VORWORT
Uber die Kurden, ihre Geschichte und Kultur, ihre Situation als »Volk ohne Staat«, ihren politischen Kampf um das Recht auf Selbstbestimmung wurden in den letzen Jahren - von Kurden selbst und von Wissenschaftlern und Publizisten vieler Nationen — viele Bücher geschrieben. Mit dem hier vorliegenden Buch wird meines Wissens zum ersten Mal der Ansatz gewählt, eine einzelne Biographie, beziehungsweise die Biographie einer Familie, als Folie zu benutzen zur Darstellung der Lebensgeschichte eines ganzen Volkes.
Ich verstehe dieses Buch als Liebeserklärung an mein Volk, als Referenz an die Sippe der Ghasis, insbesondere an meinen Vater, der die Kurden zu größten Höhen geführt hat, der zum Schluß ganz bewußt das Wohlergehen seiner eigenen Familie der kurdischen Sache untergeordnet und sein Leben für sie geopfert hat. Dies soll auch für die vielen kurdischen Märtyrer und meine beiden Onkel gelten, die ebenfalls wie Helden für ihr Volk starben. Ich verstehe dieses Buch schließlich als Verbeugung vor meiner Mutter, in deren Schicksal sich das Leid des kurdischen Volkes spiegelt und die von vielen die »Mutter Kurdistans« genannt wird.
Mit diesem Buch will ich auch jenen Menschen danken, die mir geholfen haben, nach fünf Jahren Haft in den Gefängnissen Saddam Husseins endlich wieder die Freiheit zu erlangen. Stellvertretend für viele nenne ich hier vor allem meinen Rechtsanwalt Hanke von Schweinitz, der nicht nur als gewissenhafter Rechtsanwalt, sondern auch wie ein Bruder unermüdlich meine Sache verfolgt hat.
Ich danke den Deutschen, in deren Land ich jetzt seit vier Jahrzehnten Aufnahme und Freundschaft gefunden habe. Mein Dank gilt auch allen westlichen Staaten, die vielen Kurden, welche politisch verfolgt sind, Schutz und Asyl gegeben haben. Des weiteren danke ich allen Menschen in der ganzen Welt, die Verständnis für die Sache der Kurden zeigen und die so oft zu solidarischer Hilfe bereit waren. Sie haben zu den Kurden gehalten, auch wenn in ganz seltenen Fällen deren Kampf sich manchmal in problematischen Formen äußert.
Diese Freunde will ich in ihrer festen Überzeugung bestärken, daß die Kurden, wenn sie einmal Herr ihres Schicksals sind, den Weg der Freiheit und der Demokratie wählen werden, so wie sie das schon in der Kurdischen Republik von 1946/47 taten, als die letzte Entscheidung immer beim Volk lag — dies zu einer Zeit, in der es nur wenige Staaten mit demokratischen Grundordnungen gab - und als deren Präsident mein Vater Maßstäbe politischen Handelns in Kurdistan setzte.
Bonn, im September 1994 Ali Homam Ghasi
Das Volk ohne Staat
Vor hundert Jahren wußte man außerhalb Kurdistans wenig über die Kurden und ihr Land. Freilich gab es in Frankreich, in England und in Deutschland Berichte von Reisenden, von Archäologen und Forschem, in denen auch die Kurden erwähnt wurden. Freilich gab es gelehrte Abhandlungen im Elfenbeinturm der Wissenschaft, aber im öffentlichen Bewußtsein der Welt waren sie nicht präsent. Ohnehin spielten vor der Neuzeit die Völker eine untergeordnete Rolle. Die Denkfiguren der Historiker kreisten vielmehr um Räume, Reiche, Religionen. Das wurde erst anders, als mit der Massenpresse des 19. Jahrhunderts und der modernen Kommunikation des 20. Jahrhunderts Nachrichten aus aller Welt überall präsent und greifbar wurden.
In Deutschland beispielsweise machte zum ersten Mal ein Bestseller-Roman, der Millionenauflagen erlebte, die Kurden präsent. Es handelte sich um den Roman eines sächsischen Vielschreibers, Karl May, unter dem Titel »Durchs wilde Kurdistan«, der bis heute fast von jedem deutschen Jungen gelesen wurde. Erst nach dem Ersten Weltkrieg gab es einen internationalen Informationsschub über Kurdistan und die Kurden. Damals spielten sie zum ersten Mal vor den Augen der Weltöffentlichkeit eine Rolle, als sie bei dem umfassenden politischen Großreinemachen, das nach der Zerschlagung der Habsburger Doppelmonarchie und des Osmanischen Reiches einsetzte, ebenfalls einen eigenen Staat für ihr Volk verlangten.
Doch wirklich in die vorderste Front des Nachrichtenbildes gerieten die Kurden erst seit den 60er Jahren. Mit den großen Aufständen gegen den arabisch bestimmten Irak gerieten sie in die Schlagzeilen. Der heutigen Generation sind sie schon ganz vertraut - immer im Zusammenhang mit Unterdrückung, Verfolgung, Vernichtung, Schreckensmeldungen. Wer könnte jemals die Bilder vergessen, die im Frühjahr 1988 die 5.000 Einwohner der kurdischen Stadt Halabscha im Irak zeigten, die Saddam Hussein mit Giftgas umbringen ließ? Wer würde sich nicht an die rabiate Verfolgung der Kurden des Iran durch Khomeini erinnern, mit ihren schrecklichen Bildern von Massenhinrichtungen, Foltergefängnissen, der Vernichtung durch Khomeinis Luftwaffe? Seit …
|