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Vor Metris steht ein hoher Ahorn


Auteur :
Éditeur : Unrast Date & Lieu : 1998, Münster
Préface : Pages : 172
Traduction : ISBN : 3-928300-91-1
Langue : AllemandFormat : 145x210 mm
Code FIKP : Liv. Ger. Yes. Vor. N° 4319Thème : Général

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Vor Metris steht ein hoher Ahorn

Vor Metris steht ein hoher Ahorn

Yusuf Yeșilöz

Unrast

Als Yusuf Yesilöz im Sommer 1996 -zehn Jahre nach seiner Emigration in die Schweiz - entschied, seine Familie in der Türkei zu besuchen, ahnte er noch nichts von den Schrecken der folgenden drei Wochen.
Kaum in Istanbul gelandet wird er verhaftet ...
Yesilöz ist Kurde, wenn auch mit Schweizer Pass, und wird eines politischen Verbrechens beschuldigter Veröffentlichte 1994 in der Schweiz ein Buch: Einführung in die kurdische Literatur“.
Mit seinem aufrüttelnden Bericht wird die Türkei angeklagt, die Meinungs- und Pressefreiheit zu missachten; angeklagt der Folter von Gefangenen und der menschenunwürdigen Verhältnisse in ihren Gefängnissen!


Yusuf Yesilöz ist 1964 in Mittelanatolien geboren. 1987 in die Schweiz emigriert. 1992 Gründung der Buchhandlung Ararat sowie eines Verlages gleichen Namens, der sich auf die Veröffentlichung kurdischer Literatur in deutscher Sprache spezialisiert hat. Seine Novelle Reise in die Abenddämmerung erschien Februar 1998 im Rotpunkt Verlag, Zürich.



PROLOG

Im Juni 1996, wenige Tage vor meiner Reise in die Türkei, bekam ich abends einen Anruf von meiner jüngeren Schwester aus Kayseri: Unsere Eltern hätten ihr voller Freude von meinem Reisevorhaben berichtet. Sie fragte mich, wann ich komme und was fiir ein Gefühl ich habe. Meine Antwort war sehr kurz: »Ich komme am Samstag in drei Tagen, und ich habe gemischte Gefühle!«

Als ich vor zehn Jahren meine Heimat verlassen mußte, war diese Schwester - die Jüngste von sechs Kindern - dreizehn Jahre alt und im siebten Schuljahr. Inzwischen ist sie Soziologin. Vor mir sehe ich aber noch immer die Hübsche und Verwöhnteste von uns allen. Daß sie mittlerweile erwachsen ist, kann ich mir kaum vorstellen, genausowenig wie viele andere Neuigkeiten in meinem Land, dessen Entwicklungen mich so brennend interessieren.
Neuigkeiten, die ich hier im Ausland nur der farbigen Tagespresse oder den jeweils fünf-bis sechsminütigen Telefongesprächen mit Verwandten und Bekannten entnehmen kann.
Nicht umsonst hatten wir uns Sorgen gemacht wegen meiner Reise in die Türkei, wo ein unbarmherziger Krieg gegen kurdische Journalisten, Schriftsteller, Verleger und Kulturschaffende geführt wird. Sehr viele von ihnen sitzen seit Jahren im Gefängnis und werden noch einige Jahre im Gefängnis sitzen und immer wieder neue Ankömmlinge in Empfang nehmen. Andere wurden auf offener Straße umgebracht. >Faili meçhul< - >Von unbekanntem Täter ermordet - hieß es stets in den offiziellen Begründungen.

Unbekannt! Da lachen ja die Hühner! Niemand glaubt diese Geschichten von den >unbekannten Tätern<.

Was die kurdische Bevölkerung in ihrer Heimat durch die Türkische Armee erlitten hat, was die in den Westen der Türkei deportierten drei Millionen Menschen durchleben mußten und was kurdischen Flüchtlingen in der ganzen Welt begegnet, ist vielleicht auch in Westeuropa durch kleinere Zeitungsartikel bekannt geworden. Mir sind die entvölkerten und verbrannten 3.000 Dörfer auf jeden Fall noch frisch in Erinnerung...

Doch ich möchte in diesem Bericht nicht weiter auf die Politik eingehen oder sie interpretieren. Ich möchte einfach erzählen, was ich während meiner Haft gesehen und erlebt habe, eine absurde Haft, die uns alle, meine Frau und mich, unsere damals zweieinhalbjährige Tochter Evin, die seitdem den Namen >Türkei<, egal in welchem Zusammenhang er vorkommt, mit meiner Haft verbindet, meine Geschwister, Eltern und viele liebe Freunde schwer getroffen hat, aber für ein Land wie die Türkei eine Alltäglichkeit ist.

Zwar bin ich nur einer von diesen Millionen Kurden, aber doch auffällig, weil ich in der bergigen Schweiz einen winzigen kurdischen Verlag führe und eine wissenschaftliche Studie über kurdische Literatur herausgegeben habe, die erstmals 1992 in Ankara auf Kurdisch erschien. Aus finanziellen Gründen, die wohl alle kleinen Verlage kennen, hatte ich diese Einführung in die kurdische Literatur des im schwedischen Exil lebenden kurdischen Literaten Mehmed Uzun in Ankara drucken lassen, in der Absicht, das Buch im deutschsprachigen Raum zu verbreiten. Trotz aller Schwierigkeiten und der mangelhaften Druckqualität konnte ich den Titel im Herbst 1994 auf der Frankfurter Buchmesse ausstellen. Ich bekam gute Reaktionen; das war etwas neues für die. deutschen Leser.

Ein Exemplar muß in die Hände der türkischen Polizei geraten sein. Folglich eröffnete das Staatssicherheitsgericht in Ankara ein Verfahren gemäß Artikel 8 des berüchtigten Antiterrorgesetzes gegen mich und den Drucker. Der Vorwurf lautete: >Gefährdung der Einheit des Staates und Förderung von Separatismus durch die Presse<.

Bemerkenswert ist, daß sowohl die kurdische Originalversion als auch die türkische Übersetzung in der Türkei nicht beschlagnahmt worden und noch immer frei im Handel erhältlich ist.

Wie das Verfahren in Ankara ausgegangen ist, konnte ich trotz Einschaltung von Anwälten nicht in Erfahrung bringen. Ohne eine Vollmacht von mir bekam mein Anwalt in der Türkei nicht einmal die Auskunft, ob eine Anklage gegen mich vorlag. Von offizieller Seite wurde ihm mitgeteilt, daß die Vollmacht vom türkischen Konsulat in Zürich oder einer anderen Türkischen Vertretung beglaubigt werden müsse.

Also sollte ich in Zürich zum türkischen Konsulat gehen und sagen: »Ich werde beim Staatssicherheitsgericht wegen eines kurdischen Buches angeklagt und muß meinem Anwalt eine Vollmacht geben!« - Ich sah das Gesicht des Beamten bereits vor mir.

Jedesmal, wenn ich das mitten in Zürich, im Herzen Europas, gelegene Konsulat betrat, hatte ich das Gefühl durch das Tor eines Gefängnisses zu schreiten. Das letzte Mal war ich vor vier Jahren dort, wegen einer Vollmacht für meinen Bruder. Vor dem Eingang hatte der Wachbeamte, der trotz blauem Anzug und Krawatte aussah wie jemand, der das Feld der Zivilisation noch nie betreten hat, aus meiner Tasche die prokurdische Tageszeitung Özgür Giindem und einen Roman von Ya§ar Kemal in deutscher Sprache gefischt. Diese Zeitung bei sich zu tragen und noch dazu den weltberühmten Roman, war in seinen Augen offenbar bereits ein Vergehen. Der Beamte versuchte, mich durch unangenehme Worte einzuschüchtern, und beobachtete mich während meines gesamten Aufenthalts im Konsulat, als ob ich ein Schwerverbrecher wäre. Aufgrund dieser Begrüßung hatte ich mir damals geschworen, das
Konsulat nie mehr zu betreten.

Ich wollte also für die Vollmacht an meinen Anwalt einen weiteren Gang zum Konsulat nicht in Kauf nehmen und ließ der Sache ihren Lauf. Allerdings erzählte ich vielen Bekannten von dem Verfahren wegen meines Buches und erwähnte es sogar in einigen Zeitungsartikeln.

Mehr als ein Jahr lang hörte ich dann nichts mehr davon. Bevor ich jedoch meine Reise organisierte, erkundigte ich mich nochmals bei den Anwälten und auch einigen Leuten, die gemäß Artikel 8 verurteilt worden waren, was mir passieren könnte, wenn ich in die Türkei reisen würde. Einhellige Antwort war: »Du wirst nicht verhaftet, weil gemäß Artikel 8 keiner verhaftet werden kann, bevor das Kassationsgericht die Strafe des Staatssicherheitsgerichtes nicht bestätigt hat.« Einerseits glaubte ich den Leuten, andererseits war ich unsicher, vor allem, wenn ich in den Zeitungen täglich von Verhaftungen, Folter, Dorfzerstörungen und weiteren Grausamkeiten las.

Trotz allem Mißtrauen entschied ich mich, am 15. Juni 1996 für zwei Wochen zu meiner Familie zu reisen, und kaufte mein Ticket schon einen Monat zuvor bei einer türkischen Charterfluggesellschaft.



1. Teil
Flug in die Gefangenschaft

Meinen Koffer hatte ich zwei Tage vor der Reise schon bereitgestellt. Für jedes Familienmitglied hatte ich ein kleines Geschenk gekauft und für die Verwandten und Nachbarn im Dorf natürlich Schweizer Schokolade. Der Mutter, die im Sommer nie Schuhe trägt, besorgte ich ein Paar italienische Schuhe mit guten Sohlen. Vater, der zu meiner Zeit täglich zwei Packungen Zigaretten rauchte, sollte drei Stangen Marlboro bekommen. Für meine beiden Neffen hatte ich zwei Walkmans vorgesehen. Und schließlich waren da noch die Krawatten für meinen Kollegen Sadik und den dicken Anwalt Kamber, die mich in Istanbul am Flughafen abholen würden.
Am 15. Juni stand ich sehr früh auf, noch vor dem Zwitschern der Frühlingsvögel. Ich hatte schlecht geschlafen und lief unruhig in der Wohnung umher, wie ein Tiger in seinem Käfig, sagt man in der Schweiz. Bald verabschiedete ich mich von meiner Familie. Wir wollten uns aber später am Flughafen noch einmal treffen, weil meine zweieinhalbjährige Tochter Evin darauf bestanden hatte, das Flugzeug, mit dem ich fliegen sollte, mit eigenen Augen zu sehen. Ich nahm den Intercity nach Zürich-Kloten; in den Gängen türmten sich die Koffer der Ferienreisenden. Es war ein schöner, klarer Tag; keine einzige Wolke am Himmel, die die strahlende Morgensonne behindert hätte. Solche Schönwettertage habe ich in der Schweiz selten erlebt, oder kann ich mich bloß nicht an sie erinnern? Die Sonne schien an jenem Tag also großzügig. Es war mehr als Sommer.

Später, als ich verhaftet wurde, habe ich immer wieder an diesen leuchtenden Morgen gedacht: >Ja<, sagte ich mir, >an meinem letzten Tag in der Schweiz zeigte sie sich von ihrer sonnigen Seite.«

Als ich in Kloten ankam, hatte ich noch zweieinhalb Stunden Zeit bis zum Abflug. Ich ging einen Kaffee trinken, konnte aber nicht länger als fünf Minuten bleiben, da sehr viel geraucht wurde …

 




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