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Der Kurdische Knoten


Auteurs : |
Éditeur : Jugend und Volk Date & Lieu : 1988, Wien & München
Préface : Pages : 182
Traduction : ISBN : 3-224-1 6529-4
Langue : AllemandFormat : 155x215 mm
Code FIKP : Liv. Ger. Rei. Kur. N°1199Thème : Général

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Der Kurdische Knoten

Der Kurdische Knoten

Hannes Reichmann
Alexander Foggensteiner

Jugend und Volk

„Von denen niemand spricht“, so muß man - im Hinblick auf die Berichterstattung der Medien - die Situation des kurdischen Volkes sehen. 25 Millionen Menschen, deren Siedlungsgebiet im Schnittpunkt von fünf Staaten liegt und die nirgendwo autonom neben den anderen Völkern leben können.

Etwa 12 Millionen sind bedroht, im Golfkrieg - entlang der Nordfront, an der iranisch-irakischen Grenze - durch die beiden Kriegsgegner eliminiert zu werden: Massendeportationen, Massaker an der Zivilbevölkerung im Verlauf der Kämpfe.

„Sind in den täglichen Berichten leckgeschossene Öltanker im Persischen Golf wirklich wichtiger als die Situation von Millionen Menschen, die an der nördlichen Front durch Giftgas dezimiert werden?“ Die Berechtigung dieser Frage wird durch die Schilderung der katastrophalen Zustände bestätigt.

In der Türkei wird den Kurden - ebenfalls an die 12 Millionen -verweigert, als Kurden zu leben: Das Regime duldet sie als „Bergtürken“ unter wirtschaftlich denkbar schlechten und allgemein rückständigen Bedingungen.

Ein aktueller Augenzeugenbericht über das größte Volk in unserer Welt, das seit Jahrzehnten um Eigenstaatlichkeit und Autonomie kämpft.

Die beiden Autoren verbrachten im Spätsommer 1986 zehn Wochen auf der irakischen Seite im nördlichen Frontbereich. Viermal überschritten sie auch die Grenze zum Iran, illegal, von kurdischen Partisanen geführt (das Foto zeigt sie zusammen mit einer Rebellengruppe). Im Herbst 1987 bereisten sie das kurdische Siedlungsgebiet im ostanatolischen Hochland auf türkischem Boden.



Hannes Reichmann, geboren 1962 in Villach/Kärnten. Studium der Kommunikations- und Politikwissenschaften in Salzburg. 1984 bis 1986 Wirtschaftsredakteur bei der „Wochenpresse“. Lebt als freier Journalist in Wien und Rosegg/Kärnten.

Alexander Foggensteiner
, geboren 1963 in Eisenstadt. Studium der Geschichte und Publizistik in Wien. Zwischen 1984 und 1986 Mitarbeiter bei „Die Presse“ und „Wochenpresse“ in Wien.

 



VORWORT


Spätherbst 1985: etwa zwanzig dunkelhaarige junge Männer nehmen in einem Wiener Hotel Quartier. Es sind kräftige Gestalten mit ausdrucksstarken Gesichtszügen und rabenschwarzen Schnurrbärten. Jeder dieser Burschen — zwischen 18 und 25 Jahre alt — ist bereits ein Krüppel. Jedem fehlt ein Bein oder Arm, sie humpeln auf Krücken, leere Sakkoärmel baumeln herab.
Der uns bedrückende Anblick steht ganz im Gegensatz zum fröhlichen und unbekümmerten Wesen dieser jungen Männer. Sie schreiben alle „Kurdistan“ in die Rubrik „Nationalität“ am Anmeldeformular des Hotels.

Nie hätten wir uns träumen lassen, daß wir kaum sechs Monate nach diesem ersten Kontakt mit Kurdistan bereits auf kurdischem Boden stehen würden. Seit dem Zusammentreffen mit den invaliden Partisanen aus dem iranischen Kurdistan hatte die Intensität der Kämpfe im Bereich des historischen Siedlungsgebietes der Kurden dramatisch zugenommen.

Kurdistan? Ein Begriff, mit dem wenige in unseren Breiten etwas anzufangen wissen. Wer weiß schon, daß es eine halbe Million Quadratkilometer Erde gibt, wo gut 25 Millionen Kurden leben. Und was die eigentliche Tragik des kurdischen Volkes ausmacht: Dieses Gebiet ist auf fünf Staaten verteilt — den Iran, den Irak, die Türkei, Syrien und die Sowjetunion —, durch Grenzen getrennt, welche die Großmächte am Verhandlungstisch willkürlich gezogen haben.

Es steht aber weniger die Frage im Vordergrund, ob die Kurden ein geeintes Kurdistan anstreben, sondern vielmehr, wie die Kurden auch trotz der bestehenden Grenzen ein menschenwürdiges Dasein erlangen können.
Die Ausgangslage zur Erreichung von Autonomie war in den verschiedenen Teilen Kurdistans gleich schlecht. Durch den Ausbruch des Golfkrieges aber hat sich die Situation für die Hälfte der Kurden sogar noch verschlimmert: Mehr als elf Millionen Menschen im iranischen und irakischen Kurdistan sind durch den schrecklichsten Krieg unserer Zeit jeden Tag in ihrer Existenzbedroht, sind zwischen die Fronten der beiden Langzeit-Kriegsgegner geraten.

Schon lange vor Kriegsbeginn haben sich die sieben Millionen iranischen Kurden gegen das Schah-Regime und seine brutale Herrschaft in den 4000 iranisch-kurdischen Siedlungen zu wehren versucht. Verfolgung und Folterung politisch aktiver Kurden waren die Antworten Schah Reza Pahlewis. Kurz nach seinem Sturz keimte für einige Monate Hoffnung auf, die iranischen Kurdenorganisationen setzten große Erwartungen in Ayatollah Chomeini: Sie rechneten mit der Autonomie.

Doch es kam anders: Der große Imam vermochte die Brutalität des Vorgehens gegen immerhin 15 Prozent der iranischen Bevölkerung — so groß ist der Anteil der Kurden — sogar noch zu steigern. Das kurdische Siedlungsgebiet im Iran, 170.000 Quadratkilometer-, ist seit Beginn des Golfkrieges von 250.000 Revolutionsgardisten des Regimes besetzt. Tausende revoltierende Kurden sahen sich gezwungen, in die Grenzgebiete des Irak und der Türkei zu flüchten, viele leben in der Diaspora.

Die persischen Besatzer schrecken nicht einmal davor zurück, an kurdische Kinder Spielzeug zu verteilen, in welchem Plastiksprengstoff versteckt ist. Die Köpfe erschossener kurdischer Partisanen werden in mittelalterlicher Greuel-Manier auf Holzspießen durch kurdische Dörfer getragen, um zu demonstrieren, was den Widerstandskämpfern bevorsteht, die sich dem Fundamentalismus Chomei-nis entgegenstellen.

Jenseits der Grenze, im irakischen Kurdistan, gab es in den vergangenen fünfzehn Jahren mehrmals Hoffnung auf Selbstbestimmung. Immer wieder kam es zu Autonomieverhandlungen der kurdischen Organisationen mit dem Regime in Bagdad. Das Ergebnis für die 4,5 Millionen Kurden unter den knapp 16 Millionen Einwohnern des Irak — das sind 28 Prozent der Gesamtbevölkerung — war jedesmal ein Fiasko: Zehntausende kurdische Familien wurden in den arabischen Süden des Landes deportiert, wo sie in Massenlagern dahinvegetieren. Entlang der iranischen Grenze entstand ein durch Bombardements und Massenexekutionen menschenleerer Raum, der mehrere hundert Kilometer lang und 20 Kilometer breit ist.

Der Ethnozentrismus des irakischen Präsidenten Saddam Hussein sieht vor, daß der Siedlungsraum der Kurden — rund 75.000 Quadratkilometer — systematisch durch die Ansiedlung von arabischen Irakern zersetzt wird.
Nach den ersten Gesprächen mit Kurden — im sicheren Europa — stand für uns fest, daß wir die kurdische Realität an den Erzählungen unserer Freunde messen wollten. Im Sommer 1986 war es soweit, gerade noch rechtzeitig, wie sich zeigen sollte. Denn es gelang uns, als letzte westliche Journalisten in Gebiete zu reisen, die durch Veränderung des Frontverlaufes heute nicht zugänglich sind. Dabei die von den beiden Regimen aufgebauten Hürden für eine freie Berichterstattung zu überwinden, das war und ist unser Hauptziel.

Wir haben nach der Rückkehr viele Gespräche über Sinn und Unsinn einer solchen Krisenberichterstattung geführt, haben von unserem „kalkulierbaren Risiko“ gesprochen und wissen heute, wie relativ dieser Begriff in Wirklichkeit ist.
Bei den vier Märschen mit kurdischen Partisanen, die uns illegal über die Grenze in den Iran führten, haben wir mehrmals abgewinkt, die Peshmerga — „die dem Tod ins Auge blicken“, wie die kurdischen Freiheitskämpfer genannt werden — bei ihren gefährlichen Aktionen zu begleiten.

Wenige Wochen nach unserer Rückkehr aus Kurdistan begann das irakische Baath-Regime mit dem massiven Einsatz chemischer Waffen im Golfkrieg. Hauptbetroffene dieses völkerrechtlich verabscheuungswürdigen Vorgehens der Regierung Saddam Hussein — die den Amerikanern offensichtlich einen so gewaltigen Flotteneinsatz im Persischen Golf wert ist — waren und sind wieder die kurdischen Zivilisten: im Iran und im Irak, denn die irakische Luftwaffe schreckt nicht davor zurück, auch im eigenen Land Nervengas gegen Kurden einzusetzen.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt war uns klar, wie schrecklich dieser Krieg auch abseits der im Blickpunkt der Weltöffentlichkeit stehenden Front am Golf wütet. Giftgasbomben wären auch wir mit unserem „kalkulierbaren Risiko“ hilflos ausgeliefert gewesen.
„Von denen niemand spricht“: eine treffliche Bezeichnung der Anteilnahme unserer zivilisierten Welt am Schicksal von 25 Millionen Kurden — dem größten Volk dieser Erde ohne eigenen Staat, ohne Zuerkennung von Autonomie, ohne elementare Menschenrechte. Denn nicht nur im Iran und Irak — nicht allein durch den Krieg bedingt — kämpfen Kurden ums Überleben.
Auch auf 230.000 Quadratkilometern türkischem Boden, im ostanatolischen Hochland, geraten 12,3 Millionen Kurden — 24 Prozent der Gesamtbevölkerung — immer mehr unter Druck. Als „Bergtürken“ diskriminiert, leben sie unter denkbar schlechten wirtschaftlichen und allgemein rückständigen Bedingungen. Und aufgrund ihrer „Entnationalisierung“ können sie beispielsweise für den Besitz eines Buches in kurdischer Sprache zu fünf Jahren Kerker verurteilt werden — wie wir im Herbst 1987 im Laufe einer Reise durch Türkisch-Kurdistan erfahren konnten.

Die 900.000 Kurden in Syrien haben glücklicherweise keine aggressiven Verfolgungen durch den Staat zu erdulden, doch gefördert wird ihre kurdische Identität auch nicht. Es ist bezeichnend, daß es gerade den 350.000 sowjetischen Kurden am besten ergeht. Sie besiedeln — wirtschaftlich und kulturell gesichert — ein Gebiet nahe der iranischen Grenze.

Die größte Herausforderung ist allerdings ein Phänomen, das mit dem Schicksal Kurdistans und der Kurden untrennbar zusammenzuhängen scheint: Es ist das Schweigen der Weltöffentlichkeit. Engagierte kritische Geister in Ost und West nehmen sich um das Schicksal der Palästinenser an. Jahrelang rückten die Probleme dieses Volkes nicht aus den Schlagzeilen der Zeitungen. Und ebenso lange dauert das Schweigen der Medien an, wenn es um das Überleben des kurdischen Volkes geht. Wird hier mit zweierlei Maß gemessen?

Es ist uns bewußt, daß die Kurden an einem besonders ungünstigen Schnittpunkt der Großmachtinteressen angesiedelt sind. Doch sind in der Berichterstattung leckgeschossene Oltanker im Persischen Golf wirklich wichtiger als die Situation von Millionen Menschen, die an der mittleren und nördlichen Front des Golfkrieges durch Giftgas dezimiert werden?

Wir bezweifeln es. Solange es einer gewissenlosen Horde internationaler Waffenlieferanten noch lukrativ erscheint, den Iran und den Irak mit Mordinstrumenten zu beliefern — alle Großmächte sind beteiligt, die schmutzigen Umstände ja hinlänglich bekannt —, so lange wird dieser in sinnlose ideologische Nebel gehüllte Zermür-bungskrieg nicht zu Ende gehen. Aber dann werden jene zur Zeit die Zerstörung unterstützenden Staaten wieder in der ersten Reihe stehen, um Aufträge für den Wiederaufbau zu ergattern. Und die Kurden werden weiter kein Thema sein.

Dieses Buch ist ein Versuch, Kurdistan und die Kurden von heute zu beschreiben, den Freiheitswillen eines unbeugsamen Volkes, das bedroht ist, durch die Machtinteressen im Golfkrieg aufgerieben und von der „engagierten“ Weltöffentlichkeit vergessen zu werden. Nicht Historie steht für uns im Vordergrund, auch nicht Abenteuerromantik ä la Karl May, sondern jene Betroffenheit, die wir angesichts dieser Situation selbst verspüren.

Interesse, engagiertes Interesse für Kurdistan und die Kurden zu wecken, einen Teil des „kurdischen Knotens“ zu entwirren, das sind hochgesteckte Ziele. Ob dies eines der ältesten Kulturvölker dieser Welt verdient, möge jeder Leser selbst entscheiden.



Straßensperren und Agenten

„Zur Zeit ist dort unten noch mehr Geld durch Waffenlieferungen zu verdienen. Doch sollte der Krieg wirklich einmal beendet sein, dann werden sich die ehemaligen Lieferanten von Kriegsgerät um Aufträge für den Wiederaufbau balgen.“ Der sowjetische Offizier unterbricht seinen kurzen Vortrag in brüchigem Englisch und blickt aus dem Flugzeugfenster. Knapp vor Einbruch der Dunkelheit liegt jetzt die syrische Wüste gestochen scharf erkennbar vor uns ausgebreitet. Die „Iljuschin“ der sowjetischen Fluglinie „Aeroflot“ ist gut ausgelastet. Zwischen russischen Militärberatern und Technikern, die das Baath-Regime des irakischen Präsidenten Saddam Hussein militärisch lebensfähig erhalten, kommen wir uns ziemlich verloren vor.

An die Zeit, als Bagdad gefahrlos bei Tageslicht angeflogen werden konnte, erinnert sich der Sowjet-Offizier kaum noch. Seit der Golf-krieg tobt, tasten sich internationale Fluglinien im Schutze der Nacht an das Drei-Millionen-Treibhaus am Tigris heran. Die Bedrohung durch iranische Raketenangriffe auf den hypermodernen „Saddam International Airport“ ist einfach zu groß.
Nur eine einzige Botschaft des Irak in Europa war bereit gewesen, uns das begehrte Visum auszustellen, welches als Eintrittskarte in das kurdische Gebiet fungiert. Das Risiko, über die ostanatolische NATO-Flanke der Türkei in die kurdischen Rebellen-Regionen an der Grenze zwischen den beiden Kriegsgegnern zu gelangen, schien noch größer als die Fahrt entlang der Front im Irak.

Unbehelligt marschieren wir nach der Landung durch den Zoll. Unser kurdischer Gewährsmann wartet schon. Doch zuvor geben wir unsere Pässe ab. Ein unauffällig herangehuschter Geheimpolizist nimmt sie freundlich grinsend an sich. Sie bleiben in den Händen des Geheimdienstes — in einem Land, das Krieg führt, ist das der Gipfel an Unsicherheit. Was würde etwa im Iran passieren, wenn uns Chomeini-Leute erwischen sollten? Fast drei Monate später bekommen wir die Pässe wieder, einen Tag nachdem eine iranische Boden-Boden-Rakete im Hauptquartier des Geheimdienstes — dem Aufbewahrungsort unserer Ausweise — eingeschlagen und verheerenden Schaden angerichtet hatte.

…..

 




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