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Die kurdische Tragödie


Auteur :
Éditeur : Rowohlt Date & Lieu : 1991, Hamburg
Préface : Pages : 192
Traduction : ISBN : 3-933279-22-4
Langue : AllemandFormat : 125x190 mm
Code FIKP : Liv. Ger. Nir. Kur. N°919Thème : Général

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Die kurdische Tragödie

Die kurdische Tragödie

Bahman Nirumand

Rowohlt


«Unsere Förderungen sind stets mit Bomben, Kanonen, Gefängnisstrafen, Verbannungen beantwortet worden. Unsere natürlichen j nationalen Reichtümer wurden vernichtet und geraubt, unsere nationale Ehre wurde verletzt. Man weigert sich, uns zuzugestehen, daß auch wir Menschen sind, daß auch wir eine eigene Geschichte, eine eigene Sprache, eine eigene Kultur besitzen! j Wieso läßt man es nicht zu, daß wir unser Haus selbst verwalten?»

Aus dem Grundsatzprogramm der Demokratischen Partei I
Kurdistans Im Iran vom 16. August 1945 1



VORWORT


Hätte jemand während der Zeit, in der amerikanische Jagdflieger Nacht für Nacht Hunderte Tonnen von Bomben auf die irakischen Städte, Dörfer und Militärbasen abwarfen, um Saddam Husseins Machtbastionen zu vernichten und den Despoten in Bagdad in die Knie zu zwingen, ernsthaft behauptet, der amerikanische Präsident George Bush würde wenige Wochen später ruhig zuschauen, wie der Diktator mit dem ihm übriggelassenen Militärpotential sein eigenes Volk abschlachtet, er wäre als hirn\ erbrannt bezeichnet und abgewiesen worden. Was in den vergangenen Wochen und Monaten geschehen ist, scheint unbegreiflich. Noch unbegreiflicher aber ist die Tatsache, daß die Weltöffentlichkeit die Ereignisse, und noch schlimmer, die dazugelieferten Erklärungen und Argumente, nahezu unwidersprochen hingenommen hat.

Erst wird ein Land wochenlang bombardiert, dabei werden Hunderttausende von Menschen getötet, Städte und Dörfer zerstört. Dann wird die Opposition dazu aufgerufen, den Diktator in Bagdad zu stürzen. Und als die Opposition diesem Ruf folgt und um Hilfe und Unterstützung schreit, da heißt es auf einmal, man könne und wolle sich nicht in innere Angelegenheiten Iraks einmischen! Dann beginnt der Diktator einen Völkermord gegen Kurden und Schiiten, niemand rührt sich, denn man kann sich ja nicht in innere Angelegenheiten anderer Länder einmischen. Fast zwei Millionen Kurden begeben sich auf die Flucht, um den Napalm- und chemischen Bomben und den Republikanischen Garden Saddam Husseins zu entkommen grauem olle, erschütternde Szenen werden den Fernsehzuschauern in aller Welt vorgeführt. Es ist unerträglich, Proteststimmen werden immer lauter, humanitäre Organisationen bitten um Spenden, um den Flüchtlingen eine Soforthilfe zu gewähren. Erst unter dem Druck der Öffentlichkeit rühren sich auch die Regierungen, auch die jener Länder, die statt einer friedlichen Lösung - zugegeben, sie wäre schwer durchsetzbar, aber nicht unmöglich gewesen - einen vernichtenden Krieg gestartet hatten. Und in Washington kommt man schließlich zu der Ansicht, daß eine Einmischung in innere Angelegenheiten Iraks in diesem Fall nun doch erlaubt sei - aus Gründen der Humanität! Doch das Heilmittel kommt, nachdem der Patient bereits gestorben ist. Als Zehntausende Tonnen von Bomben auf die irakischen Städte fielen, als Saddam Hussein Kurden und Schiiten massakrierte, da war Humanität nicht angesagt, danach aber, als auf kurdischem Gebiet bereits Tausende von verbrannten Leichen lagen, da besann man sich auf jene Werte, die die europäisch-amerikanische Kultur und Zivilisation hervorgebracht haben und auf die man hier im Westen mit
Recht so stolz ist - wenn doch nur diese Werte tatsächlich immer und überall die Richtlinien der Politik bestimmen würden.

Um jedes Mißverständnis auszuräumen, sei betont, daß ich keineswegs eine militärische Intervention, zu wessen Gunsten auch immer, gutheißen würde. Darum ging es ja auch gar nicht, obwohl viele Kommentatoren und auch einige «Linksintellektuelle» die Kritik an der Zurückhaltung der Alliierten sogleich zum Anlaß genommen haben, um gegen die Teilnehmer an der Friedens- bzw. Antikriegsbewegung ins Feld zu ziehen. Nein, die Kritik richtet sich nicht gegen die Weigerung zur Einmischung.

Einmischung hat es seit dem Beginn des kolonialen Zeitalters immer gegeben, daraus resultieren ja zum Teil die heutigen Konflikte. Es ist doch eine Binsenweisheit, daß die führenden Mächte im Westen - und auch im Osten - schon immer jeden Ansatz von Demokratisierung in den Ländern der sogenannten Dritten Welt im Keim erstickt und immer wieder Diktaturen gezüchtet und mit Waffen versorgt haben, damit sie als deren Statthalter die Völker in Schach halten können. Wer hat denn 1953 im Iran Mossadegh gestürzt und den Schah ins Land zurückgeholt, wer hat in Chile den Militärputsch gegen Allende organisiert und General Pinochet an die Macht gebracht? Woher hatte Saddam Hussein seine modernen chemischen und biologischen Waffen? Worauf stützen sich nun die absolutistischen Herrscher in Kuwait? Wer pflegt heute Freundschaft mit dem bis vor kurzem als Terrorist Nummer eins gebrandmarkten Hafis al-Assad in Syrien, wer liefert ihm die Waffen? - Nein, es geht nicht um die unterlassene Einmischung zugunsten der irakischen Opposition. Meine Kritik richtet sich gegen das, was vorher geschehen war.

Denn das grauenhafte Geschehen, das alle Welt am Fernsehschirm miterlebte, war doch von jedem Beobachter, der sich auch nur oberflächlich mit der Region beschäftigt hat, vorauszusehen. Der einen Seite läßt man genügend Waffen übrig, um ihre Gegner zu vernichten, und gleichzeitig wird die andere Seite zum Widerstand ermuntert -das heißt, man fordert sie auf, ins Messer zu laufen. Hätte man das Massaker verhindern wollen, dann hätte man den Irakern entsprechende Bedingungen bei der Einstellung der Kampfhandlungen und später beim Waffenstillstandsabkommen diktieren müssen. Wieso war cs möglich, den Machthabern in Bagdad den Einsatz von Jagdflugzeugen zu verbieten - es wurden ja auch nach Beendigung der Kampfhandlungen zwei Flugzeuge abgeschossen -, den Einsatz von Hubschraubern aber nicht?

Vielleicht können folgende Überlegungen eine Antwort geben. Es ist wohl anzunehmen, daß man sich in Washington schon vor der Aufnahme der Kampfhandlungen gegen den Irak oder zumindest vor ihrer Beendigung über die Zukunft dieses Landes Gedanken gemacht hat. Vier Möglichkeiten sind hier denkbar. Die erste wäre, den Irak als souveränen Staat aufzulösen und unter den Nachbarstaaten aufzuteilen. Für die Türken, die schon immer nach den Ölquellen von Kirkuk schielten und im Falle einer Aufteilung Iraks den nördlichen Teil erhalten würden, wäre dies die günstigste Lösung, für die meisten Staaten in und außerhalb der Region aber nicht. Eine Aufteilung Iraks würde die gegenwärtige Machtkonstellation im Nahen Osten völlig durcheinanderbringen und den Irak in ein zweites Libanon verwandeln, und dies wäre nicht im Sinne der Staaten der Anti-Irak-Front.

Die zweite Möglichkeit wäre ein tatsächlicher Machtwechsel im Irak, also eine Machtübernahme durch die Opposition. Diese besteht aber in der Hauptsache aus Schiiten und Kurden. Die Schiiten - verlängerter Arm der iranischen Ayatollahs - als Herrscher in Bagdad, das würde einen ungeheuren Machtzuwachs der islamischen Republik Iran bedeuten, eine Entwicklung, die alle Staaten in der Region als Bedrohung empfinden würden. Und die Kurden, wer würde schon gerne die Macht in deren Händen sehen? Das würde doch den Kurden im Iran, in der Türkei und in Syrien großen Auftrieb geben und größere Gebiete der betreffenden Staaten der Gefahr einer Trennung aussetzen.

Die dritte Möglichkeit wäre die Inszenierung eines Militärputschs. Diese Lösung wäre vermutlich für die Alliierten in der Anti-Irak-Front die angenehmste. Ein westlich orientierter General auf dem Stuhl Saddam Husseins könnte sogar nachträglich, nach dem militärischen Sieg, als ein politischer Sieg verbucht werden. Nur, diese Möglichkeit hat sich nach allen bisherigen Versuchen nicht realisieren lassen. Der Grund liegt wohl darin, daß das irakische Militär, ähnlich wie das im Iran unter dem Schah, so strukturiert ist, daß jede Möglichkeit eines Putsches nahezu ausgeschlossen ist. Alle Fäden sind in den Händen des Diktators konzentriert. Schlägt man der Militärhierarchie den Kopf ab, fällt das ganze Gebäude wie ein Kartenhaus zusammen. Hinzu kommt die fast nahtlose Kontrolle durch sechs Geheimdienste, die nicht nur das Volk, sondern auch die Inhaber von Schlüsselpositionen - zumal bei den Militärs - ständig überwachen.

Bliebe also eine vierte Möglichkeit, sie klingt absurd, ist aber den bisherigen Informationen zufolge wahr: Man überläßt Saddam Hussein die Macht! Ein Diktator, dem eine schändliche Niederlage zugefügt worden ist, wird vermutlich in Zukunft zumindest nach außen leiser treten und gefügiger sein, zumal er seine Existenz den Gegnern von gestern verdankt.

Sollte die Vermutung zutreffen, daß Washington sich tatsächlich für diese vierte Möglichkeit entschieden hat, dann würden sich die zunächst als unverständlich erscheinenden Widersprüche der amerikanischen Position in eine logische Abfolge verwandeln: Saddams Militärpotential muß zerstört werden (Bombardierung Iraks), aber nur so weit, daß er Angriffe nach außen nicht mehr wagt, jedoch ausreichend bleibt, um die innere Opposition niederwerfen zu können (vorzeitige Beendigung der Luft- und Bodenoffensive). Die Ereignisse der letzten Wochen bestätigen diese Vermutung.

Und die Kurden?
Vertrieben aus dem eigenen Land, wird nun den Überlebenden humanitäre Hilfe gewährt. Und politische Unterstützung? Wie lange sollen sie noch um ihre elementarsten Rechte kämpfen, um die Ausbildung in der eigenen Muttersprache, um die freie Pflege ihrer Kultur, um Selbstverwaltung, um eine Heimat, die sie ihre eigene nennen können? Können sich die irakischen Kurden auf die jüngsten Versprechungen Saddam Husseins verlassen, auf Versprechungen, wie sie immer wieder in einer Notsituation gegeben, nie aber gehalten wurden? Und die Kurden in der Türkei, inwieweit können sie dem scheinbaren oder tatsächlichen Sinneswandel in Ankara Glauben schenken? Und wie lange sollen und können die iranischen Kurden ihren Kampf gegen den Monopolanspruch der Ayatollahs auf Macht fortsetzen oder auf eine Gnade der Gottesmänner in Teheran hoffen? Und schließlich die Kurden in Syrien und in der Sowjetunion, deren Existenz kaum wahrgenommen wird, können diese überhaupt auf eine eigene Heimat oder zumindest auf den Status einer anerkannten Minderheit hoffen? Hat der Kampf der Kurden um ihre Rechte, den sie seit Generationen führen, überhaupt Aussicht auf Erfolg?

Die Antwort ist meiner Ansicht nach sowohl positiv als auch negativ. Bei einer realistischen Betrachtung der gegenwärtigen Lage in der Region hätte - zumindest für die nahe Zukunft - das Ziel, einen selbständigen Staat für alle Kurden zu etablieren, keinerlei Aussicht auf Verwirklichung. Dazu müßten die Kurden in der Lage sein, ihren Willen gegen vier, und wenn man die Sowjetunion dazunimmt, fünf Staaten durchzusetzen - ein Ziel, zu dessen Realisierung den Kurden die Voraussetzungen und die erforderliehen Mittel fehlen. Schon die Tatsache, daß die Kurden untereinander nicht einig sind, nicht einmal die in den jeweiligen Ländern, läßt den Gedanken an einen selbständigen Staat abwegig erscheinen.

Hingegen wären die Aussichten auf die Erlangung einer, wenn auch in gewisser Hinsicht eingeschränkten Selbstverwaltung in den jeweiligen Ländern, langfristig betrachtet, gar nicht so gering. Voraussetzung dafür aber wäre die Demokratisierung der betreffenden Länder.

Für die Kurden, wenn sic sich auf eine solche Perspektive einließen, müßte dies konsequenterweise bedeuten, daß sie ihren Kampf in Zukunft nicht separat führen, sondern ihn mit den demokratischen Strömungen im jeweiligen Land koordinieren. Auf Diktaturen, die aus einer Notsituation heraus Versprechungen machen und Verträge unterzeichnen, ist kein Verlaß. Diese Einsicht haben die Kurden selbst oft genug am eigenen Leib erfahren. Dennoch scheint sich diese Erkenntnis, trotz siebzigjähriger Erfahrung, bei vielen kurdischen Organisationen noch nicht durchgesetzt zu haben. Statt dessen lassen sie sich von einem Absolutheitsanspruch leiten, der sie zwangsläufig immer wieder in die Sackgasse führt. Zwar ist auch der Weg zur Demokratisierung der Länder wie Iran, Irak und auch Türkei ein höchst mühseliger und langwieriger Weg, aber eben ein Weg, der doch die Hoffnung erlaubt, irgendwann einmal zum Ziel zu gelangen.

Der vorliegende Band will zu den aktuellen Nachrichten über die Situation der Kurden notwendige Hintergrundinformationen und Analysen vermitteln. Selten in der Weltgeschichte ist die Öffentlichkeit auf das tragische Los des kurdischen Volkes aufmerksam geworden. Es bedurfte des brutalen Völkermords, um den Blick auf dieses in Vergessenheit geratene Volk zu lenken. Vermutlich wird der Blick dort nicht lange haftenbleiben. Wie bei vielen Ereignissen unserer Welt, wird die Öffentlichkeit bald auch des Kurdenproblems überdrüssig werden, und die Massenmedien werden sich einem anderen Thema zuwenden. Ein Grund mehr, um diesen Band so rasch wie möglich zusammenzustellen. Für die Autorin und die Autoren, die ohne Ausnahme zu den langjährigen Beobachtern und Kennern der kurdischen Geschichte gehören, auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verlags, bedeutete das eine große Belastung. Ihnen allen gebührt ein herzlicher Dank.

Bahman Nirumand,
Mai 1991



Arnold Hottinger

Vom westlichen Mißtrauen
gegen arabischen Pluralismus

Chronik eines vorerst
gescheiterten Demokratisierungsprozesses

Nach dem amerikanisch-alliertcn Sieg in Kuwait und vor Basra kam es beinahe unmittelbar zu einem spontanen Aufstand der schiitischen Bevölkerung im Süden des Irak. Daß er überhaupt mit einigem Effekt möglich wurde und sich relativ rasch ausbreiten konnte, lag daran, daß irakische Soldaten mit ihren Waffen aus Kuwait und den Grenzgebieten zurückströmten und sich für den Kampf gegen die Saddamtreuen Sicherheitskriiftc und Baath-Bchördcn der südlichen Städte zur Verfügung stellten.
Der Aufstand brach in Basra aus, das die Amerikaner nicht besetzt hatten, und er erstreckte sich auf die meisten Städte des Südens am Tigris und am Euphrat. Die Bevölkerung stürmte die Sitze der Gouverneure und der Geheimdienste. Sie erklärte ihre Stadt für «befreit», sobald diese gehaßten Funktionäre geflohen oder umgebracht waren, und die Bevölkerung versuchte in einer jeden Stadt ein eigenes Regime aufzuziehen, das freilich meist recht chaotisch geriet. Politische Elemente, die eine Ausrichtung zu geben vermochten, waren fast nur die Geistlichen und die Sympathisanten mit den von schiitischen Geistlichen geleiteten Exilgruppierungen in Iran und in Syrien. Die wichtigsten dieser Gruppierungen waren das seit dem irakisch-iranischen Krieg in Teheran bestehende Hohe Komitee zur Islamischen Revolution im Irak, das von exilierten Mitgliedern der Hakim-Familie und Schülern des von den Irakern ermordeten Geistlichen Bagher as-Sadr gegründet worden war, sowie die Islamische Revolutionsorganisation von Taqi Mudarresi in Damaskus. Sie versuchten, Emissäre und Kämpfer in den Irak einzuschleusen, was in den grenznahen Städten wie Basra, Amara und Ali…




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