Ein Kurde im Mahlwerk des Überganges
Yekta Uzunoglu,
Petr Zantovsky
Bernhard von Grünberg
Im Juli 2007 sprach das Stadtgericht Prag Dr. Yekta Uzunoglu endgültig frei nach einem über 13 Jahre verschleppten Verfahren, das offensichtlich einen politischen und wirtschaftlichen Hintergrund hatte. Dasln diesem Buch vorgestellte Interview von Petr Zantovsky mit Yekta Uzunoglu ist im Herbst 2007 geführt und in Tschechien veröffentlicht worden. Es ist eine erregende, gleichzeitig traurig machende und schockierende Aussage über die tschechische Gesellschaft 18 Jahre nach der „samtenen Revolution“ im Jahre 1989. Es ist ein Dokument über die Geschehnisse hinter der Kulisse der gesellschaftlichen Veränderung in dieser Zeit. Alte kommunistische Seilsphaften haben den neuen Kapitalismus erobert und nutzen alle bisherigen Methoden der Machtausübung zu ihrem wirtschaftlichen Vorteil. Gewählte Politiker wirken wie Marionetten.
Dr. Uzunoglu erinnert sich in diesem Interview an seine Kindheit und Jugend in Kurdistan, seine Aktivitäten während des Studiums in Prag, seine Tätigkeit in Frankreich und Deutschland. Hierzu gehörte sein Engagement bei der Gründung und dem Einsatz für “Ärzte ohne Grenzen“ in den Kriegsgebieten Irans und Iraks, sowie bei der Gründung der “Kurdischen Institute“ in Frankreich und Deutschland. Es ging ihm um die Aufrechterhaltung der kulturellen Identität der Kurden. Er wollte mit anderen Sprachrohr der kurdischen Interessen in Europa sein.
Das Interview wird ergänzt durch Fotos und Dokumente wie z.B. der offene Brief „Wir klagen an“ der tschechischen Intellektuellen, die sich während der gesamten Verfolgungszeit von Dr. Uzunoglu mit ihm solidarisierten.
Prof. Frantisek Janouch, Vorsitzender der Stiftung Charta 77, vergleicht den Fall Uzunoglu mit der Dreyfußaffäre, die vor genau 100 Jahren nicht nur die französische, sondern auch die europäische Gesellschaft spaltete. Der Fall Uzunoglu dauerte länger als die Affäre Dreyfuß, obwohl es damals noch kein Internet, Fotokopiergerät oder Handy gab. Die Briefe wurden noch mit Dampflokomotiven oder Dampfschiffen befördert.
Dr. med. Yekta Uzunoglu (1953), kurdischer Arzt, Publizist und Unternehmer, deutscher Staatsbürger. An der Karlsuniversität in Prag hat er sein Medizinstudium abgeschlossen (1979), danach aus der Tschechoslowakei ausgewiesen. Im Rahmen der Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ war er in Kriegskonflikten im Iran und Irak tätig. In Westeuropa engagierte er sich in verschiedenen humanitären und kulturellen Organisationen. Nach dem November 1989 kehrte er in die Tschechoslowakei zurück: Organisierte Fachkonferenzen, gab Bücher heraus über die Transformation der Gesellschaft und Wirtschaft, gründete eine Reihe erfolgreicher Wirtschaftsunternehmen. Der Konkurrenzkampf führte zu einem politisch-wirtschaftlichen Polizeikomplott mit dem Resultat seiner Festnahme und einer zweieinhalbjährigen Untersuchungshaft. Sein 13 Jahre andauernder Kampf um seine Rehabilitierung endete im Juli 2007 mit seinem Freispruch.
Petr Zantovsky (1962), Journalist, Hochschulpädagoge, Fachbereichsleiter für Kommunikation und Massenmedien an der J. A. Komensky Universität in Prag. Autor von 12 Büchern mit Interviews mit prominenten Persönlichkeiten des kulturellen und politischen Lebens. (Vaclav Klaus, Milos Zeman, Eva Urbanovä u.a.)
VORWORT
Das vorliegende Buch ist vor einigen Monaten in Tschechien veröffentlich worden. Ihm vorausgegangen war ein massiver, Jahre andauernder öffentlicher Protest von vielen Bürgerinnen und Bürgern - u. a. Schriftsteller. Künstler und Politiker - die darauf drängten, dass das Strafverfahren gegen Dr. Yekta Uzunoglu endlich sein rechtlich formelles Ende findet.
Am 31.07.2007 erfolgte dann sein Freispruch nach fast 13 Jahren Verfahrendauer mit 2 1/2 Jahren Haft.
Der Prozess macht deutlich, in welchem Umfang in Tschechien, aber sicherlich auch in vielen anderen Ländern des ehemaligen Ostblocks, es eine Kontinuität der handelnden Personen, ihrer Denk-und Handlungsweisen gibt. Neu ist das Interesse und die Möglichkeit schnell viel Geld zu verdienen und dabei rücksichtslos auch alte Seilschaften zu nutzen.
Demokratisch gewählte Politiker sind eine Hoffnung. Oft werden sie aber nur politisch überleben, wenn sie den bisherigen Strukturen nicht zu gefährlich werden.
Die vorliegende Veröffentlichung soll mit dazu beitragen, dass auch in Deutschland klar wird, dass der Kampf um Demokratie und Rechtstaatlichkeit sich nicht mit dem Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft erledigt hat.
So erfolgreich im Ergebnis der Druck der Öffentlichkeit im Fall Uzunoglu war. so muss doch davon ausgegangen werden, dass es viele unaufgeklärte Fälle staatlicher Willkür auch in der Nachwendezeit gibt.
Die Zeit läuft nicht notwendigerweise zum Besseren. Je reicher und mächtiger die Menschen sind, die rücksichtslos auch mit „alten Methoden“ kämpfen, desto weniger besteht eine Chance zu einer wirklich rechtstaatlichen Demokratie.
Die Entwicklung in Russland mit offensichtlich legitimierten Auftragsmorden gegenüber Konkurrenten und demokratischen Journalisten sollte uns hierbei eine Warnung sein.
Ich habe Dr. Yekta Uzunoglu seit Jahrzehnten begleitet. Ich erinnere mich daran, wie er mittellos in Bonn Anfang der 80-er Jahre auftauchte, um in Deutschland ein „Kurdisches Institut“ zu gründen. Ich gehörte zu den Gründungsmitgliedern.
Er schaffte es in kürzester Zeit einen respektablen Vorstand aus Schriftstellern, Bundestagsabgeordneten und Gewerkschaftlern zusammen zu stellen. Das Institut sollte angesichts der Verfolgung der Kurden in vielen Staaten dabei helfen, zumindest in Deutschland ihre Nationalität, Kultur und Sprache anzuerkennen. So sollte den Kurden vermittelt werden, dass sie in Deutschland akzeptiert sind und eine Heimat finden können.
Das Institut hat zahlreiche Projekte umgesetzt u. a. erstmalig eine kurdische Grammatik vorgelegt, eine erste Bibelübersetzung ins Kurdische und zahllose literarische Werke herausgegeben, Ausstellungen und Konzerte veranstaltet.
Die erfolgreiche Arbeit des Instituts war offensichtlich anderen radikaleren kurdischen Organisationen ein Dorn im Auge. Sie haben versucht - im Ergebnis auch erfolgreich - das Kurdische Institut unter ihren Einfluss zu bringen. Damit war das Ende des Instituts eingeläutet.
Später habe ich dann Dr. Yekta Uzunoglu im Gefängnis in Prag besucht und ihm im Auftrag des Kölner Regierungspräsidenten Dr. Antwerpes die Deutsche Einbürgerungsurkunde überreicht. Sie bildete einen gewissen Schutzschild.
Obwohl es fast 13 Jahre bis zu seinem Freispruch gedauert hat, ist die Auseinandersetzung noch nicht zu ende. Zurzeit geht es um seine Entschädigung für seine Haftzeit und seine Unternehmen, die er während der Haft nicht weiterführen konnte.
Auch diese Auseinandersetzung hat wieder „kafkaische“ Ausmaße. Zu hoffen ist, dass der tschechische Staat ein Einsehen hat.
Viele tschechische Bürgerinnen und Bürger haben sich für Dr. Yekta Uzunoglu eingesetzt. Sie stehen auch jetzt an seiner Seite.
Ich hoffe, dass dieses Buch dazu beiträgt, dass auch im deutsprachigen Raum die „Affäre Uzunoglu“ bekannt wird und viele Menschen dazu beitragen, dass rechtstaatliche Prinzipien überall in Europa durchgesetzt werden.
Bernhard von Grünberg
Vorsitzender Aktion Courage
Einleitung
Ich habe das Buch, das Sie gerade in der Hand halten, zu Ende gelesen - erschüttert im Innersten meines Ichs. Dabei hatte ich mir niemals Illusionen darübergemacht, dass der Übergang von der kommunistischen Totalität zur demokratischen, freien Gesellschaft ein leichter und einfacher Prozess werden könnte. Ich konnte mir jedoch nicht vorstellen, dass sich auch noch viele Jahre nach der sanften Revolution in den Gefängnissen und auf den Polizeiwachen unseres Landes so erschütternde Dinge abspielen könnten, wie sie in diesem Buch beschrieben werden. Leider muss ich hinzufügen, dass vieles darauf hindeutet, dass sic auch heute noch passieren. Das als Buch veröffentlichte Interview mit dem kurdischen Arzt, Unternehmer und Publizisten Dr. nied. Yekta Uzunoglu muss jeden anständigen und redlichen Menschen erschüttern. Es ist ein Buch über ein großes Versagen von uns allen: Bei mir beginnend bis hin zu den Präsidenten Havel und Klaus, allen Regierungen der Tschechoslowakei und der Tschechischen Republik, alle ihre Premierminister, alle ihre Innen- und Justizminister, alle Vorsitzende des Obersten Gerichts und Generalstaatsanwälte und schließlich auch alle Parlamentsabgeordnete und Senatoren. Denn diese tragen allesamt eine größere oder kleinere politische Verantwortung dafür, was so lebendig in diesem Buch beschrieben wird. Es geht auch um das Versagen unserer Zivilgesellschaft. Das Tschechische Helsinki-Komitee und eine Reihe weiterer Organisationen protestierten energisch und unermüdlich gegen die Polizeiwillkür - leider ergebnislos. Wenn ich mir heute im Rückblick auf die vergangenen dreizehn Jahre ihre Bemühungen vor Augen führe, dann muss ich leider feststellen, dass sie in ihren Protesten nicht viel erfolgreicher waren als die Proteste ähnlicher Organisationen vor der sanften Revolution oder vor der Perestrojka in der UdSSR.
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Yekta Uzunoglu
Petr Zantovsky
Ein Kurde im Mahlwerk des Überganges
Bernhard von Grünberg
Bernhard von Grünberg
Ein Kurde im Mahlwerk des Überganges
Yekta Uzunoglu - Petr Zantovsky
Bernhard von Grünberg
- Ein Bericht aus Tschechien –
Mit einem Vorwort von Bernhard von Grünberg
Mit Einer Einleitung von Frantisek Janouch
Prag, 2007
Herausgegeben von:
Bernhard von Grünberg
Vorsitzender von Aktion Courage
Frantiäek Janouch
Vorsitzender von Stiftung Charta 77
Wir danken
Sigrid Becher und
Hagen von Eitzen für die
Korrektur der Übersetzung und
Hynek Glos für die Fotos
Kontaktpersonen:
bemhard@von-gruenberg.de
janouch@telia.com
yekta@uzunoglu.info