La bibliothèque numérique kurde (BNK)
Retour au resultats
Imprimer cette page

Eine Kurdin meldet sich zu Wort


Auteur : Multimedia
Éditeur : Montage Verlag Date & Lieu : 1996, Dötlingen
Préface : Pages : 128
Traduction : ISBN : 3-932315-00-6
Langue : AllemandFormat : 140x210 mm
Code FIKP : Liv. All. 4071Thème : Politique

Présentation
Table des Matières Introduction Identité PDF
Eine Kurdin meldet sich zu Wort

Versions

Eine Kurdin meldet sich zu Wort

Briefe und Schriften aus dem Gefängnis

»Was haben wir verbrochen, um so bestraft zu werden? Nur eines: wir haben Zeugnis abgelegt und das Ausmaß der Tragödie des kurdischen Volkes in der Türkei an die Öffentlichkeit gebracht.« Als erste Kurdin wurde Leyla Zana 1991 ins türkische Parlament gewählt. Die Abgeordnete der Demokratischen Partei Kurdistans setzte sich für die Interessen ihres Volkes ein - ihr besonderes Augenmerk galt der Situation der Frauen.

Sie sorgte dafür, daß international verstärkt über die Lage in Kurdistan berichtet wurde. Dabei war ihr klar, daß es in der Türkei auch für Abgeordnete kein Recht auf freie Meinungsäußerung gibt.

Leyla Zana wurde 1994 wegen Hochverrats zu fünfzehn Jahren Haft verurteilt: Sie hatte im türkischen Parlament einige Sätze auf Kurdisch gesprochen. Ihre »Briefe und Schriften aus dem Gefängnis« ermöglichen Einblicke in die Situation Kurdistans der 90er Jahre.


Vorwort
Claudia Roth
Vorsitzende der Fraktion der GRÜNEN im Europäischen Parlament

Liebe Leyla,
ich schreibe ein Vorwort zu Deinem Buch, weil ich hoffe, dass Du eines nicht allzu fernen Tages noch ein Buch wirst schreiben können: kein Buch mehr aus dem Gefängnis, sondern ein Buch, das von einem friedlichen Kurdistan erzählen kann. Ich schreibe das Vorwort zu Deinem Buch in der Hoffnung, dass Dein Weg, den Du hier schilderst, ein Weg des Leidens, der Schmerzen, der Trauer, des Zorns, ein mutiger und stolzer Weg durch staatlichen Hass und obrigkeitliche Erniedrigung nach Hause findet: in ei- ne Heimat ohne Panzer und Folter, in eine Heimat, in der die tausend zer- störten und niedergebrannten Dörfer wieder aufgebaut sind und in die die Menschen, die daraus vertrieben wurden, zurückgekehrt sind.

Ich schreibe dieses Vorwort, Leyla, weil ich von Dir gelernt habe, was Mut und Kraft ist: »Ich liebe das Leben, aber meine Sehnsucht nach Ge- rechtigkeit ist grösser«, hast Du gesagt. Du warst die Frau, die mir erklärt hat und bei der ich es so sehr nachvollziehen konnte, was es heisst, keine Rechte zu haben. Weisst Du, wir im Europaparlament, vor allem auch wir in der grünen Fraktion, reden soviel von Menschen- und Bürgerrechten. Aber erst im Reden mit Dir habe ich erstmals wirklich gespürt, wie es ist, wenn es keine zivile und keine unabhängige Justiz gibt und wie es ist, wenn Ausgangssperren und Polizeispitzeleien das Leben verändern, wie es ist, wenn man jederzeit fürchten muss, »abgeholt« zu werden und einfach zu »verschwinden«. Vedat Aydin ist abgeholt worden, und wenige Tage spä- ter hat man ihn gefunden — totgeprügelt und dann verscharrt im Strassen- graben bei Diyarbakir. Seine Verbrechen: er war ein mutiger Mann, ein Mann der kurdischen Opposition, ein Menschenrechtler, einer, der nie aufgehört hat damit, Verbrechen gegen die Menschlichkeit beim Namen zu nennen. Das hat ihn das Leben gekostet — und bei der Beerdigung dieses Freundes, der ein grossartiger politischer Gesprächspartner war, mit Plänen und Visionen für die Entwicklung Deiner Heimat, bei seiner Beerdigung habe ich Dich, Leyla, zum ersten Mal getroffen. Ich hatte etwas erlebt, was ich nie zuvor erlebt hatte: Eine Beerdigung, bei der hunderttausend Menschen einem Märtyrer das letzte Geleit geben, eine Beerdigung, bei der die Trauernden von Soldaten beschossen, bei der Abgeordnete verprügelt und misshandelt, Menschen umgebracht wurden. Ich habe danach die Schwerverletzten im Krankenhaus besucht, nur durch die Hintertür Einlass gefunden; habe die verzweifelte kurdische Familie am Bett ihres fünfzehnjährigen Sohnes gesehen, dem einzigen Ernährer der Familie, jetzt zum Krüppel geschlagen von der türkischen Soldateska. Ich habe erlebt, wie dem Krankenhauspersonal verboten wurde, für ihre Landsleute Blut zu spenden. Und zuletzt landete ich dann im Redaktionsbüro der kleinen, mittlerweile längst verbotenen Zeitschrift Ülke — und dort hinter dem Schreibtisch sassest Du, mit blauen Flecken und schweren Blutergüssen übersät — überall am Kopf, an Armen und Beinen, weil sie Dich mit Dachlatten fast totgeschlagen hatten. Du warst 28 Jahre alt und schön, trotz der Blutergüsse und Verletzungen und hast gelächelt und berichtet: von der Beerdigung Vedat Aydins, von seinem Schicksal, das beispielhaft ist in einem Land, in dem der staatliche Terror und der schmutzige Krieg leibhaftig sind.

Und Leyla, ich war irritiert, hatte Dich gefragt, wie man weiterarbeiten, überhaupt weitermachen kann, wenn die Besten getötet werden... Kämpferisch hast Du damals geantwortet: »Für jeden und jede, die getötet werden, kommen viel mehr nach.« Über Dein persönliches Wohlergehen hast Du nie gesprochen, damals nicht und heute, im Gefängnis in Ankara, auch nicht. Es gibt wichtigeres, hast Du einmal gesagt. So begann unsere Freundschaft, übersetzt von Ömer, dem Dolmetscher und Freund. Und ich habe gespürt, dass ich Dich auch ohne Übersetzer verstehe. Ich habe Dir einen Aufkleber geschenkt, die Verkleinerung eines Plakats, das wir Grünen entworfen haben nach einem Satz von Danielle Mitterand: »Vergesst sie nicht — Schweigen tötet« steht darauf und »Die Kurden, das vergessene Volk.« Heute hängt dieses Plakat in den kurdischen Farben auch in meinem Büro in Istanbul. Vielleicht hat es Dir zeigen können, dass Du, dass Ihr viele Freundinnen und Freunde habt in Europa. Wir haben uns oft getroffen seitdem, seit der Beerdigung von Vedat Aydin in Diayrbakir im Sommer 1990. Wie haben wir uns gefreut, als Du als Abgeordnete in die türkische Nationalversammlung gewählt wurdest, als Du zusammen mit Deinen kurdischen Parteifreunden dort als Parlamentarierin Platz neh- men konntest! Wir haben geglaubt, jetzt sei die Brücke für die politische Lösung der kurdischen Frage gebaut; aber Du warst und bliebst skeptisch. Wie sollte es auch anders sein, wenn kurdische Frauen verfolgt wurden (und verfolgt werden), wenn sie sich nur ein Band mit den kurdischen Far- ben ins Haar flochten? Du hast mir gezeigt, wie konsequent und beharr- lich Frauen im Widerstand sind: Frauen haben das kurdische Grün-Gelb- Rot viel offener getragen als die Männer. Und als ich Dich fragte, ob Dei- ne Skepsis nicht doch zu gross sei, da hast Du mir die Geschichte vom Esel erzählt: In Deiner Heimat hatte die türkische Polizei einen Esel verhaftet, weil der ein Zaumzeug in den kurdischen Farben trug. Die Polizei glaubte wohl, der Esel werde sie zu den »Separatisten« führen. Aber in Kurdistan sind nicht einmal die Esel so blöd, hast Du gelacht. Du hast viele solcher Geschichten erzählt, als Du nach Strassburg, nach Brüssel, nach London, Paris und New York gereist bist, um die Politiker überall auf der Welt dar- über aufzuklären, was wirklich in den kurdischen Gebieten passiert. Und das Lachen über die kleinen Geschichten bleibt einem im Halse stecken, wenn man weiss, was den angeblichen »Separatisten« widerfährt — Polizei- haft, Folter, schreckliche Torturen, aussergerichtliche Hinrichtungen, wie von der Hölle ersonnen. Und wie schnell ist ein Kurde ein »Separatist«: Dein Mann Mehdi wurde wegen einer Rede, die er im Europaparlament gehalten hat, zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Alle Fraktionen des Un- terausschusses Menschenrechte hatten ihn eingeladen, alle hatten den Atem angehalten, als er erzählte von der Lage in seiner Heimat — er, der frühere Bürgermeister von Diyarbakir, der erst 1991 aus einer elfjährigen Haft entlassen worden war. Im Sommer 1994 kam er wieder hinter Gitter — zwei Jahre für seine Rede vor dem Europaparlament, weitere zwei Jahre dafür, dass er deren Wortlaut an Journalisten verteilt hatte.

Nichts Anstössiges hatte in dieser Rede gestanden, kein Wort über das hinaus, was in den Menschenrechtskonventionen und den Pakten der Ver- einten Nationen zum Standard gemacht wird. Nichts anderes hatte er ge- fordert, als die Menschenrechte auch den Kurden und Kurdinnen zu ge- ben, sie ihre Sprache sprechen, sie ihre Lieder singen, sie ihre Traditionen pflegen zu lassen. Dafür sitzt Dein Mann wieder im Gefängnis — und wir im Europäischen Parlament haben diesen Skandal nicht verhindern können. Wir haben es mit ohnmächtigem Zorn vernommen. Damals, im Som- mer 1994 wurde Eure Familie endgültig auseinandergerissen — Dein Mann ins Gefängnis geworfen, Du, wenig vorher Deiner parlamentari- schen Immunität beraubt, im Parlament verhaftet, in Ankara in Untersu- chungshaft. Ich habe mich an eine Einladung bei Euch ein Jahr zuvor er- innert. Es war der Tag des Newroz-Festes, strahlender Himmel, fast Fröh- lichkeit. Eure Wohnung war voll von Freunden und Verwandten, und Ihr habt ein kurdisches Festessen bereitet. Damals habe ich Deine Kinder kennengelernt, die heute getrennt sind von Euch, die in Paris leben, weit weg von ihrer Mutter, weit weg von ihrem Vater, weit weg von ihrer Hei- mat.

Frühjahr 1994 — Du warst verhaftet — ich durfte Dich nicht besuchen. Ich war als Beobachterin des Europäischen Parlaments bei den Kommu- nalwahlen anwesend — man liess mich nicht zu Dir. Und ich war da, als der sogenannte Hochverratsprozess gegen Euch eröffnet wurde — ich sass in der ersten Reihe, ich hätte die Hand ausstrecken können zu Dir, aber schwer bewaffnete Soldaten standen zwischen uns. Ihr wurdet be- wacht wie Schwerverbrecher. Erst abends im Fernsehen sah ich Dich von vorn, sah ich Dein Gesicht. Immer wieder habe ich versucht, Dich während des Prozesses zu besuchen — ich durfte es nicht, erst recht nicht, als der Generalstaatsanwalt Demiral die Todesstrafe forderte — und er Dich und Deine Freunde wüst beleidigte. Vor Dir und den Mitangeklag- ten, so sagte er, habe er weniger Achtung als vor seinem Hund. Ich war so wütend, so grenzenlos zornig angesichts von so viel Niedertracht und Bösartigkeit. Zu fünfzehn Jahren Haft haben sie Dich im Dezember 1994 verurteilt, ich war auf dem Gipfel der europäischen Regierung- schefs in Essen; habe alle halbe Stunde Nachrichten gehört und dann von diesem Urteil erfahren, nach einem Prozess, der mit Rechtsstaatlichkeit nichts zu tun hatte. Und dann — endlich — durfte ich Dich im Januar be- suchen. Du warst schmal geworden und dennoch fröhlich und unglaub- lich stark. Du hast nicht reden wollen über Deine Haftbedingungen — »auch nicht schlechter als bei anderen«, hast Du gesagt. Über die Rolle der Frauen haben wir gesprochen. Du hast sie gefunden, eine schwere, eine tragische, eine starke Rolle, die so vielen Menschen Mut macht, weiterzukämpfen für ein gerechtes Leben in Frieden und Freiheit.

Ich will Dich wieder dort sehen, wo Du hingehörst — im Parlament. Und ich habe einen Traum: Du redest vor dem Europäischen Parlament. Und anschliessend springt der türkische Botschafter auf und schüttelt Dir begeistert die Hand und sagt: »Wie gut für uns, dass es Frauen gibt wie Sie!«Deine Claudia




Fondation-Institut kurde de Paris © 2024
BIBLIOTHEQUE
Informations pratiques
Informations légales
PROJET
Historique
Partenaires
LISTE
Thèmes
Auteurs
Éditeurs
Langues
Revues