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Saladins Söhne: Die Kurden - das betrogene Volk


Auteur :
Éditeur : Droemer Knaur Date & Lieu : 1983, München
Préface : Pages : 352
Traduction : ISBN : 3-426-26098-0
Langue : AllemandFormat : 140x210 mm
Code FIKP : Liv. Ger. Des. Sal. N° 603Thème : Général

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Saladins Söhne: Die Kurden - das betrogene Volk

Saladins Söhne: Die Kurden - das betrogene Volk

Günther Deschner

Droemer Knaur

Aus allen Himmelsrichtungen waren sie unterwegs. Von überall, wo Kurden wohnen, eilten sie herbei. Sie kamen aus dem unwegsamen Bergland des Irak, wo sie ihren vorläufig letzten Freiheitskrieg gegen Bagdad 1975 hatten aufgeben müssen. Sie kamen aus dem anatoli-schen »wilden Osten« der Türkei heimlich über die kaum kontrollierbare grüne Grenze. Sie kamen mit Taxis und in Landrovern, in wackligen Bussen, denen die Fensterscheiben fehlten. Sie kamen zu Pferd oder zu Fuß aus dem ganzen umliegenden Kurdengebiet des Iran, das sich seit dem Sturz des Schahs in Aufruhr befand. Und sie kamen per Flugzeug aus dem westlichen Exil, aus den USA, der Bundesrepublik, aus Wien, London und Stockholm.
Die ersten traf ich schon während des kaum zweistündigen Fluges von Teheran in die westaserbeidschanische Provinzstadt Urmia, die auf persisch Orumjieh geschrieben wird. Während des halben Jahrhunderts der Dynastie Pahlevi hatte die Stadt Rezaiyeh geheißen, benannt nach Reza I., dem Vater des 1979 von der islamischen Revolution gestürzten Schahs. Nach der Revolution hatte man nicht nur das Schahdenkmal entfernt, sondern die Stadt wurde auch eilends wieder in Orumjieh



EINLEITUNG

Das Volk ohne Staat

Ob im Osmanischen Reich, das nach dem Ersten Weltkrieg 1920 im Vertrag von Sevres zerbrach, oder in der modernen Türkei mit ihrem Militärregime der Gegenwart; ob in den einst britischen und französischen Mandatsgebieten oder den heutigen Staaten Irak und Syrien; ob im Persien der Dynastie Pahlevi oder der neuen Islamischen Republik - überall machen die Kurden von sich reden, kämpfen sie um mehr Autonomie oder um eine eigene nationale Existenz.

Seit Jahrzehnten wird dieses unglückliche Volk von den Großmächten oder den Staaten der Region als Instrument der eigenen Machtpolitik benutzt. So traten nacheinander die britischen Mandatsherren, die Sowjetunion Stalins oder die CIA der Ära Kissinger als seine Verbündeten auf.

Heute stellt sich die kurdische Frage schärfer als je zuvor: Im östlichen Teil der Türkei hält die Armee Millionen Kurden unterdrückt. Offiziell sprechen die Behörden nur von »Bergtürken«, wenn es um die unerwünschte nationale Minderheit geht. Und in den Grenzgebieten des Irak und Iran nutzen die dort lebenden Kurdenstämme die 1981 wieder ausgebrochenen Streitigkeiten der beiden Nachbarn zur Vorbereitung eines neuen Waffenganges gegen ihre ungeliebten Herren.

»Die Kurden haben keine Freunde«, besagt ein Sprichwort des kriegerischen Gebirgsvolkes - und seine viertausendjährige Geschichte hat diese bittere Erfahrung immer wieder bestätigt.
Als eines der ältesten Kulturvölker der Erde werden die Kurden schon um 2300 v. Chr. in sumerischen Schriftfunden erwähnt. In der Forschung werden sie als Abkömmlinge der alten Meder bzw. die Meder als Kurden betrachtet. Auch bei den Karduchen, denen Xenophon im Jahre 401 v. Chr. auf seinem Zug ans Schwarze Meer begegnete und deren entschlossene Tapferkeit er rühmte, handelt es sich um die Kurden. In Freiheitskriegen gegen die Mongolen, Türken und Perser kämpften sie immer wieder ums Überleben und um ihre Unabhängigkeit. In den Reichen, denen sie im Laufe der Geschichte oftmals einverleibt wurden, stiegen allerdings auch manche Kurden in hohe Ämter auf. Sultan Saladin, der 1187 Jerusalem von den Kreuzrittern zurückeroberte, eine der strahlendsten Herrschergestalten des Mittelalters, war kurdischer Herkunft.

Verbunden durch eine gemeinsame indogermanische Sprache, das Kurdische, und durch eine gemeinsame widrige Geschichte, blieben Saladins Söhne dennoch bis heute in Stämme, Fürstentümer und Parteien zersplittert. »Die Kurden würden unbezwinglich sein, wären sie vereint«, konstatierte schon der spätere preußische Generalfeldmarschall Helmuth von Moltke, nachdem er in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts »das wilde Kurdistan« ausgiebig in türkischen Diensten bereiste.

Bis heute siedeln die Kurden in einem ethnographisch geschlossenen Lebensraum von den Taurus-Ausläufern der Zentraltürkei im Westen bis zur iranischen Hochebene im Osten, vom biblischen Berg Ararat im Norden bis zu den Ebenen des Euphrat und Tigris im Süden: ein Territorium von rund 500000 Quadratkilometern, von fast doppelter Größe der Bundesrepublik, mit vermutlich mehr als 15 Millionen Menschen. Die sie beherrschenden Staaten geben allerdings gern weit geringere Zahlen an.

Das gilt für die Türkei, in deren Osten wenigstens sechs, höchstwahrscheinlich aber acht Millionen Kurden leben, für den Iran mit seinen vier Millionen, für den Irak, in dem nach neuesten Angaben drei Millionen Kurden wohnen, und für Syrien mit seiner politisch unbedeutenden Gruppe von 200000. Lediglich die Sowjetunion, die ihren in der Republik Aserbeidschan lebenden Kurden im Rahmen des kommunistischen Systems zur Zeit kulturelle Autonomie gewährt, ihnen eigene Schulen, Verlage und Zeitungen gestattet, nennt korrekt die Zahl von etwa 100000.

Wie bei allen Völkern des Vorderen Orients machte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts auch bei den Kurden ein anwachsender vehementer Drang nach nationaler Eigenständigkeit bemerkbar, der sich in zahlreichen Aufstandsversuchen entlud. Aber erst aus der Erbmasse des im Ersten Weltkrieg zu den Verlierern gehörenden Osmanischen Reiches wurde von den alliierten Siegern zur Stabilisierung der Region ein eigener Kurdenstaat vorgesehen: Der Vertrag von Sevres sicherte den unterdrückten Kurden 1920 ein freies, autonomes Kurdistan zu.

Das bittere Erwachen aus den Blütenträumen von Selbstbestimmungsrecht und nationaler Unabhängigkeit traf zuerst die Kurden der Türkei. Als Mustafa Kemal Atatürk, der Vater der modernen Türkei, an die Macht kam, als britische Prospektoren im Kurdengebiet des gerade den Türken abverlangten und unter Mandat genommenen Irak noch dazu auf Erdöl stießen, war von Autonomie bald keine Rede mehr.

In der Türkei wurde ihre Sprache verboten, selbst der Gebrauch des Wortes »Kurde« unter Strafe gestellt. Unruhen brachen aus, grausame »Strafexpeditionen« kosteten Hunderttausenden Kurden das Leben. Im Irak wurde das ungestüme Pochen auf Unabhängigkeit von den Truppen Bagdads und mit britischen Bombenangriffen auf die entlegenen Terrassendörfer der Kurden beantwortet. Und auch eine 1946 mit Stalins Billigung im persischen Kurdistan geschaffene Republik von Mahabad hatte kaum ein Jahr Bestand.
Als 1958 nach dem Sturz der Haschemiten-Monarchie der bislang berühmteste Kurdenführer Mulla Mustafa Barsani aus dem russischen Exil nach Bagdad zurückkehrte und Verhandlungen über ein autonomes Kurdistan innerhalb des irakischen Staatsverbandes aufnahm, blickten die Kurden der Türkei und des Iran voll Hoffnung auf ihre Brüder im Nachbarland.

Aber schon drei Jahre später schickte der neue starke Mann des Irak, General Kassem, seine von Russen und Briten ausgerüstete Luftwaffe erneut zu Massenbombardements über das kurdische Gebiet. Ein blutiger, zehn Jahre dauernder Bürgerkrieg schloß sich an, der erst 1970 nach Erschöpfung beider Seiten mit neuen Autonomieverhandlungen endete.

Die Jahre danach mit ihren immer wieder neu ausbrechenden Unruhen, Kleinkriegsaktionen und Attentaten, gegenseitigen Verwünschungen und neuen Friedensbeteuerungen nutzte der Schah des Iran zu politischen Gesprächen mit den Kurden: Was er der Minderheit im eigenen Land nicht zugestand, wollte er im Falle der irakischen Kurden gerne unterstützen, nicht zuletzt, um Unruhe im schahfeindlichen Staat der Baath-Sozialisten zu erzeugen.

Auch US-Politiker Henry Kissinger hatte sich gerade entschlossen, mit Hilfe der Kurden das mit Moskau verknüpfte Linkssystem Bagdads zu destabilisieren. 1974 - mit vom Schah gelieferten amerikanischen Waffen, mit Geld und Beratern von der CIA und aus Israel -ließ sich Barsani auf einen neuen Waffengang mit den überlegenen und von der Sowjetunion unterstützten irakischen Streitkräften ein.

Am 6. März 1975 ereignete sich dann, was von den Kurden als der »Dolchstoß des Schahs« bezeichnet wird: In der gelösten Atmosphäre der OPEC-Konferenz von Algier lagen sich, nachdem man vorher über gemeinsame Ölpreiserhöhungen einig geworden war, die bisherigen Todfeinde Reza Pahlevi und Iraks Vizepräsident Saddam Hussein in den Armen. Die alten Grenzstreitigkeiten der beiden Staaten wurden vorübergehend begraben. Der Schah ließ, in enger Absprache mit den USA, die Kurden fallen. CIA- und Schahgelder wurden umgehend gestoppt, die zur Versorgung der Barsani-Truppen unabdingbare persische Grenze geschlossen. Barsani damals: »Der größte Fehler meines Lebens war, den USA zu vertrauen.«

Indes, die aalglatte Wendung des Schahs erwies sich für diesen als gefährlicher Bumerang: Die Kurden in den iranischen Provinzen Ur-mia, Kurdistan und Kermanschah - bislang aus Rücksicht auf die von Reza Pahlevi unterstützten Brüder jenseits der Grenze unerwartet ruhig und loyal - wurden nun die erbittertsten Feinde des »verräterischen Schahs«. Aus Freude über das rühmlose Ende der Herrschaft Pahlevis und obwohl in ihrer Mehrheit Sunniten, hießen die Kurden zunächst sogar die Machtergreifung des Schiitenführers Khomeini willkommen und hatten sie auch aktiv mit herbeigeführt.

Als Lohn erwarteten die Kurden wenigstens kulturelle Autonomie. Aber die alte Erfahrung dieses Volkes wiederholte sich auch hier: Kaum hatte sich Khomeinis Herrschaft gefestigt, waren auch schon die Reformschwüre von gestern vergessen. Wieder einmal flammte der Widerstand gegen die persische Oberhoheit auf und setzt sich bis heute fort.

Und wieder einmal sinnen ausländische Mächte begehrlich, wie sich die aufgrund der ungelösten Kurdenfrage immer von neuem entstehende Unruhe zum eigenen Vorteil nutzen ließe.

Waren es 1974 die USA, die sich des kurdischen Instruments vorübergehend bedienten, so sprechen Beobachter der neuen Kurdenunruhen seit 1979 von sowjetischen Abgesandten, die in den Hauptquartieren der teils nationalistisch, teils sozialistisch inspirierten Kurdenführer die Lage sondieren.

Denn im Kräftespiel um Erdöl, Macht und Einfluß sind die Kurden von zentraler Bedeutung. Im Iran und im Irak ist Kurdistan die Landbrücke zu den Erdölfeldern. Wer Kurdistan hat, sitzt direkt am Öl. Weil das letzte alte Kulturvolk, das es auch im Jahrhundert der Entkolonialisierung noch immer nicht zu einem eigenen Staat gebracht hat, gleich in mehreren miteinander meist verfeindeten Nachbarländern lebt, läßt sich mit Hilfe der Kurden die ganze Region des Nahen und Mittleren Ostens von den Supermächten destabilisieren. Umgekehrt könnte ein eigener Kurdenstaat - eingeschoben zwischen Iran, Irak, Syrien, die Türkei und die Sowjetunion - ein stabilisierender Friedensfaktor im Unruheherd der Golfregion sein, wäre er nur erst geschaffen.
Karl May und viele Reisende des vergangenen Jahrhunderts haben das Land als das »wilde Kurdistan« und die Kurden als ein Volk romantischer Abenteurer dargestellt. Daran ist auch heute noch vieles richtig. Wichtiger ist aber der jahrzehntelange Kampf eines unbeugsamen Volkes um nationale Freiheit und sozialen Aufbruch. Und überragend ist die Bedeutung dieses Volkes für die Stabilität im Krisenherd des Nahen Ostens.

Abenteuer, Revolution und Faktor der Weltpolitik - dies alles zusammen ergibt das zutreffende und faszinierende Bild von Kurdistan und den Kurden.



1. Kapitel

»Man nimmt einen Stein und schlägt zu«

Mulla Mustafa Barsani - ein Leben lang Partisan

Aus allen Himmelsrichtungen waren sie unterwegs. Von überall, wo Kurden wohnen, eilten sie herbei. Sie kamen aus dem unwegsamen Bergland des Irak, wo sie ihren vorläufig letzten Freiheitskrieg gegen Bagdad 1975 hatten aufgeben müssen. Sie kamen aus dem anatoli-schen »wilden Osten« der Türkei heimlich über die kaum kontrollierbare grüne Grenze. Sie kamen mit Taxis und in Landrovern, in wackligen Bussen, denen die Fensterscheiben fehlten. Sie kamen zu Pferd oder zu Fuß aus dem ganzen umliegenden Kurdengebiet des Iran, das sich seit dem Sturz des Schahs in Aufruhr befand. Und sie kamen per Flugzeug aus dem westlichen Exil, aus den USA, der Bundesrepublik, aus Wien, London und Stockholm.

Die ersten traf ich schon während des kaum zweistündigen Fluges von Teheran in die westaserbeidschanische Provinzstadt Urmia, die auf persisch Orumjieh geschrieben wird. Während des halben Jahrhunderts der Dynastie Pahlevi hatte die Stadt Rezaiyeh geheißen, benannt nach Reza I., dem Vater des 1979 von der islamischen Revolution gestürzten Schahs. Nach der Revolution hatte man nicht nur das Schahdenkmal entfernt, sondern die Stadt wurde auch eilends wieder in Orumjieh umbenannt.

Die Stewardeß der »Iran Air«, ganz im Stil der neuen Zeit mit dem dunklen Schador vermummt und ängstlich darauf bedacht, den Fluggästen ja nicht mit dem neuerdings als dekadent, wenn nicht gar als unzüchtig geltenden Charme westlicher Fluggesellschaften gegenüberzutreten, der während der Schahzeit so lange als Verhaltensnorm der Fluggesellschaft gegolten hatte, sagte die Landung an. Die beiden Herren auf den Plätzen neben mir mit den gutsitzenden Maßanzügen und dem vorzüglichen Englisch verstauten die Papiere, in denen sie während des Fluges Notizen gemacht hatten, in ihren Aktenkoffern und zogen den Sitzgurt wieder fest. Politische Gespräche ...

 




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