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Ausgeliefert: Cemal Altun und andere


Auteur :
Éditeur : Rowohlt Date & Lieu : 1983, Hamburg
Préface : Pages : 188
Traduction : ISBN : 3 499 15358 0
Langue : AllemandFormat : 125x190 mm
Code FIKP : Liv. Ger. Are. Aus. N° 688Thème : Général

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Ausgeliefert: Cemal Altun und andere

Ausgeliefert: Cemal Altun und andere

Veronika Arendt-Rojahn

Rowohlt

«Im Interesse der Fortführung einer nach wie vor guten Zusammenarbeit mit der Türkei auf polizeilichem Gebiet, aber auch im Interesse der Glaubwürdigkeit des Auslieferungsverkehrs mit der Türkei insgesamt, bitte ich Sie, die Bewilligungsentscheidung vom 21. Februar für vollziehbar zu erklären, damit die Auslieferung unverzüglich durchgeführt werden kann.»
Das schrieb Bundesinnenminister Zimmermann in einem Brief an Bundesjustizminister Engelhard am 21. Juli 1983. Im Juni war Cemal Altun von dem dafür zuständigen Bundesamt als Asylberechtigter anerkannt worden. Dennoch hatte das Berliner Kammergericht Haftfortdauer beantragt und der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten Klage gegen die Anerkennungsentscheidung vor dem Berliner Verwaltungsgericht erhoben. Am 30. August, dem zweiten Verhandlungstag, sprang Cemal Altun aus dem sechsten Stock des Berliner Verwaltungsgerichts.
Mit diesem Band wollen die Autoren - Richter, Anwälte, Journalisten - nicht nur die Hintergründe des Falles Altun offenlegen, sondern darüber hinaus aufzeigen, in welchem Ausmaß das Verfassungsrecht auf Asyl heute von einer zunehmend auf Abschiebung bedachten Ausländerpolitik und durch außenpolitische Rücksichtnahme mehr und mehr durchlöchert wird. Der Fall Altun hat deutlich gezeigt, daß die polizeilichen Dienststellen der Bundesrepublik auf fatale Weise mit den Dienststellen der türkischen Diktatur Zusammenarbeiten. Immer weniger kann die Bundesrepublik in den Augen verfolgter Demokraten noch als sicherer Zufluchtsort gelten, immer mehr wächst die Furcht, daß die Arme ihrer Häscher heute bis in die Spitze der Bundesregierung hinaufreichen.


Veronika Arendt-Rojahn, geb. 1946, Rechtsanwältin Berlin, Vizepräsidentin der Internationalen Liga für Menschenrechte, Sektion Berlin



SAGT NICHT, WIR HÄTTEN NICHT GEKÄMPFT!

Dienstag, der 30. August 1983, ein herrlicher Spätsommertag. Die Sonne scheint auch durch die Fenster im 6. Stock des Verwaltungsgerichts. Man öffnet die Fenster, um die letzten Sonnenstrahlen hineinzulassen.

Cemal Altun, seit 13 Monaten hinter Mauern mit einem kleinen vergitterten Fenster, hat diese Sonne solange entbehrt. Es zieht ihn zu dem geöffneten Fenster. Er steigt auf das Fensterbrett und springt in die Tiefe, in die Freiheit, die ergänz anders in diesem freiheitlich demokratischen Rechtsstaat zu finden hoffte.

Ich betrete den Gerichtssaal und sehe betroffene Menschen, eine Frau in einer schwarzen Robe weint. Ich frage einen der Anwesenden, wann die Verhandlung beginnt. Und ich bekomme die Antwort, die ich nicht begreife: «Mein Gott, er liegt doch dort unten!» Weil viele aus dem

Fenster sehen, gehe ich auch dorthin und schaue hinunter.
Unten in der Tiefe auf dem Rasen sehe ich den Körper eines jungen Mannes mit seltsam verrenkten Gliedern liegen. Ganz langsam erfaßt mein Gehirn: Der da unten liegt, ist Cemal. Doch ich begreife es nicht. Es ist Cemal, den ich vor 4 Monaten in der Haftanstalt besucht habe, in der Haftanstalt, die ihn unerbittlich 13 Monate festgehalten hat. Als ich ihn damals auf türkisch begrüßte, hat er mich fast ängstlich auf deutsch darauf hingewiesen, daß es ihm verboten sei, mit seinen Besuchern türkisch zu sprechen. Damals hatte die unpersönliche Anwesenheit eines Justizbeamten jedes persönliche Wort, jede Berührung verhindert. Ich konnte ihm meine Gefühle nicht äußern, ihn nicht umarmen, das Gespräch mußte oberflächlich bleiben.

Jetzt, wo ich ihn da so hilflos liegen sehe, ist das erste Gefühl Reue, Reue darüber, daß ich ihn damals nicht umarmt habe, daß ich ihm nicht mehr Zuversicht und Hoffnung habe vermitteln können.

Ich starre nach unten und versuche zu begreifen, was doch auch Tage danach noch unfaßbar ist.

Ich starre auf die weinende Richterin, den Vorsitzenden Richter, ich höre seine Worte, wie er nach einem Arzt ruft, und ich registriere, daß eine Frau vor mir steht mit einer Unterschriftenliste für Cemal, und sie fragt mich: «Was soll ich denn jetzt mit den Unterschriften machen, die habe ich doch gestern noch gesammelt!» Ich weiß es nicht.

Ich habe nicht einmal Tränen, ich fahre sogar nach 10 Minuten mit dem Auto ins Rathaus Schöneberg, wo ich die entsetzliche Nachricht ohne Tränen erzähle. Lummer, den ich auf dem Flur treffe, sage ich nur: «Für Sie hat sich ja nun der Fall Altun erledigt.» Der fragt mich, ob Altun tot sei. Ich sage «ja», weil ich nicht glaube, daß man einen Sprung aus dieser entsetzlichen Höhe überleben kann.

Ich kann erst weinen, als wir Altun begraben haben. Allmählich hat mein Gehirn das Unfaßbare begriffen.
In unserem Land ist der Tod eines politischen Flüchtlings schon wieder möglich.

Rita Kantemir



Trauerrede von Wolfgang Wieland,
dem Anwalt von Cemal Altun,
bei der Beerdigung am 4.9.83 in Berlin
(Auszüge):

Cemal, jetzt gibt es kein Wiedersehen mehr. Die türkischen Generale wollten Dich lebendig haben, tot werden sie Dich nicht bekommen. Dreizehn Monate Auslieferungshaft, dreizehn Monate Angst vor dem Abflug nach Ankara, dreizehn Monate Angst vor jedem unvorhergesehenen Drehen des Schlüssels, jetzt endlich bist Du frei. Aber wir alle haben uns das anders vorgestellt. Worüber hat diese «weltoffene Stadt» gelacht, als mein Mandant in Haft saß? Ich kann es Euch nicht ersparen, mir ist es auch nicht erspart geblieben. Man hat mir in dieser Zeit sogenannte Türken-Witze erzählt: «Was ist ein Türke, der auf einem Müllsack sitzt? Das ist ein türkischer Hausbesetzer.» «Was ist ein Türke, der auf zwei Müllsäcken sitzt? Ein türkischer Immobilienmakler.» «Was ist ein Türke, der in einem Müllsack steckt? Das ist Platzverschwendung, da passen nämlich zwei Türken rein.» Das wurde mir von Berliner Bauarbeitern erzählt.

«Was entsteht für ein Geräusch, wenn ein Lastwagen über einen Türken fährt? Kanack.» Das wurde mir von einem Berliner Gerichtsreferendar erzählt.

«Ein Mann geht in einen Spielwarenladen und kauft eine Maus zum Aufziehen. Er kommt am nächsten Tag wieder. Der Verkäufer fragt: Es wurde zur Erklärung seines Todes in letzter Zeit viel gemutmaßt, er sei nicht in der Lage gewesen, die deutsche Sprache zu verstehen, er habe die ganze Situation verkannt. Er sprach und verstand sehr gut Deutsch. Er hatte auf der Schule Deutsch gelernt, er hat auf der Universität Deutsch gelernt, er hatte Sprachkurse besucht, als er in Berlin lebte. Und er hat noch anderes auf der Schule über Deutschland gelernt, von fortschrittlichen Lehrern, wie er mir sagte. Sie brachten ihm bei, daß die Bundesrepublik eine tatsächliche Demokratie im Gegensatz zur Türkei sei, daß hier Bürgerrechte und Menschenrechte verwirklicht würden. Und als er dann hier war, sagte er nur noch, wie konnten sie mir so Falsches beibringen. Er hatte Vertrauen in die deutschen Behörden und hat ihnen alles anvertraut, was man ihm in der Türkei vorwarf. Dieses Vertrauen wurde damit vergolten, daß er... der Türkei auf dem silbernen Tablett präsentiert wurde, und sie haben sich nicht zweimal bitten lassen, im Dienste einer guten polizeilichen Zusammenarbeit ... Ich hatte nie einen Mandanten in Haft, der so bescheiden war. Ich hatte nie einen Mandanten in Haft, der noch nicht einmal zu seinem Geburtstag ein Geschenk wollte, weil man das in seiner Heimat nicht feiert. Ich hatte nie einen Mandanten, der sich nie beschwerte, daß der Anwalt so selten oder so spät kommt. Ich hatte nie einen Mandanten, der nie irgend etwas wollte oder verlangte oder um irgend etwas bat. Er hatte nur eine Bitte, die hat er in seiner Anhörung vor dem Bundesamt geäußert. Diese Bitte war offenbar so daneben, daß sie gar nicht in das Protokoll aufgenommen wurde. Sie wurde auch auf deutsch vorgebracht, sie brauchte von den Dolmetschern nicht übersetzt zu werden. Die Bitte war: «Ich will leben.»

Zum Abschluß ist zu fragen: Was ist von Richtern zu halten, die ihren Verpflichtungen in keiner Weise nachkommen, trotz des Protestes, der niemand ausließ, der in diesem Land sensibel ist, der in diesem Land eintritt für Menschenrechte? Was ist von Richtern zu halten, die sich keinerlei Gedanken über den machen, der ihnen anvertraut ist in ihrer Funktion als Haftrichter? Was ist von einer Justizverwaltung zu halten, die vorgestern durch den höchsten Beamten dort, Herrn v. Stahl, äußerte, seines Wissens nach sei die CHP, die republikanische Volkspartei, eine linksradikale Gruppierung, die Partei von Cemal Atatürk, von Inonü und Ecevit. Er konnte dies im übrigen sagen, ohne daß durch die dort vertretenen SPD-Mitglie-der ein Aufschrei des Entsetzens ging. Eine inzwischen aufgelöste Kammer des Verwaltungsgericht Stade (Niedersachsen) hat einmal festgestellt: Das Auswärtige Amt übernimmt das ideologische Gedankengut der türkischen Junta. Ich mußte vorgestern feststellen: Die Senatsverwaltung für Justiz übernimmt die politische Eingruppierung der türkischen Junta.

Cemal, Du hattest in diesem Land keine Chance, aber die Verantwortlichen sind bekannt. Solange wir in der Lage sind zu sprechen, zu informieren und die Warheit zu sagen, solange werden wir die Verantwortlichen beim Namen nennen. Dein Tod darf nicht umsonst gewesen sein, weil immer noch nicht verbindlich erklärt wurde, daß mit dem Terror der Auslieferung an die türkischen Generäle ein für allemal Schluß ist, weil immer noch nicht verbindlich erklärt wurde, daß das Vermächtnis der deutschen Antifaschisten erfüllt wird: daß es in Deutschland nie wieder Faschismus geben soll. Das heißt auch, daß deutsche Regierende nie wieder mit Faschisten, nie wieder mit Generälen, nie wieder mit Diktatoren zu Lasten der gepeinigten Menschen Zusammenarbeiten dürfen.

Nachruf für Altun

Frei naeh.Nazim Hikmet

Dort liegt ein Toter,
ein Junge von dreiundzwanzig Jahren,
unter den Sternen bei Nacht,
am Tage unter der brütenden Sonne
im Exil in Berlin.

Ein Toter liegt dort,
in der Hand ein Lehrbuch
und einen Traum - er träumte ihn kaum
neunzehnhundertdreiundachtzig
in der Sonne des August
im Exil in Berlin.

Dort liegt ein Toter,
der für eine freie Türkei kämpfte,
und das Blut, das aus seiner Wunde floß,
erblühte wie eine rote Nelke auf seiner Stirn
im Exil in Berlin.

Ein Toter liegt dort,
und sein Blut wird solang in die Erde rinnen,
bis wir mit Freiheitsliedem
die Freiheit zu erobern beginnen.

Cumali Yabanci

…..




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