VORWORT
Solange das Wohlstandsgefälle zwischen Ost und West, Süd und Nord so groß bleibt, solange es Vertreibung und Bürgerkriege gibt, solange mit Waffen aus den Industrieländern gemordet wird, und die Industrieländer diktieren, wie der Geld- und Warenhandel auf dieser Welt zu funktionieren hat, solange die politischen Eliten in vielen Herkunfsländern von Flüchtlingen massive Menschenrechtsverletzungen begehen, solange werden Menschen ihre Heimat verlassen, um an einem anderen Ort zu leben.
Aufgabe aller staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen in unserem Land muß es daher sein, sich dieser Situation zu stellen und denjenigen, die in Not sind, zu helfen. Diese Hilfe darf nicht abhängig gemacht werden von den jeweiligen politischen, wirtschaftlichen und diplomatischen Beziehungen zu den Ländern, aus denen die Menschen zu uns fliehen. Die politische Realität sieht leider oft anders aus.
Zwischen 300.000 und 500.000 Kurdinnen und Kurden leben in der Bundesrepublik. Die Zahl kann nur geschätzt werden, weil die Menschen aus Kurdistan je nach Staatsangehörigkeit als Türken, Syrer, Iraker oder Iraner aufgenommen und behandelt werden - jedoch nicht als Kurden. Und das, obwohl sie seit über 3 Jahrzehnten als Mitbürgerinnen und Mitbürger, als Flüchtlinge und Asylsuchdende in der Bundesrepublik leben und damit zweifelsohne zu einer der größten nationalen Gruppen und ethnischer Minderheiten in Deutschland gehören.
Zuerst waren es kurdische Arbeitsemigranten, die als Gastarbeiter in den 60er Jahren in großer Zahl in die BRD kamen. Danach - in den letzten 2 Jahrzehnten - waren es Flüchtlinge aus allen Teilen Kurdistans, die hier um Asyl bitten mußten. In all den vielen Jahren ist es nicht gelungen, die Kurdinnen und Kurden in der Bundesrepublik als eigenständige Volksgruppe anzuerkennen und sie mit den ihr zustehenden Rechten zu versehen. Wenn sich Kurden in Deutschland heute als Fremde unter Fremden fühlen, ist das nicht nur ein Resultat verfehlter Immigrantionspolitik, sondern hat in erster Linie mit den wirtschaftspolitischen und strategischen Interessen der Bundesrepublik zu tun. Über all die Jahre standen die Bundesregierungen im Zweifel eher an der Seite der Verfolger als der Verfolgten. Deutsche Waffen ermöglichten der Türkei, gegen die Kurden Krieg zu führen. Es waren deutsche Unternehmen, die Saddam Hussein das Giftgas für Halabja produzieren halfen. Auch in der Bundesrepublik werden Kurdinnen und Kurden diskriminiert. Es gab und gibt nicht nur das Sprachverbot in der Türkei, hier in der Bundesrepublik werden kurdische Kinder beim muttersprachlichen Unterricht mit Türkisch konfrontiert. Nicht nur in der Heimat auch in Deutschland wird es Kurden - von einigen Ausnahmen abgesehen - verwehrt, ihren Kindern kurdische Namen zu geben. Nach wie vor arbeiten die Standesämter nur mit türkischen Namenverzeichnissen, und die Konsulate akzeptieren keine Papiere mit kurdischen Eintragungen.
Eine Aufarbeitung der Frage nach kurdischer Identität und die Problematik, diese zu leben, wie es in diesem Buch versucht worden ist, ist gerade deshalb so wichtig, um politischen Forderungen von Kurden in der Bundesrepublik Nachdruck zu verleihen. Die Kurden sind längst kein unbekanntes Volk mehr. Das liegt weniger an der allgemeinen Anerkennung und politischen Akzeptanz, sondern vielmehr an seiner tragischen Geschichte und den schrecklichen Ereignissen der letzten Jahre. Die grausamen Bilder aus Halabja drangen 1988 an die Öffentlichkeit, es folgten die Vernichtungsfeldzüge Saddam Husseins im August 1988 und nach dem Golfkrieg im Frühjahr 1991. Der staatliche Terror gegen die Kurden im Lande von seiten der türkischen Regierung fand in diesem Jahr aus Anlaß des Newroz-Festes einen weiteren traurigen Höhepunkt. Bilder der Kurden als Volk der Verfolgten haben sich überall in der Welt eingeprägt.
Die Durchführung freier Wahlen im irakischen I eil Kurdistans vor zwei Monaten hat neue Hoffnungen geweckt, Hoffnungen auf Autonomie und Selbstbestimmung und eine neue wieder zu gewinnende kulturelle Identität. Das gilt auch und gerade für die vielen Kurdinnen und Kurden, die außerhalb ihrer Heimat in anderen Ländern leben und dort hoffentlich irgendwann einen Platz finden zwischen Freunden - unter Freunden.
Jürgen Trittin Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten des Landes Niedersachsen
Einleitung
"Kurden werden heute verfolgt, Kurden werden heute unterdrückt, Kurden werden hatte drangsaliert, Kurden werden heute gequält. Nur deshalb, weil sie Kurden sind und weil sie Kurden sein wolleri" (1)
Fs sind dreißig Jahre vergangen, seitdem die Kurden in der Bundesrepublik leben. In dieser Zeit sind einige Generationen herangewachsen. Sie sind nicht so geblieben, wie sie waren. Die wichtigste Veränderung, die vollzogen wurde, hat sich in der nationalen Identität bemerkbar gemacht. Mit ihrer Tradition, ihren Normen und Werten, ihrer Sprache und Kultur, haben die Kurden, wie andere nationale Minderheiten, auch einen wichtigen Beitrag auf dem Weg zu einer multikulturellen Gesellschaft geleistet.
Eins unterscheidet die in der Bundesrepublik Deutschland und anderen europäischen Ländern als Arbeitnehmer, Studenten und Flüchtlinge lebenden Kurden von anderen Minderheiten. Sie werden nicht als eigenständige Volksgruppe anerkannt.
Dieses Buch versucht die daraus resultierenden Probleme und die Indentitätskonflikte der kurdischen Minderheit zu erörtern.
Die Motivation, dieses Buch zu schreiben, ist aus meiner persönlichen Betroffenheit als Kind einer kurdischen Immigrantenfamilie erwachsen.
Es ist sicherlich vielen bekannt, daß die Existenz …
(1 Bindig R Kurden und die Menschenrechte, Dokumentation zur Internationalen Korrferenz Menschenrechte in Kurdistan, Hrsg: Initiative "Menschenrechte in Kurdistan”, Bremen 1989, Sb) |