La bibliothèque numérique kurde (BNK)
Retour au resultats
Imprimer cette page

Renaissance des Islam - Das Beispiel Türkei


Auteurs : |
Éditeur : Junius Date & Lieu : 1987, Hamburg
Préface : Pages : 178
Traduction : ISBN : 3-88506-154-6
Langue : AllemandFormat : 135x210 mm
Code FIKP : Liv. Ger. Wer. Ren. N° 600Thème : Religion

Présentation
Table des Matières Introduction Identité PDF
Renaissance des Islam - Das Beispiel Türkei

Renaissance des Islam - Das Beispiel Türkei

Rainer Werle
Renate Kreile

Junius

Auch in der Türkei erlebt der Islam seit mehreren Jahren eine Renaissance, werden seine Moralvorstellungen und Werte im privaten und öffentlichen Leben stärker eingefordert und praktiziert. Dieses Buch stellt die verschiedenen Strömungen des islamischen Fundamentalismus dar und ihren Einfluß auf das gesellschaftliche Leben in der Türkei sowie auf die Türken in der Bundesrepublik. Es erklärt die Re-Islamisierung als Reaktion auf den Versuch, das Land von oben nach westlichen Vorbildern zu modernisieren, ohne auf die traditionelle Kultur Rücksicht zu nehmen. Hier geben zwei kompetente Türkei-Kenner aktuelle Hintergrundinformationen für alle, die beruflich oder als Mitbürger mit Türken Zusammenkommen und ihre Denkweisen besser verstehen wollen. Die Interpretation der Autoren liefert zugleich Hinweise zur Erklärung von Tendenzen der Re-Islamisierung auch in anderen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens.



EINLEITUNG

Mit dem Sturz des Schah-Regimes in Iran durch die >Islamische Revolution« von 1978/79 rückten die Reislamisierungstendenzen im Nahen Osten ins Blickfeld der Öffentlichkeit. Und da der Sturz des Schah, vor allem aber die Machtübernahme durch islamische Fundamentalisten, für viele Beobachter überraschend kam, drängte sich die Frage auf, ob eine ähnliche Entwicklung auch in anderen Ländern der islamischen Welt möglich sei.

Offenkundig war, daß der Sieg Khomeinis beträchtliche Wirkung auf andere Länder des Nahen Ostens ausübte. Verschiedene Moslembruderschaften und andere islamisch-fundamentalistische Gruppierungen traten verstärkt in die Öffentlichkeit, forderten die Rückkehr zu islamischen Grundsätzen des öffentlichen Lebens sowie die Einführung des islamischen Sheriat-Rechts und machten durch Aktionen — besonders spektakulär die Besetzung der Großen Moschee von Mekka im November 1979 — von sich reden.

Andererseits ist festzustellen: »Die Existenz all dieser Gruppen und der Einfluß, den sie ausüben, vermag nicht darüber hinwegzutäuschen, daß in der islamischen Welt gegenwärtig nur eine Minderheit von Aktivisten der fundamentalistischen Bewegung angehört. Aufgrund ihres Erfolges in Iran oder, allgemeiner ausgedrückt, aufgrund ihres militanten und politischen Charakters hat sie sich in der Öffentlichkeit besonders stark bemerkbar gemacht.« 1
Doch auch jenseits des islamischen Fundamentalismus mit seiner Forderung, den gesamten Staat und das öffentliche Leben gemäß den Geboten des Koran zu gestalten, findet sich in den letzten Jahren im Nahen Osten eine Renaissance des Islam: »Auch wenn sich die iranische Revolution als nicht exportierbar« erweisen sollte,... so haben die Ereignisse in Iran doch dazu beigetragen, den Stellenwert der Religion auch in den arabischen Ländern beträchtlich zu verändern. Einerseits wurden dadurch die schon vorher vorhandenen Tendenzen wesentlich verstärkt, das öffentliche und private Leben mit islamischen Inhalten sehr viel stärker und bewußter auszufüllen; so gibt es heute in den Golfstaaten sehr viel mehr Araber, die morgens um fünf Uhr zum ersten Gebet zur Moschee um die Ecke gehen, nicht weil es von ihnen erwartet wird, sondern weil sie selbst jeden Tag mit religiösen Handlungen gestalten wollen.«2
Andererseits entsprachen verschiedene Regierungen im Nahen Osten diesem Trend und vollzogen einen Wandel hin zu einer stärkeren Beachtung islamischer Vorschriften. Dabei reicht das Spektrum von der pakistanischen Regierung, die zumindest dem Anspruch nach das Sheriat-Recht zur verfassungsmäßigen Grundlage des Staates erklärte, über Ägypten, in dem ein politisches Tauziehen zwischen Befürwortern und Gegnern einer stärkeren Orientierung am islamischen Recht begann, bis hin zum Irak, dessen baathistische Führung zu derartigen Zugeständnissen kaum bereit ist, zumal dies die irakische Position im Krieg mit dem Nachbarn Iran schwächen könnte.

In diesem Spannungsfeld ist auch die Entwicklung in der Türkei zu sehen: Einerseits behält auch die neue Verfassung von 1982 das Prinzip des Laizismus, der strikten Unabhängigkeit des Staates von der Religion, bei, andererseits hatte schon 1976 der damalige Ministerpräsident Demirel festgestellt, »zwar sei der Staat laizistisch, nicht aber die Nation«3. Tatsächlich ist seit Jahren eine Renaissance des Islam im öffentlichen Leben der Türkei zu beobachten, und dieser Trend hat sich in der Zeit nach dem Militärputsch vom 12. September 1980 noch verstärkt. Mit Turgut Özal wurde 1983 ein Mann Ministerpräsident, der im Fastenmonat Ramadan keine Reisen in nicht-islamische Länder unternimmt und dessen Regierung im Sommer 1984 die Bierwerbung im Staatsfernsehen verbot, da Bier ein alkoholisches Getränk< sei4. Derartige Maßnahmen entsprechen der Stimmung in Teilen der Bevölkerung. Die Moscheen sind besser besucht als in früheren Jahren, und selbst in Kreisen der Großstadt-Intelligenz gehört es heute durchaus zum guten Ton, »auf Cocktail-Parties demonstrativ den Anisschnaps Raki zu verschmähen und sich stattdessen an Fruchtsäften zu laben«5.

Die Reislamisierungstendenzen in Ländern wie der Türkei und Ägypten drängen zugleich den Eindruck auf, daß es sich hierbei um einen grundlegenden Wandel in der ideologisch-politischen Orientierung handelt; denn gerade die Türkei und Ägypten waren jene Länder des Nahen Ostens, die unter der Führung von Mustafa Kemal (Atatürk) bzw. Gamal Abdel Nasser konsequent den Versuch unternommen hatten, durch einen eigenständigen nationalen Entwicklungsweg Anschluß an den industrialisierten Westen zu finden. Dies schien möglich zu sein, wenn zugleich die traditionell starke Rolle des Islam in Politik und öffentlichem Leben zugunsten eines westlich-aufgeklärten Denkens aufgegeben würde. Im Gegensatz zur heutigen Tendenz der Reislamisierung läßt sich diese Politik geradezu als gezielte >Deislamisierung< charakterisieren.

Unbestreitbar ist, daß diese Politik Atatürks bzw. Nassers beiden Ländern auf ökonomischem und sozialem Gebiet wesentliche Fortschritte brachte. Und solange die Westorientierung bei gleichzeitigem Bemühen um Unabhängigkeit des Landes Erfolge aufweisen konnte, fand sich hierfür auch eine ausreichende Massenbasis in der Bevölkerung. Der Wandel hin zu einer Rückbesinnung auf den Islam verweist somit auch auf die Tatsache, daß die Parolen von »Fortschritt und Modernisierung< an Attraktivität und Akzeptanz verloren haben.

Im Falle der Türkei ist dies insbesondere im Zusammenhang mit der tiefen Wirtschaftskrise zu sehen, die Ende der siebziger Jahre das soziale und politische System des Landes schwer erschütterte und in deren Folge die Militärs zum dritten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg die Macht übernahmen. Letztendlich markiert diese Krise das Scheitern der bisherigen türkischen Entwicklungsstrategie, doch stellt sich die Frage, warum die ideologische Antwort auf diese Krisenentwicklung bei großen Bevölkerungsteilen gerade in der Hinwendung zum Islam besteht, sowie, ob damit tatsächlich ein grundlegender Wandel in der ideologisch-politischen Orientierung der Türkei eingetreten ist.

Aufgabe dieses Buches soll es sein, jene ökonomischen, sozialen und politisch-ideologischen Veränderungen zu untersuchen, aufgrund derer in der heutigen Türkei der islamische Fundamentalismus Fuß fassen konnte und sich Reislamisierungsten-denzen ausbreiten. Welche gesellschaftlichen Faktoren müssen Zusammenkommen, um einen Prozeß der Reislamisierung in Gang zu setzen? Welche internen Veränderungen haben es möglich gemacht, daß die vom Laizismus geprägte Türkei heute für eine Renaissance des Islam empfänglich wurde? Welche Rolle spielen externe Faktoren, insbesondere die Reislamisierungsten-denzen in den übrigen Ländern des Nahen Ostens? Auf dieser Grundlage wird es möglich sein, die Frage zu beantworten, ob die Türkei ein zweiter Iran werden könnte.

Die genannten Fragestellungen gerade am Beispiel der Türkei zu untersuchen, bietet sich aus mehreren Gründen an: Nach dem Zerfall des Osmanischen Reiches war die junge türkische Republik der erste Staat des Nahen Ostens, der, gestützt auf einen ausgeprägten Nationalismus, den Weg möglichst unabhängiger Modernisierung unternahm. Die Geschichte der Türkei bietet somit über Jahrzehnte hinweg ein Beispiel für die Erfolge wie auch für das Scheitern jener Aufbruchsstimmung in die Moderne, die die anderen Staaten des Nahen Ostens oft Jahrzehnte später (und damit häufig auch schmerzhafter und halbherziger) erfaßte.

Als zweiter Punkt kommt hinzu, daß die große Zahl von türkischen Arbeitsemigranten in der Bundesrepublik das Problem der Konfrontation mit dem >modernen Western auf einer zweiten Ebene erneut und in vieler Hinsicht noch drastischer stellt, als dies in der Türkei selbst der Fall ist. Auch bei vielen Türken in der Bundesrepublik ist die Tendenz zur Reislamisierung unverkennbar, ja häufig noch deutlicher zu bemerken als in ihrem Heimatland. Diese doppelte Konfrontation unter jeweils verschiedenen Lebensumständen (einmal im Heimatland, einmal in der westlichen Metropole) erscheint uns besonders geeignet, die Faktoren zu untersuchen, die den Prozeß der Reislamisierung in Gang setzen. Dementsprechend gliedert sich dieses Buch in zwei Teile:

Der erste Teil beschäftigt sich mit der Türkei selbst. Da die aktuelle Entwicklung der Reislamisierungstendenzen nicht verstanden werden kann ohne Kenntnis der historischen Entwicklung von Staat, Gesellschaft und Religion, wird zunächst das Reformwerk Atatürks und seine Stellung zum Islam behandelt. Dann werden jene islamischen Strömungen dargestellt, die traditionell im Osmanischen Reich eine Rolle spielten bzw. als direkte Antwort auf Atatürks Politik entstanden sind. Ihr Wiedererstarken nach dem Zweiten Weltkrieg wird im Zusammenhang mit der sozialen, politischen und ökonomischen Entwicklung der Nachkriegszeit behandelt, wobei die Frage zu beantworten ist, warum die soziale und ökonomische Krisenentwicklung in der Türkei vor allem zu einer Reislamisierung und nicht zu einer starken Linksentwicklung geführt hat. Die konkreten Ausformungen und Ideologien des islamischen Fundamentalismus in der Türkei werden am Beispiel der Nationalen Heilspartei< (MSP), der Nationalen Aktionsparlei< (MHP) sowie verschiedener islamischer Sekten vorgestellt. Den Schluß dieses ersten Teils bildet die Darstellung der Reislamisierungstendenzen und ihrer Funktion nach dem Putsch der Militärs vom 12. September 1980 und ein Ausblick auf die Perspektiven des islamisch-fundamentalistischen Einflusses in der Türkei.

Der zweite Teil beschäftigt sich mit den Ursachen und Auswirkungen der Reislamisierungstendenzen unter Türken in der Bundesrepublik. Dabei spielen sowohl die Gründe für die Arbeitsemigration aus der Türkei in die Bundesrepublik eine Rolle als auch die Lebens- und Arbeitssituation, welche die Arbeitsemigranten hier vorfanden, insbesondere die offizielle Ausländerpolitik der Bundesregierung und die zunehmende Ausländerfeindlichkeit unter Teilen der deutschen Bevölkerung. Darüber hinaus werden auch die organisatorischen Strukturen und die politische Praxis des islamischen Fundamentalismus in der Bundesrepublik dargestellt.

Als >Einstiegshilfe< in das Thema haben wir dem ersten Teil ein Kapitel vorangestellt, das zum Begriff >Reislamisierung< und seiner Bedeutung eine Einführung bietet. Eine Schlußbetrachtung zum Thema »Reislamisierung und Modernisierung« faßt über die Türkei hinausgehend die Ergebnisse dieser Arbeit zusammen und kommt zu einigen entwicklungspolitischen Schlußfolgerungen.

Tübingen, im Januar 1987
Rainer Werle/Renate Kreile



Kapitel 1
Schlagwort >Reislamisierung<

>Reislamisierung< meint Rückkehr zum Islam als einer Wertorientierung des gesamten gesellschaftlichen Lebens. Es geht also nicht nur darum, daß die muslimische Religion als Privatangelegenheit jedes einzelnen eine Renaissance erfährt, sondern vor allem um die Organisation des öffentlichen Lebens nach den Grundsätzen des Koran und nach den Vorschriften des islamischen Sheriat-Rechtes.

Dieser zentrale Punkt aller Bestrebungen zur Reislamisierung findet seine Begründung zunächst im Charakter und Anspruch des Islam selbst: Der Islam ist nicht nur eine Religion, die Maßstäbe und Gebote für einen individuellen Heilsweg benennt, sondern auch eine Lehre über die Organisationsprinzipien für eine gerechte, gottgefällige Gesellschaft im Diesseits. Der Kampf für eine solche Gesellschaft gilt als der sicherste Weg, sich einen Platz im Paradies zu sichern: »Siehe sie, die da glauben und auswandern und streiten in Allahs Weg, sie mögen hoffen auf Allahs Barmherzigkeit, denn Allah ist verzeihend und barmherzig.«1 Dementsprechend enthalten der Koran und die überlieferten Aussagen und Handlungen des Propheten Mohammed (Hadith) ein Normensystem für alle Bereiche der menschlichen Gesellschaft (allerdings einer Gesellschaft, wie sie vor über 1300 Jahren existierte und sich seither drastisch verändert hat). Rückkehr zum Islam kann daher strenggenommen nie ein individueller Akt sein, sondern zielt immer auch auf eine gesellschaftliche Umorientierung.

Damit ist in der Denkweise des orthodoxen Islam ein beständiger Widerspruch zu einem modernen, säkularen Staatswesen vorgegeben. Die meisten Staaten des Nahen Ostens lehnen »die Schaffung eines islamischen Staates bzw. eines Gemeinwesens, in dem der Islam die Hauptlegitimation ihrer Herrschaft darstellt, ab. Vielmehr vertreten sie den vom Westen übernommenen …




Fondation-Institut kurde de Paris © 2024
BIBLIOTHEQUE
Informations pratiques
Informations légales
PROJET
Historique
Partenaires
LISTE
Thèmes
Auteurs
Éditeurs
Langues
Revues