The Kurdish Digital Library (BNK)
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Dono


Author : Mahmut Baksi
Editor : Ararat Date & Place : 1999, Münster
Preface : Pages : 108
Traduction : ISBN : 3-89771-851-0
Language : GermanFormat : 125 x 210 mm
FIKP's Code : Liv. Ger. Bak. Don. N° 7778Theme : Literature

Dono

Dono

Mahmut Baksi

Ararat

"Das Dorf Dono war sehr alt. In früheren Zeiten war es eine lebendige und blühende Ortschaft gewesen.
Wie es hieß, hatten Armenier und Kurden für lange, lange Zeit, bis ans Ende des neunzehnten Jahrhunderts, hier zusammengelebt. Gemeinsam waren die Frauen zum Flußufer gegangen, gemeinsam hatten sie hier ihre Wäsche gewaschen und sich gegenseitig Liebeslieder vorgesungen.
Doch die Osmanen zerstörten diese Freundschaft und Nachbarschaft. Die trügerische türkische Regierung hetzte die beiden befreundeten Völker aufeinander. Von diesem Tag an schien der Xerzan gedrückt, verwaist, verloren ...
Mit dem Auszug der Armenier und der Ankunft der Traktoren änderte Dono sein Gesicht. Das ehemals blühende Dorf, der Ort der Väter und Vorväter, wurde jedes Jahr kleiner, zerfallener, melancholischer."

Mahmut Baksi, geboren 1944, lebt seit 1971 im schwedischen Exil. Er hat sich als Journalist und Autor von Kurzgeschichten und Kinderbüchern einen Namen gemacht. Sein 1984 auf Kurdisch erschienener Jugendroman Helin wurde in sieben Sprachen übersetzt. Die deutsche Übersetzung - In der Nacht über die Berge - erhielt 1998 den österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreis sowie den Schweizer Jugendbuchpreis Die Blaue Brillenschlange.


DONO

Eines Nachts packte die Schneefrau im Xerzantal ihre Habe zusammen und zog an einen anderen Ort. Das glitzernde Weiß machte dem Frühling Platz. Unter ihrer kalten Decke hatte die Schneefrau alle Farben der Natur gerichtet. Während Tagen und Monaten hatte sie sorgfältig und mütterlich gearbeitet. Mit Anmut, Inbrunst und Liebe hatte sie Frühlingsblumen und Krokusse herangezogen. Dann plötzlich, mitten in der Nacht, zog sie verschwiegen und in aller Eile ihren weißen Schleier vom Antlitz des Tals und machte sich auf zu den Gipfeln des Siphan, des Nemrud, zum Ort ihrer Väter und Vorväter.

Nun war es Frühling...
Die Luft in Dono war lauwarm. Volle, regenschwangere Wolken zogen schwerfällig dem Fluß Xerzan zu. Vom Gipfel des Mereto stürzten Bäche wie Blitze zu Tal und rissen alles mit sich: Bäume und Käfer, Steine, Häuser und Tiere. Schaum entquoll dem Maul des Mereto. Der Berg bebte und zitterte. Dunst- und Nebelfahnen wehten von seinem Gipfel empor, und der Regen züchtigte ihn. Einen ganzen Monat lang peitschte dieser wütende Regen den starrköpfigen und stolzen Berg. Von überall strömten Quellen und Bäche nieder, vereinigten sich und eilten dem Xerzan zu. Dieser schwoll an, wurde breit und wild, er gurgelte und stöhnte, trat über die Ufer, floß in die Täler, die Felder, die ausgetrockneten Bachbette. Er wieherte wie ein ungezähmtes Pferd, entwurzelte Bäume, wälzte Steine in seinem Bett vor sich her, spielte mit ihnen, schlug sie kurz und klein und warf sie schließlich ans Ufer. Es gab nichts, das den Xerzan zu Beginn des Frühlings hätte aufhalten können. Der Frühling war seine Jugend, eine Jugend, die sich seit Tausenden von Jahren wiederholte.

Im Frühling öffneten im Xerzantal aber nicht nur Blumen und Gräser ihre Knospen, auch die Herzen der Jungen und Mädchen, der alten Frauen und Männer öffneten sich, trieben Äste und Zweige, wurden zu Blumengärten. Sie füllten sich mit Leben und Liebe und verströmten ihren Duft mit den Narzissen um die Wette, flogen mit den Vögeln, ließen Weide um Weide hinter sich, Tal um Tal, Ebene um Ebene...

Dann stieg der Duft des Frühlings vom Xerzantal auf und breitete sich an den Berghängen aus, wo die weißblauen Blätter der Schneeblumen glitzerten. Krokusse zogen ihre goldgelben Gewänder, ihre violett gesprenkelten Hauben an und schmückten die Berghänge. Der Frühlingswind wiegte sie im Takt sanft hin und her, hob die Spitzen der Gräser, trug ihren Duft zum Fluß hin.

In dieser Farbenpracht, mitten in Bohnenblüten, Pilzen und wildem Knoblauch, setzte Aso den Wasserkrug auf die Schulter und machte sich von der großen Quelle auf den Heimweg. Sie wurde dieses Jahr sechzehn. Ihr Herz war wie der Frühling von Xerzan. In ihrem geblümten Kleid glich sie einem Krokus oder einer anderen, unvergleichlich schönen Blüte voller Duft, Farbenpracht und Freude. Im ganzen Xerzantal fand sich nicht ihresgleichen. Nelken und Narzissen, Basilikum, Lilien und Kamillen eiferten mit ihr um die Wette.

Manchmal schwappte das Wasser über und floß ihr in den Halsausschnitt und den Rücken hinunter. Aso wurde naß bis an die Hüften. Die Kühle machte sie schwindlig, die Brust wurde ihr weit, ein wohliger Schauer durchfuhr sie. Im Nachmittagslicht leuchtete sie wie der Vollmond.

Auf dem Weg fiel Asos Blick auf zwei Schildkröten. Das Männchen setzte dem Weibchen nach und rempelte es an, stieß Schild gegen Schild. Doch das Weibchen stemmte die Krallen in die Erde und tat keinen Schritt. Erbost griff das Männchen an. Das Klicken der Panzer war in weitem Umkreis zu hören.

Das Weibchen setzte seine Waffen geschickt ein in diesem Spiel. So waren Frauen. Eine Liebe ohne Mühe, ohne Anstrengung, ohne Sehnsucht war nichts wert. Keinesfalls durfte sich die Frau dem Mann gleich unterwerfen. Widerstand leisten, sich schützen, Schlauheit beweisen, das hieß Leben. Die Gefühle des Herzens kamen zuerst. Aber der Schildkrötenmann verweilte nicht bei solchen Dingen, er fand sie hohl und leer. Das Leben war kein Spiel, das Leben war Begehren. Da er nun einmal begehrte, warum sollte sie nicht? Wozu waren schließlich Männer und Frauen erschaffen worden?

Er fand, das Weibchen sei völlig im Unrecht. Deshalb setzte er alle Mittel ein. Er schnarchte, reckte den Hals, leckte an ihm, dann wieder griff er es mit Getöse an. In diesem Schilf, am Spätnachmittag, in diesen Blumenbüschen, wer konnte und wollte da vor der Liebe fliehen?

Das Weibchen zog sich furchtsam an einen Abhang zurück. Der Mann setzte hinterher, wie ein Löwe, wie ein Held. Mit heiserem Röcheln und ausgreifenden Schritten strebte er auf das Weibchen zu. Er hätte aus dem Panzer fahren können vor Überschwang. Den Kopf eine Handbreit vorgestreckt, die Nase zum Himmel gereckt, so marschierte er daher. Nichts und niemand konnte ihm etwas anhaben. Er war seiner Sache sicher, er war ein Mann, ein starker Mann.

Das Weibchen verharrte erschöpft am Ort. Das Männ-chen warf sich mit aller Macht auf es, so daß es stöhnte und sein Hals vorschoß. Aso wurde plötzlich von Mitleid ergriffen. Sie setzte den Krug auf den Boden, ging zu den beiden hin, packte das Männchen und wälzte es auf den Rücken.

Motorengeknatter brachte sie wieder zu sich. Eilig nahm sie den Krug auf und ging weiter. Der Motor erstarb hinter ihr. Bedo, der Fahrer, richtete seine rabenschwarzen Augen auf sie. Asos Finger gaben nach, die Knie wurden ihr weich, ihr Herz klopfte so laut wie der Motor.

Bedo sagte sanft und freundlich: »Ich habe Durst, Aso. Gibst du mir einen Schluck Wasser?«
Eigentlich hatte Bedo keinen Durst. Das Wasser war eine Ausrede. Ohnehin würde ein Glas Wasser das Feuer in seiner Brust nicht löschen, aber es war besser als nichts. Zumindest hatten ihre Hände den Krug vorher berührt, vielleicht sogar ihr Mund und ihre Lippen.

Aso streckte Bedo den Krug hin. Ihr Herz flatterte wie ein Sperling, doch hielt sie die Hände still, denn die beiden waren den Blicken des Dorfes frei ausgesetzt. Und schließlich waren sie keine Schildkröten...

Bedo gab Aso den Krug zurück. Die Hälfte des Wassers hatte er sich über den Kopf geschüttet.
…..


Mahmut Baksi

Dono

Ararat

Ararat Unrast
Dono
Mahmut Baksi

Roman

aus dem Kurdischen
von Barbara Sträuli

Unrast

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Mahmut Baksi: Dono: Roman / Mahmut Baksi. -1.
Aufl. Münster: Unrast, 1999
ISBN 3-89771-851-0

1. Auflage, Dezember 1999
ISBN 3-89771-851-0
Edition arArat 2

© UNRAST-Verlag, Münster
Postfach 8020, 48043 Münster, Tel. (0251) 666293
Fax. (0251) 666120, e-mail: UnrastMS@aol.com
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Satz: UNRAST-Verlag, Münster
Druck: Interpress, Budapest

Zum Andenken an meinen Vater Mela Zeki

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