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Türken, Kurden und Iraner seit dem Altertum


Auteur :
Éditeur : Gustav Fischer Date & Lieu : 1961, Stuttgart
Préface : Pages : 124
Traduction : ISBN :
Langue : AllemandFormat : 150x220 mm
Code FIKP : Liv. Ger. Eic. Tur. N° 667Thème : Général

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Türken, Kurden und Iraner seit dem Altertum

Türken, Kurden und Iraner seit dem Altertum

Egon von Eickstedt

Gustav Fischer

Auffallenderweise gehört der vordere Orient zu den anthropologisch am wenigsten bekannten Gebieten der Erde. Das gilt trotz der räumlichen Nähe zu Europa, trotz vieler archäologischer Expeditionen und reger wirtschaftlicher, kultureller und politischer Verbindungen. Doch bei all dem ist die Anthropologie zu kurz gekommen. Es ist bisher alles bei Stichproben geblieben, die mehr Fragen aufwarfen als beantworteten. Es fehlt ein Überblick über das heutige typologische Bild, fehlen die Zusammenhänge in der zeitlichen Tiefe und räumlichen Breite.
Der Mainzer Anthropologe Von Eickstedt hat sich in seinen Studien dem Menschen selbst im Orient zugewandt. Er hat dabei drei Probleme bevorzugt, die ebenso anthropologisch wie archäologisch interessieren: das Hethiter-Türkenproblem, das Kassiten- Indogermanenproblem und das Meder-Kurdenproblem, an die sich die Fragen der Typologie der großen wie der versteckten Völker im Altertum und heute ohne weiteres anschließen. Die Darlegungen der Arbeit gehen mit den theoretischen Folgerungen und Deutungen Hand in Hand. So wird an dem Verlauf der Reise selbst das jeweilige typologische Problem an und mit der Landschaft und an Ort und Stelle archäologischer Fundstellen entwickelt und diskutiert. Dem Leser wird dadurch die Möglichkeit des Miterlebens geboten, eines Mitspürens des Zusammenklanges von Mensch, Raum und Zeit und der lebendigen Dynamik einer Biohistorie, die von der Anthropologie zur Geschichte die Brücken schlägt.
Das Buch ist bei aller wissenschaftlichen Gründlichkeit glänzend geschrieben und zeichnet sich durch reiche Bebilderung aus. Es wendet sich an Anthropologen, Archäologen, Ethnologen, Historiker und Geographen, an alle Naturwissenschaftler und Ärzte, wissenschaftliche Institute und Bibliotheken. Daneben ist es aber auch für jeden interessierten Laien, für Schulen und alle Büchereien hervorragend geeignet.



I. ZUR EINFÜHRUNG

Auffallenderweise gehört der Vorderorient zu den anthropologisch am wenigsten bekannten Gebieten der Erde. Das gilt trotz seiner räumlichen Nähe zu Europa, trotz vieler und recht aufschlußreicher archäologischer und orientalischer Expeditionen und Studien, trotz vieler Orientalen an unseren Hochschulen und trotz reger wechselseitiger Handelsinteressen und beiderseits ausgesprochener Sympathien. Doch bei all dem ist die Anthropologie zu kurz gekommen. Für sie bedeutet Orient noch weithin Neuland. Wer hat sich schon seit v. Luschan, Ariens Kappers, wer außer Kansu, Coon und Henry Field besonders um die Typologie von Türkei oder Iran bemüht? Es ist bisher alles bei Stichproben hängen geblieben, die mehr Fragen aufwarfen als beantworteten. Es fehlt also noch ein Überblick über das heurige typologische Bild, fehlen die Zusammenhänge in der zeitlichen Tiefe und räumlichen Breite.

Das allerdings hat seine verständlichen Gründe. Denn den Archäologen lag es nur erst in zweiter oder dritter Linie an den Menschen, die die alten Kulturen schufen, den Linguisten sind die sprachverbundenen Völker, aber nicht die bodenverbundenen rassischen Typen und ihre bevölkerungsbiologische Dynamik wichtig, und vor allem war der Orient in seinen entlegeneren Gegenden bis vor kurzem nur schwer, wenn überhaupt zugänglich. Stehen doch Türkei und Iran noch heute im Zug einer akkulturativen Anpassung voller Schwierigkeiten und Probleme, richtiger einer Umstellung in der Zivilisation, die zugleich von schweren Verlusten hinsichtlich der alten nationalen Kulturen begleitet wird.
Um so wünschenswerter wäre es, sich beizeiten auch einer Untersuchung der Menschen selbst im Orient zuzuwenden, die die glänzenden Kulturen und Reiche des Altertums schufen und heute immer aktiver an den welthistorischen Geschehnissen unserer eigenen Zeit teilnehmen; um so interessanter auch wäre es, den landschaftlichen und wirtschaftlichen Verbundenheiten der Menschen im Orient nachzugehen, ehe die technische Nivellierung auch hier ihre Ursachen und Werte verschüttet. Denn der Mensch hängt ja nicht im luftleeren Raum, sondern entwickelt sich in und mit den Veränderungen seiner Lebensräume und Lebensweisen im Laufe der2e/7, zusammen mit kulturellen Wandlungen also und ihren bevölkerungsbiologischen Sichtungen und Siebungen, entwickelt sich auch in und mit seinem Raum, seinem Lebensraum, aus dem ihm seine Kultur und Wirtschaft überhaupt erst zuwachsen. Und so wird auch erst in diesem Wechselspiel zwischen den inneren Anlagen und ihren äußeren Möglichkeiten der Mensch, wie wir ihn sehen. Ohne Historie, biologisch betrachtet, und ohne Geographie, biologisch verstanden, kann daher auch keine menschliche Biologie, keine Anthropologie vollständig oder auch nur in ihren Gesamtergebnissen befriedigend sein.

Raum und Zeit aber sind nicht nur theoretisch zu verstehen: sie wollen und müssen erlebt werden, die Zeit als Wandel und der Raum im Wirklichkeitsbild. Anthropologie erschöpft sich daher nicht in Laboratorium und Bibliothek, sondern will selbst erfahren werden. Man muß die alten Berghorste gesehen haben, die zu Rückzugsgebieten von Völkern, Stämmen und Kulturen wurden, ihre Wirtschaftsmöglichkeiten, Klimate und Vegetationen beobachtet haben, muß die Pässe selbst überqueren, die solche Isolate zerschneiden, Verdrängten Zufluchtswege öffneten und Verbindungen zu und zwischen den Völkern der offenen Landschaft boten, muß die dichten Bevölkerungen der Täler, Wannen und Alluvionen kennen, wenn man ihre bevölkerungsbiologischen Rhythmen, Schichtungen und Siebungsprozesse abschätzen will. Und man muß, das wichtigste von allem, als Menschenforscher auch unter und mit den Menschen gelebt, erlebt und miterlebt haben, über die man Gültiges aussagen will.

Es ist aber erstaunlich, wie oft « Wanderwege » neuer Völker quer über unwegsame Gebirge oder mitten durch kompakte Siedlungsgebiete gezogen werden, wo es sich noch dazu meist nur um das Weitersickern von Sprachen handelt, und ist nicht weniger erstaunlich, wie alte Reiche und Reichsgren^en sicher kartiert werden, wo es sich bestenfalls um Interessengebiete und sehr oft nicht einmal das handelt. Und es ist am erstaunlichsten, wie Menschen beurteilt werden, zu denen der Beurteiler nicht den geringsten inneren oder äußeren Kontakt besitzt oder aufbringen kann. Noch heute sind die Oberamazonier oder die Lolö des Da-Liang-Schan alles andere als getreue Bürger der Staaten, in die sie hineinkartiert werden, noch immer gilt, daß man nur beurteilen kann, was man sowohl praktisch wie theoretisch kennt. Für ein mir durch langjähriges Leben und Miterleben unter seinen Völkern besonders nahe vertrautes Gebiet konnte das (hinsichtlich der bevölkerungsbiologischen Entwicklung während der letzten Jahrtausende) ächon aufgezeigt werden (i). Für den Orient aber fehlt eine solche Arbeit noch.

So war es die Absicht einer kurzen Expedition durch Türkei und Iran, zunächst die Möglichkeiten abzutasten, die sich einem Erfassen der rassischen Typenvariabilität im Orient bieten und einen ersten Versuch zu unternehmen, ihrem biohistorischen Werden nachzugehen, also Richtungen und Grenzen des Erreichbaren abzustecken. Denn wenn auch das - leider noch immer allzu spärliche -Skelettmaterial aus älteren Perioden und Fundstätten längst eine eingehende Würdigung gefunden hat, so blieben doch die Verbindungen dieser Befunde aus dem Altertum mit Stand und Zustand der heutigen Bevölkerung nur recht lose, und das nicht zuletzt eben deshalb, weil deren Tvpenbild selbst heute nur unzulänglich bekannt ist. Mit einigen Stichproben oder breit generalisierenden Provinzial-Mittelwerten ist jedoch einer bevölkerungsbiologischen Analyse noch nicht gedient, wenn es um die Erfassung des lebendigen und raum- und kulturverbundenen Typus der Menschen geht. Eben das aber ist das Hauptziel der Anthropologie: Den lebendigen Menschen nicht nur zu zergliedern und zu testen, sondern in seiner Einheit zu verstehen, eben als lebendigen Menschen in seiner funktionalen Ganzheit (wobei «lebendig » für alle Zeiten und nicht etwa wie «lebend » nur für die Heutigen gilt, was nicht verwechselt werden sollte, wie bei E. Mühlmann '52:85).

Über bloße Maße hinaus sind daher auch die Beobachtung von Gesichts- und Leibesbildung, von Verhalten und nicht zuletzt den Lebens- und Umweltbedingungen vonnöten. Davon aber liegt bisher so gut wie nichts vor. Deshalb sind auch die Beziehungen zwischen heute und einst noch so lückenhaft, die Beziehungen von den heutigen Türken und Persern zu den großen Nationen ihres Altertums, die im Orient Geschichte gemacht haben. Und weil es sich dabei um die erste und oft großartige Geschichte handelt, die weitgehend auch das kulturelle Werden Europas mit beeinflußte, wäre es um so aufschlußreicher, die Träger selbst dieser Geschichte näher zu kennen.
Denn dann erst kann sich eine echte Biohistorie ergeben, eine Geschichte nicht nur vom
Geschehen her, sondern den Verursachern der Ereignisse und ihren lebendigen Schöpfern selbst her gesehen.

Klar ist dabei zunächst die Rolle des Raumes. Mensch wie Ereignisse sind an den Raum gebunden. In typischen Räumen entstanden auch typische Formen, weil der Lebensraum mit seiner Wirtschaftsweise zugleich die sozialen Zusammenhänge bestimmt, entstanden wie bei allen Lebewesen und so auch den Menschen schon lange vor aller Geschichte jene Geotypen, die wir biologisch als Rassen oder Varietäten bezeichnen. In und mit ihnen ging und geht jede Entwicklung weiter: Rassen sind plastisch, sind Prozeß. In ihnen erfaßt das immer neue genische oder gar mutative Einspiel streuender Einzelmerkmale natürlich nicht jedes Individuum in gleicher Weise oder Stärke, sondern äußert sich bald weniger typisch, bald «besser » und wird am besten erst in solchen Kenntypen greifbar, die sehr viele von jenen Merkmalen auf sich vereinigen, die im Ausschwingen der Formenketten jeweils Geotypus von Geotypus trennen. Der allgemeine Geotypus variiert also, der individuelle Kenntypus aber charakterisiert.

Nicht minder klar ist die Rolle der Zeit. Ist alles Lebendige an den Raum und seine Lebensmöglichkeiten gebunden, liegt hier das Moment bodenverwurzelter Konstanz, so bringt die Zeit ihrerseits eine gewisse Befreiung von solchen Bindungen, indem sie dem evolutiven Potential einer Art zu mutativen Verwirklichungen, also zu langsamen I 'erändenmgen des Typus verhilft. Zur Tendenz der Konstanz tritt damit die Tendenz der Inkonstanz, und das nie endende Widerspiel beider wird zum Aktivator einer vitalen Dynamik. Die Zeit bringt neue Formen. Beim Menschen aber tritt außerdem als neuer und nur-menschlicher Faktor der biologischen Bindung noch die Sprache hinzu. Aus Horden allein geotypischer und streuvariabler Prägung konnten damit Stämme zugleich geotypischer und kultureller Prägung und schließlich Völker werden. So gingen mit der steigenden Zivilisation auch die örtlichen und räumlichen, die natürlichen Lokal- und Rassentypen wachsend und mehr oder minder ineinander über. Kein Volk, das nicht zugleich ein Tvpengemisch wäre. Aber auch diese Völker griffen und konnten nur dort vorgreifen, wo der Raum Wege und gemäße Lebensmöglichkeiten bot, oder mußten verharren, wo der Raum Sperren legte oder die Wirtschaftlichkeit der Böden zu Konzentraten führte, und in beiden Fällen lief die genetische Entwicklung von Lokal- oder Mischgruppen und später auch Siebungsund Sozialschichten nach wie vor weiter. Und da Typus immer körper-seelische Einheit und funktional wirkvolle Harmonie eines Ganzen ist, schlagen - aller mendelistischen Vererbung sekundärer Einzelmerkmale zu trotz - die ursprünglichen Geotypen als solche bei den Mischungen immer wieder durch. Noch immer sind die menschlichen Geotypen daher in Berg und Ebene und von Zone zu Zone erkenntlich und auch innerhalb der verschiedenen Völker verschieden in deren Lebensräumen und Gesellschaftsgruppen verteilt. Zivilisation bringt also zwar eine gewisse Befreiung von der natürlichen Umwelt mit sich, aber nie völlige Freiheit. Und so sucht die Biohistorie oder Bevölkerungs- und Rassengeschichte aus Skelett, Bildwerk und Kulturschöpfung die Typenvielfalt und das Wesen der eistgen von den heutigen Türken und Persern zu den großen Nationen ihres Altertums, die im Orient Geschichte gemacht haben. Und weil es sich dabei um die erste und oft großartige Geschichte handelt, die weitgehend auch das kulturelle Werden Europas mit beeinflußte, wäre es um so aufschlußreicher, die Träger selbst dieser Geschichte näher zu kennen. Denn dann erst kann sich eine echte Biohistorie ergeben, eine Geschichte nicht nur vom Geschehen her, sondern den Verursachern der Ereignisse und ihren lebendigen Schöpfern selbst her gesehen.

Klar ist dabei zunächst die Rolle des Raumes. Mensch wie Ereignisse sind an den Raum gebunden. In typischen Räumen entstanden auch typische Formen, weil der Lebensraum mit seiner Wirtschaftsweise zugleich die sozialen Zusammenhänge bestimmt, entstanden wie bei allen Lebewesen und so auch den Menschen schon lange vor aller Geschichte jene Geotypen, die wir biologisch als Rassen oder Varietäten bezeichnen. In und mit ihnen ging und geht jede Entwicklung weiter: Rassen sind plastisch, sind Prozeß. In ihnen erfaßt das immer neue genische oder gar mutative Einspiel streuender Einzelmerkmale natürlich nicht jedes Individuum in gleicher Weise oder Stärke, sondern äußert sich bald weniger typisch, bald «besser » und wird am besten erst in solchen Kenntypen greifbar, die sehr viele von jenen Merkmalen auf sich vereinigen, die im Ausschwingen der Formenketten jeweils Geotypus von Geotypus trennen. Der allgemeine Geotypus variiert also, der individuelle Kenntypus aber charakterisiert.

Nicht minder klar ist die Rolle der Zeit. Ist alles Lebendige an den Raum und seine Lebensmöglichkeiten gebunden, liegt hier das Moment bodenverwurzelter Konstanz, so bringt die Zeit ihrerseits eine gewisse Befreiung von solchen Bindungen, indem sie dem evolutiven Potential einer Art zu mutativen Verwirklichungen, also zu langsamen I 'eränderimgen des Typus verhilft. Zur Tendenz der Konstanz tritt damit die Tendenz der Inkonstanz, und das nie endende Widerspiel beider wird zum Aktivator einer vitalen Dynamik. Die Zeit bringt neue Formen. Beim Menschen aber tritt außerdem als neuer und nur-menschlicher Faktor der biologischen Bindung noch die Sprache hinzu. Aus Horden allein geotypischer und streuvariabler Prägung konnten damit Stämme zugleich geotypischer und kultureller Prägung und schließlich Völker werden. So gingen mit der steigenden Zivilisation auch die örtlichen und räumlichen, die natürlichen Lokal- und Rassentypen wachsend und mehr oder minder ineinander über. Kein Volk, das nicht zugleich ein Typengemisch wäre. Aber auch diese I ölker griffen und konnten nur dort vorgreifen, wo der Raum Wege und gemäße Lebensmöglichkeiten bot, oder mußten verharren, wo der Raum Sperren legte oder die Wirtschaftlichkeit der Böden zu Konzentraten führte, und in beiden Fällen lief die genetische Entwicklung von Lokal- oder Mischgruppen und später auch Siebungsund Sozialschichten nach wie vor weiter. Und da Typus immer körper-seelische Einheit und funktional wirkvolle Harmonie eines Ganzen ist, schlagen - aller mendelistischen Vererbung sekundärer Einzelmerkmale zu trotz - die ursprünglichen Geotypen als solche bei den Mischungen immer wieder durch. Noch immer sind die menschlichen Geotvpen daher in Berg und Ebene und von Zone zu Zone erkenntlich und auch innerhalb der verschiedenen Völker verschieden in deren Lebensräumen und Gesellschaftsgruppen verteilt. Zivilisation bringt also zwar eine gewisse Befreiung von der natürlichen Umwelt mit sich, aber nie völlige Freiheit. Und so sucht die Biohistorie oder Bevölkerungs- und Rassengeschichte aus Skelett, Bildwerk und Kulturschöpfung die Typenvielfalt und das Wesen der einstigen Menschen wiederzufinden, die die frühhistorischen Ereignisse abrollen und die Zivilisationen entstehen ließen, und sucht ihnen in ihrer vielgestaltigen Dynamik durch den Raum und bis in die heutige Zeit herauf nachzuspüren.

Nicht daß sich dabei etwa eine Rasse, eine räumliche Typengemeinschaft, als besonders zivilisatorisch begabt oder nicht erwiese - alle Menschengruppen haben potentiell die Fähigkeit zum Einsatz hoher und höchster Selbstdomestikation, eben zu Zivilisation. Allerdings ist die intellektuelle Fähigkeit dafür individuell erblich verschieden, und hier setzt daher die soziale Siebung der Geeigneten und des Gesuchten an. Gesucht wird dabei natürlich das jeweils Zeitnotwendige: Zivilisationsunterschiede sind Zeitunterschiede.
Dagegen aber - und das ist oft viel interessanter - sind Wesen und Haltung bei biologischen Typen verschieden, und zwar nunmehr nicht nur individuell, sondern gmppenbaft verschieden. Denn jeder menschliche Typus hat ja aus der Ganzheit und Harmonie seines körperseelischen Wurfes heraus seine jeweils eigene Art des Erlebens und damit seine eigene kulturelle Haltung: Kulturunterschiede sind Wesensunterschiede. Das gilt schon für die Einstellung und Mitwirkung von Mann und Frau in einer gegebenen Kultur oder Volksgemeinschaft, für die Siebungsmöglichkeiten der Breitwuchsoder Langwuchstypen oder auch Altersstufen und gilt erst recht für Wesen, Siebung und Einsatz regionaler Gcotypen. Je größer dann der Reichtum an Typen, desto größer auch die Möglichkeiten kulturellen Einsatzes. Zivilisation ist also intellektuelle Potenz, Kultur aber ihr jeweiliger Wesensausdruck.

Daher also suchen wir solche raumweiten Tvpenähnlichkeiten, um uns ein Bild vom Aussehen und eine Vorstellung vom Wesen der Träger alter oder neuer Kulturen machen zu können. Viel ist darin noch im Orient zu leisten und zu lernen. Dabei ist es zunächst angezeigt, von den bereits bekannten oder wenigstens anerkannten Geotypen oder Rassen in Europa oder Orient auszugehen (2), dies aber im Hinblick auf etwa nötige Kritik oder Korrekturen oder auch Änderungen in den Grenz- oder Mengenzuweisungen.

Dann kommen die schlankwüchsig-mandeläugigen Orientaliden mit leicht gebogener Nase und langem Kopf in Frage, die offenbar eine (ursprünglich mediter-ranide) Einpassungs- oder Entwicklungsform der arabo-syrischen Wüstensteppen darstellen, und die untersetzt-kolbennasigen .•Irmeniden, die irgendwie bevorzugt mit den anatolo-armenischen Gebirgen zusammenzuhängen scheinen. Allerdings erhob sich gegen sic schon mancherlei Einspruch, ohne daß bisher Klarheit gewonnen werden konnte. Es kommen des weiteren die aus oder nach Europa hinüberreichenden Geotvpen der untersetzt-kurzköpfigen und gradnasigen Alpiniden mit rundem Gesicht und der hochwüchsig-steilköpfigen und hakennasigen D'tna-riden mit langem Gesicht und hohem Kinn in Frage, beide auch im mitteleuropäischen Gürtel seit dem Neolithikum und bis heute vertreten, und sind schließlich die grazilen und langköpfigen, gradnasigen und sehr dunkelhaarigen Mediterra-niden als Mutterschicht in den mittelmcerischen Landschaften und gelegentlich auch wohl Einschläge jener langwüchsig und blonden Nordiden zu beachten, die um das 2. Jt. aus dem offenen nördlichen Landschaftsgürtel von Mitteleuropa bis Turan mit indogermanisch sprechenden Völkern gegen den Süden vorbrachen, gegen Südeuropa selbst wie im ganzen Orient.

Ihnen nach drängten die Tnraniden, die wir schon historisch und anthropologisch gut fassen können, eine leicht mon-golisierte, letztlich in den transeurasischen Gebirgs- und Kurzkopfgürtel gehörige
Übergangsform, deren Wirkungen zwar historisch sehr weit und bis vor die Tore Wiens griffen, deren biologische Stoßkraft aber schon im nordwestlichen Iran erlahmte. Wir werden uns mit diesen beiden hochdynamischen Typen des öfteren auseinanderzusetzen haben.

Das also sind die regionalen Hauptformen, die zunächst im Arbeitsgebiet der Expedition zu erwarten wären, die aber nach ihrer Verbreitung und erst recht ihren historischen Verschiebungen, biologischen Verflechtungen und geotypischen Lokalbedingungen noch so gut wie unbekannt sind. Und doch sind wir erst nach ihnen und durch sie in der Lage, uns ein lebensnahes Bild auch von den Völkern machen zu können, die die großen ältesten Kulturen einleiteten und die ersten großen Reiche, ja schon das erste Weltreich trugen, von den Heutigen ganz zu schweigen.

Der Umfang dieses Problemkrcises aber greift weit, greift in historische und morphologische wie soziale und psychologische Belange hinein, und so war eine gewisse Beschränkung ratsam. Wir haben daher drei Problewe bevorzugt, die ein ebenso starkes anthropologisches wie archäologisches Interesse beanspruchen dürfen, und die sich zudem ausgezeichnet eignen, die Rolle von Raum und Zeit in der Dynamik menschlicher Gruppenbildungen zu exemplifizieren. Das sind das Hethiter-Türkenproblem, das Kassiten-Indogermanenproblem und das Meder-Kurdenproblem, an die sich die Fragen der Typologie der großen wie der versteckten Völker im Altertum und heute ohne weiteres anschließcn.

Das bestimmt daher auch die \nlage dieses Buches: Es gehen die Darlegungen der Arbeit und Beobachtung mir den theoretischen Folgerungen und Deutungen Hand in Hand. So wird an dem - entsprechend eingerichteten - Verlauf der Reise selbst das jeweilige typologische Problem an und mit der Landschaft und an und auf Ort und Stelle archäologischer Fundstätten entwickelt und diskutiert. Dem Leser soll dadurch die Möglichkeit des Miterlebens geboten werden, eines Mitspürens des Zusammenklanges von Mensch, Raum und Zeit und der lebendigen Dynamik einer Biohistorie, die von der Anthropologie zur Historie die Brücken schlägt.

Zur Schreibweise sei bemerkt, daß die landesübliche Form bzw. auch gelegentlich deren Verdeutschung gewählt wurde, wobei im ersteren Fall beim Türkischen gilt: c = dsch, 9 = tsch, § = sch, z = stimmhaftes s, g (oder gh) —- g in berlinerisch Wagen, 1 (ohne Punkt) = frz. End-e, c = kurzes ä. Im Persischen wurde der üblichen Aussprache gemäß Tabriz nicht Täbris, Maschhad nicht Mesched, Loren nicht Euren usw. geschrieben, z bezeichnet wieder ein stimmhaftes s und gh und q sind tief guttural, kh wie ch in Bach auszusprechen. Die Betonung liegt in beiden Sprachen gewöhnlich auf der letzten Silbe.
Was aber die frühhistorische Chronologie angeht, so erinnere man sich, daß cs sich dabei um Synchronisierungen handelt, die im 1. Jt. n. Chr. oft um einige Jahre im 2. um mehrere Jahrzehnte, im 3. um einige 100 Jahre schwanken können, auch spricht man von kurzen und langen Chronologien. Für die hier erörterten Probleme ist das ziemlich belanglos.

Was endlich die Reise selbst angeht, so mögen zum Abschluß einige kurze Daten und
Danksagungen folgen: Dauer von Spätsommer bis Herbst 1956, Unterstützung in sehr dankenswerter Weise durch die Deütsche Forschungsgemeinschaft, liebenswürdige Begleitung durch Herrn cand. med. Heschmatollah Motamedi aus Kermanschah, dessen gütige Eltern und sein Vetter Madschid Askareian besonders wesentliche Hilfen gaben, und meine langjährige Technische Assistentin, zu denen noch ein wachsamer Vierbeiner kommt.
Zu danken habe ich schließlich noch herzlich den Mitkorrektoren: meiner Frau, Tech.
Assist. A. Kandler, Kustos Dr. W. Klenke und Doz. Dr. H. Walter sowie jenen zahlreichen und hilfsbereiten Gastgebern in Türkei und Persien, deren Namen im Text auftreten, der Leitung der DKW-Werke Ingolstadt und insbesondere Herrn Direktor Hunold, die regen Anteil an der Wüsten- und Bergfestigkeit des Expeditionsbus nahmen, und schließlich der Karosseriefabrik Voll-Würzburg, wo dieser unter Leitung von Herrn Ingenieur Lindner einen vorzüglichen Um- und Ausbau erfuhr. Alle diese Helfer trugen zum nicht geringen Teil dazu bei, daß unser anfangs nocht recht gewagt erscheinender Versuch gewisse Klärungen und Erfolge bringen konnte. Sie wurden inzwischen zum Anlaß eines neuen und weitergreifenden Vorstoßes.

Wieder im Orient 1960/61

Egon von Eickstedt



2. Türken, Syrer und die hethitische Typologie

I

Schon gleich nach der Überfahrt über den strahlend schönen Bosporus - Ferientraum jedes Türken, der es sich leisten kann - wurde das erste Hauptproblem der Expedition greifbar. Es betrifft die Frage, wie die heutigen Bewohner Anatoliens -möge es nun der griechisch entleerte westliche, der seldschukisch überfremdete zentrale oder armenisch entnationalisierte östliche Teil sein - biotypologisch und bevölkerungsdynamisch eigentlich zu ihren einstigen, angeblich nur hethitischen Vorgängern stehen, und welche biohistorische Rolle überhaupt den Anatoliern im jahrtausendelang ringenden Xusgleich des vorderasiatisch-iranischen Kräftespiels zukommt.

Liegt doch zunächst ein Widerspruch darin, daß diese Hethiter des hethitischen Großreichs von etwa 1700-1200 v. Chr. (3) sich angeblich vorwiegend selbst als Armenide, ja oft extrem armenide Typen darstellten und ihnen die Ägypter der Ramessiden-Zeit des 13. vorchristlichen Jahrhunderts noch dazu darin meist folgten, während die in den letzten Jahrzehnten zu Tage getretenen, richtig hethitischen Skelettreste ganz und gar nicht typologisch einheitlich und vor allem nur selten armenid sind (4). Die moderne anatolische Bevölkerung aber wartet ihrerseits mit einem Widerspruch insofern auf, als sie allgemeiner Auffassung nach in ihrer Grundlage eben auch armenid sein sollte (5), wogegen sich aber in neuerer Zeit gewichtige Einwände erhoben haben (5 a). Der Verfasser selbst hatte schon bei einer Durchquerung von Westanatolien anläßlich einer Rückkehr aus Indien am 22. 3. 1929 zwischen Konya und Eskisehir in seinem Tagebuch notiert: «Von typischen Armeniden nichts zu sehen, aber Alpine und kleinwüchsige Dinarier reichlich, auch mancherlei nordische Einschläge ». Doch dann beruhigte er sich mit der Vorstellung, daß es sich dabei doch wohl nur um alpine, dinarische oder nordische «Nester» handeln könne.
Doch so einfach liegen die Dinge gewiß nicht. Vor allem spielen die großen landschaftlichen Einheiten und ihre biodynamischen Durchbruchslinien immer noch eine Rolle, von dem beispiellosen Durcheinandersickern sog. osmanischer, altanatolischer, türkmenischer und vor allem kurdischer, schließlich auch immer noch ehemals armenischer Volksteile ganz abgesehen. Vorderasien ist Brückenland. All die Berichte von den lärmenden kriegerischen Ereignissen vom Hethitereinbruch bis zu den Weltkriegen erfassen oder bemerken diese langsamen, aber zähen bevölkerungsbiologischen Verschiebungen unter der Oberfläche meist überhaupt nicht. Im vorwiegenden Westwärtsschieben der Passanten haben aber auch …

 




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