinsame deutsch-kurdische Geschichte erfahren wollen. Deshalb haben Marion Böker und Giyasettin Sayan auch den Weg gewählt, den Attentatsversuch in einen umfangreichen historischen Kontext zu stellen. Nur aus ihm heraus erkennen wir die Rechtmäßigkeit und Notwendigkeit des kurdischen Widerstandes, denn letztlich wurden bis in die jüngste Vergangenheit hinein alle „Lösungen“ in Nahost - egal ob vom Völkerbund, der UNO oder von den westeuropäischen Großmächten und Deutschland initiiert, egal ob im 18. oder 19. oder 20. Jahrhundert - auf Kosten der legitimen Rechte des kurdischen Volkes entwickelt. Selbst vertragliche Zusagen - das wird in diesem Buch wie in der gesamten Literatur immer wieder dokumentiert - wurden regelmäßig gebrochen, weil Großmachts- und Wirtschaftsinteressen Westeuropas regelmäßig über die Interessen des kurdischen Volkes gestellt wurden. Bei dieser permanenten Verletzung aller Menschenrechte und des Völkerrechts spielte Deutschland leider eine besonders fatale Rolle.

Aus diesem historischen Kontext ergibt sich aber auch in mörderischer Logik die Folgerichtigkeit des damaligen Attentatsversuches. Einerseits störte der kurdische Widerstand in Nahost wie in Europa das diktatorische Saddamregime empfindlich, denn die Forderung nach der Gleichbehandlung des kurdischen Volkes entsprechend den Regeln des Völkerrechts und der Humanität fand in der Welt immer mehr Akzeptanz und Unterstützung. Deshalb war insbesondere die kurdische Opposition im Ausland eine zentrale Zielgruppe der irakischen Vernichtungspolitik. Dabei wählte das Saddam-Regime zur Bekämpfung der kurdischen Opposition das gleiche Mittel wie im eigenen Land - das des brutalen Mordes. Marion
Böker und Giyasettin Sayan zeigen uns - indem sie diese Zusammenhänge verdeutlichen dass es sich beim Attentatsversuch von 1. August 1980 um keinen „Einzelfall“, sondern um einen organischen Bestandteil eines systematischen Vernichtungsfeldzuges gegen das kurdische Volk handelt.

Andererseits konnte sich der Irak dabei grundsätzlich in Sicherheit wiegen, weil er davon ausgehen durfte, dass es in der Bundesrepublik und in der westlichen Welt ganz andere Interessen - nämlich wirtschafts- und geopolitische Machtinteressen - hinsichtlich des Irak gab. Wiederum hilft uns das Buch zu erkennen, dass es eine verhängnisvolle historische Kontinuität gibt, in der maßgebliche deutsche und westeuropäische Wirtschafts- und Politikkreise sich noch immer gegen die legitimen Rechte des kurdischen Volkes - einschließlich der Akzeptanz und adch der Teilnahme am Völkermord gegen das kurdische Volk - entschieden. Das Streben nach Zugang zu den reichen Ölquellen, nach wirtschaftlicher Hegemonie im Nahen Osten und vor allem nach ungebremstem politischen Einfluss in dieser weltpolitisch so wichtigen Region des Nahen Ostens hat sich noch allemal Uber Völker- und Menschenrecht hinweg gesetzt.

1980 - nach Verhinderung des Attentats und der Ergreifung der Täter -hätte die Bundesrepublik Deutschland die historische Chance gehabt, mit dieser unseligen Tradition ein für allemal zu brechen. Aber vor die Wahl gestellt, entschied sich die damalige sozialliberale Bundesregierung für die Fortführung der schlimmen Traditionslinie, allen ihren gegenteiligen offiziellen Beteuerungen zum Trotz.

Marion Böker und Giyasettin Sayan machen sich zu engagierten Anwälten dafür, dass die jetzige Situation nach dem Sturz des Saddam-Regimes und der Etablierung demokratischer Verhältnisse, die auch mit einer gewissen Normalisierung in der Kurdenfrage verbunden ist, nunmehr genutzt werden muss, um einen endgültigen Bruch mit den verhängnisvollen Traditionslinien im deutsch-irakisch-kurdischen Verhältnis herbei zu führen. Es ist das Credo des Buches, dass nunmehr eine ehrliche Aufarbeitung der Geschichte erfolgen müsse, damit die deutsch-kurdischen Beziehungen auf Dauer eine Völker- wie menschenrechtlich solide Basis erhalten. In diesem Kontext steht die Forderung, die Attentäter und die damals Verantwortlichen aus Regierung und Geheimdienst vor Gericht zu stellen und zu bestrafen, denn eine neue Beziehung kann nur auf einer neuen und ehrlichen Grundlage von Demokratie und Menschenrecht erbaut werden.

In dem Sinne ist dem Buch von Marion Böker und Giyasettin Sayan eine gute Aufnahme zu wünschen. Möge es viele interessierte Leserinnen und Leser finden, und mögen sich möglichst viele davon für das Anliegen dieses Buches engagieren.

Dr. Peter-Rudolf Zotl
Berlin, im Juli 2005



1. Das Ziel: Strafverfolgung und Aufarbeitung aller Beiträge zum Völkermord

In den Morgenstunden des 1. August 1980 passierte eine Limousine vom Typ „Mercedes“ den Berliner Grenzübergang Bornholmer Straße. Die Berliner Grenze - die „Mauer“ - symbolisierte wie keine andere den Eisernen Vorhang zwischen Ost und West, der vor allem vom Osten aus undurchdringbar war. Dass der Wagen dennoch ungestört durchfahren konnte, lag daran, dass er das diplomatische Kennzeichen der irakischen Botschaft in der DDR trug. Kaum hatte er die Grenzanlage verlassen, lenkte der Wagen seine Fahrt in Richtung eines Jugendgästehauses im damaligen Bezirk Wedding. Ein zunächst scheinbar völlig normaler Vorgang im damaligen Berlin.

Doch plötzlich heulten Motoren auf, und aus Seitenstraßen rasten mehrere Wagen - Zivilautos des Westberliner Staatsschutzes, wie sich schnell herausstellte - auf das irakische Diplomatenauto zu und kreisten es ein. Nach einer wilden Verfolgungsjagd stürmten dessen Insassen - zwei irakische Diplomaten aus Ostberlin - aus dem Auto und versuchten, zu Fuß zu flüchten. Doch sie wurden rasch gestellt und festgenommen. Zuvor hatten sie einem Landsmann einen Koffer übergeben, in dem 500 Gramm eines hochexplosiven Sprengstoffes gefunden wurden. Schnell war also der Zweck ihrer „Dienstreise“ identifiziert.

Das Ziel der irakischen Diplomaten war das Jugendgästehaus Nord im Wedding. Dort tagte der 21. Kongress der AKSA, einer Vereinigung kurdischer Studierender im Ausland und in Opposition zur irakischen Politik und Regierung stehend. Mit dem Sprengstoff sollte der Tagungsort in die Luft gejagt werden. Der Auftrag der Diplomaten war also Mord, und …




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