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Kurdisch - Sein Und Nicht - Sein


Auteur :
Éditeur : Navend Date & Lieu : 1998, Bonn
Préface : | Pages : 164
Traduction : ISBN : 3-933279-05-4
Langue : AllemandFormat : 150x210mm
Code FIKP : Liv. Ger. Sch. Kur. N° 303Thème : Général

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Kurdisch - Sein Und Nicht - Sein


Kurdisch - Sein Und Nicht - Sein

Susanne Schmidt


Navend


Jugendliebe kurdischer Herkunft gelten offiziell als Einwanderinnen aus der Türkei, dem Iran, dem Irak und Syrien, werden jedoch tagtäglich mit Negativklischees über »die Kurden« konfrontiert. Dies erzeugt ein Spannungsfeld, das sich auf die Entwicklung im Jugendalter erschwerend auswirken kann. Mit dieser Studie gibt Navend e.V. Einblicke in Selbstbilder Jugendlicher kurdischer Herkunft, die in der Bundesrepublik Deutschland unter z. T. widersprüchlichen kulturellen und sozialen Einflüssen stehen.



VORWORT

”... es ist manchmal schwer, sich zu wehren als Kurde. Ein Türke hat eine Sprache, ein Land, hat alles. Als Kurde muß man erst mal stundenlang erklären, um sich Gehör zu verschaffen (...). Nie ist man selbstverständlich das, was man ist. Es wird nicht anerkannt, es sind ja keine Informationen darüber vorhanden. ’’
(Aus dem Interview mit einem kurdischen Jugendlichen in Bonn)

Wer in der Migrationsforschung nach Aussagen über die Migrationsgründe von Kurdinnen, ihr Verhältnis zu Mehrheitsgesellschaft und Staat des Aufenthaltslandes, ihre Integrationsbereitschaft, Integrationsdefizite oder ihre spezifischen Probleme sucht, wird weitestgehend auf weiße Flecken stoßen. Kurdinnen stellen in der Migrationsforschung keinen eigenständigen Forschungsgegenstand dar, sondern werden bisher entsprechend ihrer Herkunftsstaaten unter "Iraner", "Iraker", "Türken' und Syrer subsumiert. Aussagen über die kurdische Minderheit in Deutschland lassen sich also nicht von gesicherten Forschungsergebnissen ableiten, sondern bleiben gezwungenermaßen Spekulation. Bestenfalls können Analogien zu Erkenntnissen über andere Migrantinnen gruppen gezogen werden. Dies erscheint jedoch mehr als fragwürdig, wenn man bedenkt, daß die kurdische Bevölkerung vielfach eine andere, weitestgehend in der Heimat unterdrückte Muttersprache, Religion und Kultur als die jeweilige Mehrheit in ihrem Herkunftsstaat hat. Für die Kurdinnen besteht vielfach keine Rückkehroption, da ihre Heimatorte vollkommen zerstört wurden. Sie können nicht mit Unterstützung durch staatliche Stellen ihres Herkunftslandes rechnen, und es existieren in Deutschland für sie sowohl von staatlicher Seite als auch von Seiten der Wohlfahrtsverbände kaum Angebote, die auf ihre speziellen Bedürfnisse zugeschnitten sind.

In der Ausklammerung der kurdenspezifischen Problematik im Rahmen der Migrationsforschung (meist zugunsten einer undifferenzierten Zurechnung unter die Gruppe türkischer Migrantinnen) spiegelt sich auch teilweise eine von der eigenen Kultur geprägte (gerade vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte) ängstliche Befangenheit im Umgang mit dem Phänomen eines kurdischen Nationalgefühls wider. Die "Wiederentdeckung" der kurdischen Herkunft wird von deutscher Seite eher mit Mißtrauen beobachtet. Vernachlässigt wird dabei jedoch der Aspekt, daß erst im Exil - durch den Wegfall der existentiellen Bedrohung von außen - eine Belebung einzelner ethnisch-kultureller Merkmale stattfinden kann und sich damit nur etwas vollzieht, was für Migrantlnnen anderer Nationalitäten in einer pluralistischen Gesellschaft eine Selbstverständlichkeit ist.

Die Entstehungsgeschichte der vorliegenden Studie markiert den Anfang einer diesbezüglichen Bewußtseinsveränderung.

Die von Navend e.V. initiierte Studie sollte die Situation kurdischer Migrantlnnen - speziell Jugendlicher - am Beispiel Bonns untersuchen und auf der Basis der gewonnenen Erkenntnisse Modelle für die Arbeit mit kurdischen Jugendlichen entwickeln. Es war intendiert, Jugendlichen Angebote zum konstruktiven Umgang mit ihrer Herkunftskultur zur Aufarbeitung von widersprüchlichen Anforderungen zwischen Herkunfts- und Aufenthaltsgesellschaft zu machen und Hilfe bei der Bewältigung von Alltagsproblemen zu gewährleisten. Angesichts der zutage getretenen Polarisierung zwischen türkischen und kurdischen Migrantlnnen sollte hierbei auch ein besonderes Augenmerk auf die Entwicklung von Formen der Verständigung zwischen diesen beiden Gruppen gelegt werden.

Mit der Förderung der gesellschaftlichen und sozialen Integration von kurdischen Jugendlichen, dem Abbau von Vorurteilen im Miteinander von Deutschen, Türkinnen und Kurdinnen, durch kontinuierliche Treffen von Jugendlichen unterschiedlicher Nationalitäten und dem Aufbrechen verhärteter Strukturen, ohne die Konflikte zu leugnen, sollte Neuland betreten werden.
Zur Durchführung der Studie hatte Navend e.V. bereits 1993 einen Antrag auf zwei ABM-Stellen eingereicht, der im Mai 1995 zunächst vom Arbeitsamt Bonn abgelehnt worden war.
Hintergrund der Ablehnung war eine Empfehlung des Auswärtigen Amtes, die bereits vom 13.6.1990 datierte:

"Aus politischen Gründen hält das Auswärtige Amt an seiner Auffassung fest, daß Aktivitäten kurdischer Gruppen auf Bundesgebiet nicht mit Bundesmitteln gefördert werden sollten.(...) Jede Förderung auch angeblich rein kultureller Aktivitäten durch die Bundesregierung würde in der großen türkischen Kolonie in der Bundesrepublik Deutschland Zwietracht und interkommunitäre Streitigkeiten auslösen. Sie würde außerdem von der türkischen Regierung als Versuch einer Einmischung in innertürkische Angelegenheiten und als Förderung separatistischer Tendenzen betrachtet werden".

In dieser Empfehlung wird eine Haltung deutlich, die eine innerdeutsche Integrationspolitik vom Wohlwollen der Türkei abhängig macht. Diese Herangehensweise war nicht neu, sondern spiegelte nur die bis dahin vorherrschende Tendenz der Sozialpädagogik und Ausländerprojektarbeit wider, welche Menschen kurdischer Volkszugehörigkeit vernachlässigt, da sie sie als nationale Minderheit nicht wahrnimmt. Bisher konnten Kurdinnen Möglichkeiten der Sozialberatung nur unter der Bedingung nutzen, daß sie als "Türken" gelten und ihre ethnische Besonderheit leugnen. So herrschte in der Bundesrepublik lange Zeit die Praxis vor, in den Belangen von Ausländern aus den sog. Anwerbestaaten den Vertretungen der Heimatstaaten ein starkes Mitspracherecht zuzugestehen.

Inzwischen ist jedoch das Bewußtsein dafür gewachsen, daß Integrationsarbeit nur dann erfolgreich sein kann, wenn sie den minderheitenspezifischen Differenzierungsprozessen der ausländischen Bevölkerung Rechnung trägt. Anderenfalls läuft man Gefahr, Betroffene, die man gerade erreichen will, auszugrenzen.

Aufgrund der Fürsprache zahlreicher Politikerinnen aller im Bundestag vertretenen Fraktionen und intensiver Überzeugungsarbeit hinter den Kulissen und im Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages wurde Ende des Jahres 1996 dem von NAVEND eingelegten Widerspruch stattgegeben und die Möglichkeit eingeräumt, auf ABM-Basis Personal zur Durchführung der Studie einzustellen.

1997 konnte NAVEND schließlich mit der Arbeit beginnen. Im Rahmen einer auf 12 Monate angelegten kleinräumigen Studie wurde diese erste qualitative Untersuchung über das Selbstbild und die soziale Lage Jugendlicher kurdischer Herkunft durchgeführt. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage, wie sich Jugendliche im Spannungsfeld verschiedener lebensweltlicher Orientierungen selbst verorten.

Die Auswahl des Raumes Bonn hatte den Vorteil, daß alle vier Herkunftsländer (Türkei, Syrien, Irak und Iran) vertreten sind, eine Konstellation, die bezogen auf das übrige Bundesgebiet eher untypisch ist. Dies erlaubt jedoch gerade, die Bilder von Migrantlnnen kurdischer Herkunft zu differenzieren.

Auffallend war, daß sich vorwiegend Jugendliche zur Mitarbeit bereit erklärten, deren Familien sich in einem gesicherten Aufenthaltsstatus (z.B. Asylberechtigung bzw. deutsche Staatsangehörigkeit) befinden, der ihnen erlaubt, ohne die Gefahr von Repressalien durch Konsulate der Herkunftsländer zu agieren. Sowohl in Bezug auf ihren sozialen Hintergrund, als auch auf ihre Herkunftsstaaten und ihre Religionszugehörigkeit war die Zusammensetzung der
Befragten jedoch sehr heterogen.

Die vorliegenden Ergebnisse von biographischen Interviews bieten Einblicke in die Situation junger kurdischer Migrantlnnen in der Bundesrepublik Deutschland. Sie kann als Grundstein und Anregung für eine weitere wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dieser Zielgruppe dienen.

Es ist das Anliegen von Navend, durch die Präsentation dieser Studie in der deutschen Öffentlichkeit ein differenziertes Bild der kurdischen Migrantinnen gruppe zu vermitteln und gleichzeitig ihre Besonderheiten gegenüber anderen Migrantinnen gruppen aufzuzeigen - auch wenn diese aus dem gleichen Herkunftsstaat stammen.

Die Tatsache, daß kurdischen Jugendlichen kaum Unterstützung bei der Entwicklung eines positiven Selbstbildes als Kurden und einer Auseinandersetzung mit ihren eigenen Wurzeln zuteil wird, Hinweise auf Konfrontationen mit politisch oder religiös gefärbten Ideologien im türkisch -"muttersprachlichen" Ergänzungsunterricht an deutschen Schulen oder Zurücksetzungsgefühle aufgrund des oberflächlichen Bildes der deutschen Öffentlichkeit über ihre Volksgruppe legen Defizite an Maßnahmen für und über diese Zielgruppe offen.

Bei allen Unterschieden, die die Jugendlichen in dieser Studie charakterisieren, läßt sich feststellen, daß die Frage einer kurdischen Identität bei den Befragten durchweg eine größere Rolle spielt als man sie bei dieser heterogenen Gruppe der vorwiegend in Deutschland aufgewachsenen Jugendlichen vermuten könnte. Obwohl sie sich mehr oder minder im Spagat zwischen verschiedenen Lebensformen und widersprüchlichen Einflüssen in Deutschland befinden, spielt die kurdische Volkszugehörigkeit für sie in der Regel eine wichtige Rolle. Diese wird vermittelt einerseits durch enge familiäre Bande und Netzwerke, mit denen ein sozialer Zusammenhalt (z.B. befreundete Familien, die z.T. aus dem gleichen Herkunftsort stammen) organisiert wird, andererseits durch die Konfrontation mit den Kriegsereignissen im Herkunftsland und der Minderheitserfahrung in Deutschland. Mehrheitlich bejahten die Jugendlichen die Fragen danach, ob sie es für wichtig erachten, daß ”über Kurden geforscht wird” und ob ihre künftigen Kinder sich einmal als Kurden fühlen sollen. Vermitteln würden sie ihren Kindern dies über ein größeres Wissen über kurdische Geschichte und Kultur, als sie selbst haben. Ebenso wünschten sie, daß ihre zukünftigen Kinder die kurdische Sprache einmal besser beherrschen als sie selbst.

Einige der Befragten betonen ihren Anspruch auf Toleranz und Weltoffenheit, finden jedoch eine positive Identifikation mit ihrer kurdischen Herkunft und darin eine Art emotionalen Halt. Unterschiedliche Faktoren wie Ausgrenzungserfahrungen und das kollektive Gedächtnis ihrer Volksgruppe führen dazu, daß Kurdistan ihre emotionale Heimat bleibt. Die Aussage eines Interviewpartners: "Nie ist man selbstverständlich das, was man ist , zeugt gleichzeitig von dem Dilemma, in dem sich wahrscheinlich viele kurdische Jugendliche befinden. Wie junge Menschen, die eine wichtige Phase der Persönlichkeitsbildung durchlaufen, auf diese Situation reagieren, hängt in entscheidendem Maße davon ab, welche Unterstützung ihnen die Gesellschaft entgegenbringt.

Die kritische Haltung einiger der Befragten gegenüber den Systemen ihrer Herkunftsstaaten und die vielfach fehlende Rückkehroption schaffen eine potentielle Offenheit gegenüber der Aufenthaltsgesellschaft, die es ihnen erleichtert, sich Deutschland zugehörig zu fühlen. Die meisten der befragten Jugendlichen haben entweder die deutsche Staatsangehörigkeit, haben sie beantragt oder die Absicht, sie zu beantragen. "Ich war bis vor kurzem staatenlos, jetzt bin ich stolz, Deutscher zu sein, hier ist es wirtschaftlich und politisch stabil. Aber ich bin nicht stolz auf die deutsche Vergangenheit", so ein Interviewpartner, der sich auch als EU-Bürger fühlt, als "europäischer Kurde", definierte.

Dieses und andere Beispiele dieser Studie zeigen, daß eine kurdischethnische Selbstidentifikation problemlos und mit einer Favorisierung des Lebens in der Bundesrepublik gelingen kann, wenn die Rahmenbedingungen dafür stimmen. Integration und "kurdische Identität" sind kein Gegensatz.
Der abverlangten Integrationsbereitschaft muß eine Akzeptanzbereitschaft der deutschen Gesellschaft gegenüberstehen. Gefahren für ein demokratisches Gemeinwesen gehen gerade von der faktischen Nichtberücksichtigung der Lebensumstände von Minderheiten aus. Fühlen diese sich nicht geachtet, sondern zurückgedrängt, werden sie den Staat, in dem sie leben und voraussichtlich bleiben werden, nicht als den ihren betrachten können.

Die Eröffnung von Möglichkeiten zur Pflege und kritisch - konstruktiven Auseinandersetzung mit ihrer Herkunftskultur bietet für die kurdischen Jugendlichen die Chance, sich zu entscheiden, wer sie sein wollen, sich in ihrer Gesamtpersönlichkeit anerkannt zu fühlen und als Teil der
deutschen Gesellschaft zu betrachten. Dies kann ihnen helfen, Anforderungen verschiedener Wertesysteme, mit denen sie sich konfrontiert sehen, zu bewältigen.

Von der These, daß durch die Identifikation oder Teilidentifikation mit der kurdischen Herkunft Gräben zwischen unterschiedlichen Migrantinnengruppen und Migrantlnnen und der Mehrheitsgesellschaft verstärkt werden, wird man sich verabschieden müssen. Der Weg der "Wahlfreiheit" entspricht vielmehr der pluralistischen Gesellschaft der Bundesrepublik und stärkt das Vertrauen in das demokratische Gemeinwesen. Voraussetzung hierfür ist Offenheit und die Auseinandersetzung mit verschiedenen kulturellen Lebenswelten.

Notwendig ist das Erkennen und die Förderung der interkulturellen Kompetenzen von Jugendlichen kurdischer Herkunft. Sie können Mittler sein zwischen den unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen, derer ein Land im Zeitalter der Migration bedarf.
Mit dieser qualitativen Untersuchung über kurdische Jugendliche in Bonn, der z.Zt. eine quantitative landesweite Erhebung folgt, ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg getan, Kurdinnen in der Erforschung zur Situation ethnischer Minderheiten den Stellenwert beizumessen, der im Hinblick auf andere Migrantinnengruppen schon lange selbstverständlich ist.
Durch die gewonnenen Erkenntnisse können den verschiedenen deutschen Institutionen Hilfestellungen im Umgang mit kurdischen Migrantlnnen an die Hand gegeben werden. Nicht zuletzt durch die öffentliche Unterstützung dieses Projektes wird ein entscheidendes Signal an die kurdischen Migrantlnnen selbst ausgehen und ihnen vermittelt, daß man beginnt, sich für ihre Belange tiefergehend zu interessieren und ihre Probleme ernst zu nehmen.

Unser besonderer Dank gilt allen, die sich dafür eingesetzt haben, anfängliche Vorbehalte auszuräumen und die dazu beigetragen haben, daß die Studie realisiert werden konnte. Dem Arbeitsamt Bonn, das durch die Bewilligung der ABM-Maßnahme die personelle Ausstattung zur Durchführung der Arbeiten ermöglichte und das sich seit Beginn des Projektes auch in schwierigen Situationen als äußerst kooperativ erwiesen hat, sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Ein besonderer Dank geht natürlich auch an die jugendlichen lnterviewpartnerlnnen, die uns bereitwillig und offen Einblicke in ihre Gedankenwelt gewährten und zum Fortkommen der Studie durch Vermittlung von weiteren lnterviewpartnerlnnen beigetragen haben. Nicht zuletzt danken wir den Eltern der Jugendlichen für das Vertrauen, in die Beteiligung ihrer Kinder einzuwilligen.

Metin Incesu
Petra Grüne



Einleitung

AÄit dieser Publikation präsentiert NAVEND e.V. Ergebnisse einer qua-’-Mitativen Untersuchung über Selbstbilder und die soziale Lage Jugendlicher kurdischer Herkunft. Sie hat zum Ziel, durch Einblicke in Lebenszusammenhänge und deren Deutung einen Zugang zum Verständnis dieser Jugendlichen zu eröffnen. Durch die detaillierte Wiedergabe von Interviewverläufen mit Jugendlichen aus sehr unterschiedlichen Lebenszusammenhängen sollen gängige Klischees differenziert werden. Wo sich Defizite ableiten lassen, werden Hinweise auf Möglichkeiten zu deren Kompensation
aufgezeigt.

Durch Analysen und die Formulierung offener Fragen wird ein Forschungsfeld eröffnet, das bisher so gut wie keine Beachtung in der Migrationsforschung erfahren hat. Dies ist umso bemerkenswerter, da Kurdinnen die zweitgrößte Migrantengruppe darstellen und auf eine lange Tradition der Einwanderung in die Bundesrepublik Deutschland zurückblicken.

Die Studie richtet sich an alle, die sich mit Fragen der Einwanderung dieser und anderer Bevölkerungsgruppen und ihrer Existenz in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigen, sowie an Migrantlnnen kurdischer Herkunft und ihre Selbstorganisationen.

Ein erheblicher Anteil von Menschen ist seit Mitte dieses Jahrhunderts und verstärkt in den letzten Jahrzehnten aus den kurdischen Siedlungsgebieten ausgewandert oder vertrieben worden. Etwa eine Million leben in Westeuropa. Über die Hälfte davon, ca. 600.000, leben in der Bundesrepublik Deutschland, davon in Nordrhein-Westfalen ca. 200.000. Ihre Heimat1 liegt in den Territorien von vier Staaten, sie unterscheiden sich u.a. nach Staatsangehörigkeit und Staatssprachen. Sie gehören verschiedenen Religionen und Glaubensrichtungen an2 und sprechen verschiedene kurdische …

1 Im Sinne eines von verschiedenen kurdischen Institutionen und NAVEND e.V. vertretenen Selbstverständnisses werden im folgenden die Herkunftsgebiete der Kurdinnen mit "Nordkurdistan” (türkischer Teil), "Südkurdistan” (irakischer Teil), "Westkurdistan” (syrischer Teil) und "Ostkurdistan” (iranischer Teil) bezeichnet.

2 Nach Nebez (1987a:36) sind nur etwa 65 -75 % der Kurden Muslime, davon ca. 2/3 Sunniten und 1/3 Schiiten. ”Der Rest besteht aus Ezdis (Yeziden, Anm. d. A.), Kakayis (bzw. Ahl-i Haqq), Elevis (Alewiten, Anm. d. Aj, Sarayis, Schabak, Badschwan, Haqqa und Christen, darunter Katholiken, Protestanten und Orthodoxe. (...) Man kann sagen, daß ca. die Hälfte der Kurden sunnitische Muslime sind.”

8 Unter "Ethnisierung” wird hier die Selbst- und Fremdzuschreibung ethnischer Merkmale verstanden. Nach Ansicht von Bukow/Llaryora (1988) entstehen ethnische Merkmale und Differenzen durch soziale Zuschreibung und von der Politik bewußt betriebene "Ethnisierung” von Minderheiten. Letzteren werden ethnische Differenzen unterstellt, die dann von der Mehrheitsgesellschaft zur Ausgrenzung der Minderheiten instrumentalisiert werden und mit Hilfe derer gesamtgesellschaftliche Verteilungsprobleme auf sie abgewälzt werden. Auemheimer (1990a: 104) gibt zu bedenken, daß die Entwertung ethnischer Eigenheiten als sozial belanglos und historisch überholt die kollektiven Selbstbilder von Minderheiten übersieht.

9 s. "Der Spiegel” vom 14.4. (16) 1997 unter dem Titel "Zeitbomben in den Vorstädten. Die Ausländerintegration ist gescheitert. (...)”, S. 78-97




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