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Die Wasserfalle


Éditeur : Focus Date & Lieu : 1993, Giessen
Préface : Pages : 192
Traduction : ISBN : 3-88349-403-8
Langue : AllemandFormat : 145x210 mm
Code FIKP : Liv. Ger. Kar. Was. N° 7777Thème : Général

Die Wasserfalle

Die Wasserfalle

Heidi Hinz-Karadeniz
Rainer Stoodt

Focus Verlag

Seit Anfang der 80er Jahre baut der türkische Staat in Nord- West-Kurdistan an einem Staudamm- und Bewässerungsvorhaben, dem GAP-Projekt. Mit Hilfe dieses gigantischen »Entwicklungsprojektes« wird der vorwiegend landwirtschaftlich dominierten und unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten sehr armen Region eine am Reißbrett geplante Industrialisierung übergestülpt. Ziel ist letztlich die feste Einbindung dieser Region in die Türkei.
Dieses Buch zeigt in seinen Beiträgen Aspekte auf, die bei der Beurteilung des Projekts beachtet werden müssen. Ausführlich besprochen wird deshalb die Bedeutung des Wassers als strate-gische Ressource in der gesamten Region des Nahen und Mittleren Ostens, die ökologischen und gesellschaftlichen Folgen dieses Großprojektes und die Rolle, die GAP im Rahmen der türkischen Außenhandelsbeziehungen spielt. Zentraler Diskussionspunkt ist seine Funktion als Befriedungsstrategie gegen den kurdischen Befreiungskampf.


Inhalt

Einleitung / 7

Heidi Hinz-Karadeniz
Vom Krieg ums Ol zum Krieg ums Wasser / 11

Heidi Hinz-Karadeniz
Größer, höher, schneller. Das Südostanatolienprojekt / 40

Thomas Meyer
Von der Beherrschung der Natur zur Schadensbegrenzung / 52

Rainer Stoodt
Das aussichtslose Rennen der Archäologie / 64

Sylvie Schindler
Die Logik der Entwicklungsmanie / 74

Rainer Stoodt
Das türkische Wirtschaftswunder / 104

Sylvie Schindler
Die Türkei vor den Toren der EG / 116

Rainer Stoodt
Vom Ackerbau zur Agroindustrie / 144

Rainer Stoodt
Kurdistan - geteilt und ausgebeutet / 154

Heidi Hinz-Karadeniz
»Biji Kurdistan!« Der Kampf um Selbstbestimmung / 165

Vijay Paranjpye
Großstaudämme und ihre verdeckten Kosten / 177

Heidi Hinz-Karadeniz, Thomas Meyer, Sylvie Schindler, Rainer Stoodt
Das GAP-Projekt. Ein Fazit und 10 Forderungen / 183

Literaturverzeichnis / 187


EINLEITUNG

ln Nordwest-Kurdistan tobt seit Jahren ein heftiger Krieg zwischen den Truppen des NATO-Partners Türkei und den Guerillaverbänden der Nationalen Befreiungsarmee Kurdistans. Wie bereits während des letzten Golfkrieges nutzt die Türkei den Schatten eines anderen Krieges, diesmal den im ehemaligen Jugoslawien, um die seit Beginn der türkischen Republik existierende Kurdenfrage auf ihre Art und Weise zu lösen. Immer stärker wird die kurdische Zivilbevölkerung zur Zielscheibe des türkischen Militärs und der Spezialeinheiten. Die systematische Vertreibung der kurdischen Landbevölkerung nimmt seit dem Frühjahr 1993 dramatische Ausmaße an. Die türkische Regierung strebt die »endgültige Lösung« der Kurdenfrage mit allen ihr zur Verfügung stehenden militärischen Mitteln an. Als die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) im März 1993 einen einseitigen Waffenstillstand verkündete, unterstrich sie damit ihre seit 1988 mehrfach wiederholte Bereitschaft, die Kurdenfrage »friedlich und politisch« auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts der Völker lösen zu wollen.

Weder die Türkei noch die Verbündeten zeigten eine positive Reaktion auf den Waffenstillstand der PKK. Das ist auch nicht verwunderlich, denn die neue weltpolitische Situation seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion erhöht die strategische Bedeutung der Türkei für die NATO. Nach Angaben des Oberkommandierenden der NATO-Streitkräfte in Europa, John Shaliashvili, gehört die Türkei zu den Hauptinteressensgebieten des westlichen Verteidigungsbündnisses. Vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion sei die Türkei lediglich ein Flankenstaat gewesen. Jetzt aber ist es eines der Schlüssel länder, wobei die Tragödie in Bosnien-Herzego-wina, die Entwicklungen im Kaukasus sowie die Lage in anderen Gebieten rund um die Türkei die Notwendigkeit der NATO verdeutliche. (Frankfurter Rundschau: 23.07.1993)

Das Schweigen der Bündnispartner zum Krieg der Türkei in Nordwest- Kurdistan ist ein deutliches Indiz dafür, daß die dem NATO-Partner Türkei im Verteidigungsbündnis zugedachte neue Aufgabenstellung vor der Lösung der Kurdenfrage Vorrang hat. Mit anderen Worten, der Status quo des geteilten Kurdistan muß aufrecht erhalten werden. Hier decken sich die Interessen der Türkei mit denen der NATO-Partner.

Die Rückendeckung durch die Verbündeten erlaubte es der Türkei, im Schatten der Golfkrise im August 1990 dem Europäischen Parlament offi-ziell die bis heute in den »östlichen« Provinzen suspendierten Menschenrechte anzuzeigen, ohne daß irgendein Druck auf die Türkei ausgeübt wurde.
Die Türkei, die die Existenz der Kurdenfrage bestreitet, führt mit Wis-sen, Duldung und Unterstützung des Westens, allen voran die Bundesrepublik Deutschland, einen Krieg gegen die Guerilla und dieZivilbevölkerung, der bis heute weder durch die UNO noch durch andere internationale Gremien als kriegerische Auseinandersetzung thematisiert wurde.

Das gigantische Staudamm- und Bewässerungsprojekt GAP, das die Türkei als größtes Entwicklungsprojekt in der nahöstlichen Region bezeichnet, liegt in den sechs kurdischen Provinzen Gaziantep, Adiyaman, Urfa, Diyarbakir, Mardin und Siirt an der Grenze zu Syrien und Irak. Diese Provinzen und die anderen kurdischen Gebiete stehen seit 1978 ununterbrochen unter Ausnahmerecht. Besonders die östliche GAP- und die sich anschließende Botan-Region gehören zu den Hauptkampfgebieten.

Gerade seit Beginn der 80er Jahre forciert die Türkei energisch und aus eigener Kraft die Realisierung des Jahrhundertprojekts. Dies geschah bislang fast unbemerkt von einer breiteren ausländischen Öffentlichkeit. Die Beschäftigung mit diesem technologischen Großprojekt erfolgte bis heute nur auf Spezialistenebene. Die Experten verschie¬dener Wissenschaftsdisziplinen registrieren, wenn überhaupt, nur am Rande, welche negative Bedeutung die Durchführung des GAP für die Kurden und Kurdinnen haben wird. Außerdem lehnen sie das Projekt nicht grundsätzlich ab, obwohl kritische Wissenschaftlerinnen und Wis-senschaftler großtechnologische Eingriffe in den Naturraum bereits mit der Begründung ablehnen, daß die Schwelle zum »Nicht-mehr-Uber- schaubaren« (Projektbericht der TU Berlin, S. 3) überschritten sei. Andere Großprojekte weltweit, sei es der Assuan-Staudamm in Ägypten, sei es das Sobradinho-Projekt in Brasilien oderdas Narmada-Projekt in Indien, beweisen, daß die sozialen, ökologischen und ökonomischen Folgewir-kungen aufgrund ihrer Verflechtung nicht kontrollierbar sind.

Mit diesem Buch wollen wir uns an eine Leserschaft wenden, die solchen Großprojekten kritisch begegnet. Wir wollen Umweltschutz- sowie Menschenrechtsorganisationen und -gruppen ansprechen, um gemeinsam mit diesen eine Gegenöffentlichkeit zu diesem Projekt herzustellen. Es steht zu befürchten, daß mehrere hunderttausend Menschen, besonders an der Peripherie des GAP-Projektes, aus ihrer angestammten Heimat vertrieben werden. Allein dem Stausee des Atatürk-Dammes mußten nach offiziellen Angaben über 55000 Menschen weichen. Im GAP-Groß- einzugsgebiet bahnt sich eine ökologische Katastrophe an, da sich Umweltschutz auf reine Schadensbegrenzung reduziert.

Mit GAP, d. h. mit einer exportorientierten Agrarpolitik, Energiepolitik und der Ansiedlung komplexer Industriezentren, die miteinander verbunden werden sollen, beabsichtigt die Türkei, die militärische Besatzung mit »friedlichen«, also mit entwicklungspolitischen Mitteln fortzusetzen und die Integration Kurdistans in die Türkei zu festigen. Jahrzehntelang hat sie eine Strategie der wirtschaftlichen und sozialen Unterentwicklung verfolgt. Aufgrund ihrer kemalistischen Ausrichtung hat sie den Kurden und Kurdinnen ihr Recht auf ihre eigene Identität verwehrt. Nun soll das kurdische Land zum »Brotkorb« für den Nahen Osten werden.

Die Türkei, die in sozialer Hinsicht auf der Stufe eines Entwicklungslan-des steht, in wirtschaftlicher Hinsicht zu den Schwellenländern gehört, versucht durch den Aufbau einer exportfähigen Agrarindustrie und anderer Industriezweige, zu einer Industrienation aufzusteigen. Der so forcierte Anschluß an die Konkurrenzbedingungen des Weltmarktes soll ihr dabei endlich den lang ersehnten Anschluß an die Europäische Gemeinschaft ermöglichen.

Neben dem GAP-Projekt verfolgt die Türkei noch ein zweites, nicht weniger ehrgeiziges Großprojekt. Mit Hilfe eines Pipelinenetzes beab-sichtigt sie, die Wasserversorgung der gesamten arabischen Halbinsel unter ihre Regie zu bringen. Die stark anwachsende Wasserverknappung führt den zu den wasserärmsten Regionen gehörenden Nahen Osten an den Rand einer Katastrophe. Bereits für die Jahrtausendwende progno-stizierten Wasserexperten kriegerische Auseinandersetzungen um den Rohstoff »Wasser«. Ein staatenübergreifend ausgehandelter Wasserver-teilungsmodus konnte bisher aufgrund unzähliger Differenzen der betei-ligten Staaten nicht erarbeitet werden. Da die Türkei am »Wasserhahn« der beiden Flüsse Euphrat und Tigris sitzt, darüber hinaus auch noch über andere Wasserressourcen verfügt, versucht sie sich zum Mißfallen ihrer arabischen Nachbarn zu einer regionalen Wassersupermacht aufzu-schwingen.

Daneben darf natürlich nicht vergessen werden, daß der Projektbereich mitten in Nordwest-Kurdistan liegt. Mit Hilfe der geplanten sozio- ökonomischen Entwicklung soll den aufständischen Kurden und Kurdin-nen die Basis entzogen werden. Denn diese sind der Störfaktor für die Großmachtträume der Türkei. Die Attacken der kurdischen Guerilla gefährden z.Z. das Projekt, vor allem dessen östlichen Teil. Die kurdische Bewegung hat das GAP-Projekt noch nicht zu einem Punkt der Auseinan-dersetzung gemacht, obwohl es in ihren Augen eigentlich als das Kolo-nialprojekt par excellance gelten muß. In den 60er Jahren plante das por-tugiesische Kolonialregime in Mozambique den Cabora-Bassa-Damm. Mit Hilfe dieses Vorhabens versuchte ein NATO-Land, durch einen Staudamm seine Herrschaft zu festigen; die europäischen Partner hofften auf größeren Einfluß in den afrikanischen Ländern. Die damalige Befrei-ungsbewegung Fremilo rief zu einem internationalen Boykott gegen den »Damm des Kolonialismus« (GAP 7, S.25) auf. Durch die Proteste der Fremilio, unterstützt durch linke, antiimperialistische und kirchliche Kreise, verurteilte die UNO 1969 das Verhalten Portugals.
Das Verhalten dieser Kolonialmacht ähnelt dem der Türkei, ohne daß sich Widerstand regt. In den 90er Jahren ist eigentlich die Unsinnigkeit solcher Großprojekte aus ökonomischen, sozialen und umweltpolitischen Gründen hinreichend bekannt.


Wir hoffen, mit diesem Buch einige Hintergründe des GAP-Projektes zu verdeutlichen und wünschen uns, daß dieses Projekt gestoppt wird. Ebenso wünschen wir uns, daß dem kurdischen Volk das Recht auf Selbstbestimmung nicht länger verwehrt wird.


»Wenn bestimmte Arten von Produktionssystemen auf Staatsebene ver-stärkt werden, können despotische Formen der Regierung entstehen, die imstande sind, den menschlichen Willen und die menschliche Intelligenz für Tausende von Jahren lahmzulegen. Dies schließt ferner ein, daß der für eine bewußte Wahl wirksame Augenblick vielleicht nur während der Übergangszeit von einer Produktionsweise zur anderen anfällt. Nachdem eine Gesellschaft sich für eine bestimmte technologische und ökolo¬gische Strategie zur Lösung des Problems nachlassender Effizienz entschieden hat, ist es vielleicht auf lange Zeit nicht mehr möglich, irgendetwas gegen die Konsequenzen einer unklugen Wahl zu unternehmen« (Harris 1990, S. 209).

Gießen im August 1993
Heidi Hinz-Karadeniz/Rainer Stoodt

Heidi Hinz-Karadeniz

Vom Krieg ums Öl zum Krieg ums Wasser

Die gespannte Lage im Nahen Osten basiert auf einer Reihe ungelöster historischer Konflikte, die sich unter maßgeblicher Beteiligung der alliierten »Siegermächte« durch künstliche Grenzziehungen und Staatsgründungen im ersten Drittel dieses Jahrhunderts drastisch verschärft und bis heute zu zahlreichen kriegerischen Auseinandersetzungen geführt haben. Der israelisch-arabische Konflikt, die ungelöste Palästinenser- und Kurdenfrage, innerarabische Gegensätze, Auseinandersetzungen um Fragen der Ideologie, Religion oder Macht und Streitigkeiten um die Kontrolle des Rohstoffs »Öl« haben einen dauerhaften Frieden in der Region bisher unmöglich gemacht.

Studien des Washingtoner »Center for Strategie and International Stu- dies« prognostizieren für die Jahrtausendwende eine Wasserverknap- pung im Nahen Osten, die die Auseinandersetzungen um die Ölvorräte verdrängen und eine sich zuspitzende Wasserkrise zahlreiche kriegerische Konflikte nach sich ziehen könnte, zumal die zwischenstaatlichen Bindungen in der Region äußerst instabil sind.

Bereits heute müssen die meisten Länder der Region enorme Anstren-gungen leisten, um ihre Wasserversorgung sicherzustellen. Besonders betroffen sind die Golfanrainerstaaten Kuwait, Bahrain, Quatar, Vereinigte Arabische Emirate, Oman und Saudi-Arabien, in denen eine planlose Verstädterung Platz greift und intensive Bewässerungsprojekte bereits in einem erheblichen Umfang zu einer Versalzung des Grundwassers geführt haben. Der Krise versuchen diese Staaten verspätet mit unausgereiften nationalen Wasserregulierungsprogrammen zu begegnen, indem der bisher hemmungslos verschwenderische Wasserverbrauch im privaten und öffentlichen Bereich durch Einführung verschiedener Instrumentarien gedrosselt werden soll. Einige Staaten, wie z.B. Kuwait, sahen sich sogar gezwungen, Lieferabkommen mit wasserreichen Staaten einzugehen. Im März 1989 unterzeichnete Kuwait einen Vertrag mit Irak, durch den die Lieferung von zweieinhalb Millionen Kubikmeter Wasser jährlich vereinbart worden war. »Das Wasser soll aus dem Schaft el Arab, der gemeinsamen Mündung von Euphrat und Tigris, geschöpft werden. Bis die Liefervorrichtungen in etwa zehn Jahren fertiggestellt sind, wird Irak täglich 500 Millionen Gallonen (2,25 Milliarden Liter) zur Bewässerung der Felder und 700 Millionen Gallonen (3,15 Milliarden Liter) Trinkwasser liefern. Die Kosten des aufwendigen Projekts belaufen sich nach Angaben des kuwaitischen Ministeriums für Wasser …


Heidi Hinz-Karadeniz

Rainer Stoodt

Die Wasserfalle

Focus

Focus Verlag
Die Wasserfalle
Vom Krieg um Öl zum Krieg um Wasser:
Aufstieg und Fall eines Großprojektes in Kurdistan
Heidi Hinz-Karadeniz / Rainer Stoodt

Titelgestaltung: Anja Besand
Die Fotos im Innenteil stammen von Rainer Stoodt

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Die Wasserfalle: vom Kampf um Öl zum Kampf um Wasser;
Aufstieg und Fall eines Grossprojektes in Kurdistan / Heidi
Hinz-Karadeniz; Rainer Stoodt (Hrsg.) – Giessen: Focus, 1993
ISBN 3-88349-403-8
NE: Hinz-Karadeniz, Heidi [Hrsg.]

© by Focus Verlag GmbH, Gießen 1993
Alle Rechte Vorbehalten

Satz: Focus Fotosatz, Gießen Druck:
Druckkollektiv GmbH, Gießen

Printed in the Federal Republic of Germany

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