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Die Kurden: Geschichte, Politik, Kultur


Auteurs : |
Éditeur : Verlag C. H. Beck Date & Lieu : 2000, München
Préface : Pages : 272
Traduction : ISBN : 978 3 406 59195 2
Langue : AllemandFormat : 125x195 mm
Code FIKP : Liv. Ger. Str. Kur. N° 2321Thème : Général

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Die Kurden: Geschichte, Politik, Kultur

Die Kurden: Geschichte, Politik, Kultur

M.Strohmeier

L.Yalgin-Heckmann

Verlag C.H.Beck


Dieses Buch schildert umfassend und allgemeinverständlich die Geschichte der Kurden von ihrer Islamisierung im 7. Jahrhundert über das Aufkommen des Begriffs „Kurdistan“ im 12. Jahrhundert bis zur Einrichtung einer autonomen kurdischen Region im Nordirak. Der zweite Teil ist der gegenwärtigen kurdischen Gesellschaft gewidmet, die von traditionellen Organisationsformen wie Familien und Stämmen ebenso geprägt ist wie von den Auswirkungen der Modernisierung, inneren Konflikten und nicht zuletzt erheblichen Wanderungsbewegungen, sei es in die Städte, in den Westen der Türkei oder ins Ausland.

Martin Strohmeier ist Professor für Türkische Sprache, Geschichte und Kultur an der University of Cyprus in Nikosia/Republik Zypern.

Lale Yalpn-Heckmann ist Ethnologin und Privatdozentin an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.



EINLEITUNG

In den kurdischen Bergen, wo die türkische Armee ihre Wachtposten in Dörfern oder in deren Nähe unterhält, gab es bis in die achtziger Jahre einen Beruf, den man als „Mauleselunternehmer“ bezeichnete. Re§it, dessen Familie nach einem Aufstand in dieser Region im Jahr 1930 in den Westen der Türkei deportiert worden war und der dort als Kind gut Türkisch gelernt hatte, übte diesen Beruf aus. Seine Familie kehrte nach mehreren Jahren in ihr Heimatdorf zurück, „dieses Loch zwischen den Bergen“, wie Re§it sich auszudrücken pflegte. Er war Jäger und unterhielt sich gern mit den Soldaten und Offizieren der Gendarmeriewache und übernahm den einträglichen Gütertransport mit Mauleseln für das Militär. Er transportierte den Vorrat für die Soldaten, die im Winter genauso wie die Dorfbewohner von der Außenwelt abgeschnitten waren. Seine Arbeit brachte ihn in näheren Kontakt zu den Soldaten; er schloß Freundschaft mit ihnen und konnte sie, wenn nötig, um Hilfe bitten. Eines Tages wollte Re§it mit seinem Sohn, der zum Militärdienst mußte, in die Stadt. Zusammen mit zwei anderen Dorfbewohnern „mietete“ er das Auto eines ihm bekannten Feldwebels um sich von ihm dorthin fahren zu lassen. Während der Fahrt unterhielten sie sich lebhaft und laut auf Kurdisch, worauf der Feldwebel, ein Türke einfacher Bildung aus dem Schwarzmeergebiet, plötzlich gereizt das Gespräch unterbrach: „Hört auf mit dieser ekelhaften Sprache!“ Die Mitfahrer waren erstaunt und schwiegen. Dann sagte Re§it langsam und mit sicherer, ruhiger Stimme und verschmitztem Blick: „QavH$, wir wissen, daß wir alle aus Zentralasien stammen und Brudervölker sind, aber die Sprache kannst du uns nicht verbieten ..."

Reşit lebt nicht mehr. In der Auseinandersetzung zwischen den „Brudervölkern“ bzw. in dem Krieg zwischen PKK-Guerilla, türkischer Armee und kurdischen Dorfschützern wurde er getötet. Die Arbeit, die er verrichtete, ist nicht mehr gefragt; die türkische Armee ließ überallhin Straßen bauen, ihre Versorgung liegt heute nicht mehr in den Händen von Mauleselunternehmern.

Die Personen sind in vielfältiger Weise in das Geschehen eingebunden: Der gavu$, der im Einsatz gegen kurdische Schmuggler ist, bessert sein karges Gehalt mit Taxifahrten für die kurdische Bevölkerung auf. Re§it, ein „integrierter“ Kurde, bestreitet von seiner Arbeit im Dienst der Armee seinen Lebensunterhalt und wird später (die Geschichte spielt 1981) Dorfschützer (körnen). Die Begebenheit führt verschiedene Facetten kurdischen Alltags vor Augen: Ambivalenzen von Identität und Ideologie, situationsbedingtes oder pragmatisches Handeln und Denken, wechselseitige Abhängigkeit der Menschen voneinander. Was veranlaßte den gavu$, das Kurdische als „ekelhaft“, d.h. minderwertig zu bezeichnen? Hatte er sich sprachlich ausgegrenzt gefühlt? Wie erklären sich Resits Souveränität in seiner Behandlung des gavu$, sein selbstbewußter Ton und seine ironische Anspielung auf die angeblich gemeinsame Herkunft von Türken und Kurden?

Es sind solche Alltagssituationen, an denen sich die komplexen historischen Beziehungen und sozialen Prozesse zwischen Türken und Kurden ablesen lassen. Eine ethnische Identität, die von einer nationalen abweicht, kann im Alltag eine unausgesprochene Selbstverständlichkeit haben. Ethnische Identität kann aber auch zugespitzt und bewußt verwendet werden, um die Unterschiede zwischen beiden Identitäten zu unterstreichen. Die von Re§it und seinen Landsleuten gesprochene Sprache ist hier der Gegenstand solcher Prozesse. Für sie gehört ihre Sprache zu ihrem Selbstverständnis und wird nicht aus „patriotischen“ Gründen gesprochen. Der gavns reagiert auf seine Ausgeschlossenhcit aggressiv. Diese Haltung drückt nicht mehr allein seine persönliche Frustration aus, sondern greift auf dubiose Ideologien zurück, die sich auf die ethnisch-nationale „Überlegenheit“ von Türken über Kurden beziehen. Re§it weiß um die Unangemessenheit der Intervention des gavu$. Er spielt mit der Zweideutigkeit dieser Ideologie und betont die Gemeinsamkeit der Herkunft von Türken und Kurden, akzeptiert sie aber nur um den Preis der Gleichwertigkeit der eigenen Sprache. Kurdisch zu sprechen kann man ihm nicht verbieten; dies ist eine wesentliche Komponente seines Selbstverständnisses als Kurde und als Bürger des türkischen Staates.

In dieser Episode ist der Umgang mit Geschichte von großer Bedeutung. Geschichte und Geschichtsbewußtsein sind zentral für ethnische und nationale Identitäten, die keineswegs immer zu sammenfallen. Eine soziale Gruppe kann ein Bewußtsein von objektiven Kriterien wie Sprache und Religion haben, die sie von anderen sozialen Gruppen unterscheiden; dies bedeutet aber nicht, daß sie ihre Identität nur auf diese Kriterien beziehen muß. Geschichte wird immer wieder neu geschrieben, Geschichtsbewußtsein konstituiert sich immer wieder aufs neue. Akteure in ungleichen Machtverhältnissen - sei es auf der individuellen oder auf der gesellschaftlichen Ebene - können historische Konstrukte benutzen, um diese Verhältnisse zum eigenen Vorteil zu ändern. Die Unstimmigkeit zwischen unterschiedlichen Konstrukten, die in unserer Geschichte zum Konflikt führte, und die Diskrepanz von Fremd- und Selbstsicht (d.h. wie die Kurden von anderen gesehen werden und wie sie sich selbst sehen) sind wichtige Elemente des Verhältnisses der Kurden zu anderen Völkern. Seit Beginn ihres „nationalen Erwachens“, d.h. seit sie ihre Sprache und Kultur als Basis einer nationalen Identität einsetzen, mußten die Kurden (bzw. ihre nationalistischen Vorkämpfer) erleben, daß ihr Selbstbild (ihr historisches Konstrukt) von anderen nicht ohne weiteres akzeptiert wurde, beispielsweise ihnen eine eigene Identität versagt wurde oder sie als „wildes Bergvolk“ galten, wenn sie im Westen nicht sogar gänzlich unbekannt waren. Diese frustrierende Erfahrung machte ein Mitglied der kurdischen Studentenvereinigung Hivi, das sich vor dem Ersten Weltkrieg zum Studium in der Schweiz aufhielt:

„An dem Tag, an dem ich in die Pension in Lausanne einzog, fragte mich die Vermieterin vor den anderen Gästen, die aus mehr als zehn verschiedenen Ländern kamen: .Monsieur, Sie kommen aus Istanbul, sind Sie Türke oder Grieche?“ In meinem gebrochenen Französisch antwortete ich: .Weder Türke noch Grieche.“ Auf ihre Frage: ,Zu welchem Volk gehören Sie dann?“ antwortete ich: ,Ich bin Kurde.“ Alle Gäste am Tisch schauten mich verdutzt an, als ob sie etwas ganz Sonderbares gehört hätten. Natürlich schämte ich mich. Und ich war verletzt, daß ich zu einem Volk gehörte, das niemand kannte. Glücklicherweise waren zwei Russen zugegen, die mir aus meiner Verlegenheit halfen und etwas zu den Kurden und Kurdistan sagen konnten. Am nächsten Tag saß ich nach dem Frühstück im Salon. Die Pensionswirtin fragte: ,Sie sagen, daß Sie Kurde sind. Wo ist denn ihr Land?“ Ich öffnete die Landkarte, die dort lag, zeigte auf die Stadt Diyarbakir, über der der Name Kurdistan in großen Buchstaben geschrieben stand, und sagte: ,Da komme ich her.““1

Im Jahre 1998 jährte sich zum hundertsten Mal die Gründung einer Zeitung mit Namen Kurdistan. Zwar war den Herausgebern und Autoren von Kurdistan die Forderung nach einem Staat gleichen Namens noch fremd, weil sie sich als loyale Untertanen des Osmanischen Reiches, wenn auch - zusammen mit türkischen Reformern - als Gegner des autokratisch herrschenden Sultans Abdülhamid verstanden. Aber die Grundlagen wurden geschaffen für ein Programm, wie es Nationalisten überall auf der Welt propagieren: Rückbesinnung auf Glanzzeiten des eigenen Volkes, Forderung nach Überwindung von Abhängigkeit und Rückständigkeit sowie nach Modernität. Die kurdische Nationalbewegung, die sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts herausbildete, lenkte ihr Augenmerk auf zwei Punkte: Zum einen galt es, den Kampf um die von ihr beanspruchten Rechte der Kurden bzw. die Einheit der Kurden zu führen. Zum anderen wurde die Modernisierung der kurdischen Gesellschaft und die Zurückdrängung traditioneller Identitäten und Strukturen als Voraussetzung für „nationalen“ Fortschritt angesehen. Während letzteres ansatzweise realisiert worden ist, konnte das längst nicht von allen Kurden verfolgte Projekt der staatlichen Einheit nicht bewerkstelligt werden. Bis heute leben die Kurden nicht in einem eigenen Staat, sondern vor allem in Iran, in der Türkei, im Irak und in Syrien. Während die Kurden im Irak der Unabhängigkeit am nächsten gekommen sind, widersetzt sich in den anderen drei Ländern ein Teil der Kurden seit Jahrzehnten staatlichem Homogenisierungsdruck sowie Repressionen und kämpft um politische und kulturelle Anerkennung sowie Autonomie.

Die vor über 60 Jahren auf die Kurden-Republik von Mahabad gemünzte Aussage kann noch heute als konzise Definition der Kurdenfrage im allgemeinen gelten: „Ihre seltsam widersprüchlichen Elemente - Stammeskriege, rivalisierende Imperialismen und konkurrierende Gesellschaftssysteme, mittelalterliche Ritterlichkeit und idealistischer Nationalismus - veranschaulichen die Komplexität der kurdischen Frage. Sie betrifft ein Volk, das nie vereint war und das jetzt auf fünf Staaten auf geteilt ist, von denen keiner den nationalistischen Bestrebungen der Kurden wohlwollend gegenübersteht“.2
Die kurdische Frage besteht also nicht nur aus einem Konflikt zwischen Türken und Kurden, Arabern und Kurden bzw. Iranern und Kurden oder den Regierungen der Türkei, Irans und Iraks. Sie ist auch nicht in ein Schema von Unterdrückern und Unter-drückten zu pressen. Vielmehr gibt es in der kurdischen Gesellschaft selbst Spannungen, die herrühren aus einem starken Entwicklungsgefälle, unterschiedlichen Orientierungen der Führungsschichten und dem Konflikt zwischen noch vorhandenen Stammesstrukturen und Ansätzen zu einer bürgerlichen Gesellschaft. Abgesehen davon hat die kurdische Problematik allgemeinere Dimensionen. Insbesondere seit dem Zusammenbruch der kommunistischen Systeme des Ostblocks und dem Wegfall der alten bipolaren Machtkonstellation haben sich in Europa und an seinem Rand gewalttätige Konflikte entzündet, in deren Mittelpunkt Fragen von Ethnizität, Minderheiten, Nationalismus und Demokratie stehen.

Die Kurden leben in einer Region, die von strategischer Bedeutung ist. Wasserreichtum und Ölvorkommen sind ein so bedeutender Faktor, daß weder die Türkei noch der Irak auf diese Ressourcen verzichten können, auf die auch die Kurden Ansprüche erheben. Damit ist Kurdistan auch für die westliche Welt von geopolitischer Bedeutung. Dies hat zu einem lebhaften Interesse an den Ereignissen und Personen beigetragen. In den sechziger und siebziger Jahren war es der legendäre Kurdenführer Mustafa Barzani, der die westliche Öffentlichkeit beschäftigte. Seit den achtziger Jahren sind es die PKK in der Türkei und der Uberlebens-kampf der irakischen Kurden sowie die Transformation ihres Gebietes in eine autonome Region, denen weltweite Aufmerksamkeit zuteil wurden.

Trotz der publizistischen Präsenz der Kurden in den Medien besteht ein Mangel an aktuellen, umfassenden und zuverlässigen Informationen zur Geschichte und Gegenwart der Kurden. Mit dem vorliegenden Buch wird versucht, diese Lücke zu schließen. Es wendet sich an Leserinnen und Leser, die Hintergrundkenntnisse zur Berichterstattung in den Medien suchen. Darüber hinaus ist es für all jene von Interesse, die sich über die Rolle der Kurden in der Geschichte und ihre gegenwärtigen Lebensbedingungen informieren wollen.

Das Buch besteht aus zwei Teilen. Im ersten Teil werden zunächst Herkunft, Sprachen und Religionen der Kurden dargestellt sowie wichtige Ereignisse und Entwicklungen in der kurdischen Geschichte beschrieben. Der dargestellte Zeitraum erstreckt sich von der Islamisierung der Kurden im 7. Jahrhundert über das Aufkommen des Begriffs „Kurdistan“ im 12. Jahrhundert und kurdische Fürstentümer zwischen den Reichen der Osmanen und Perser bis hin zur Entwicklung des kurdischen Nationalismus seit dem Ende des 19. Jahrhunderts. Ein Schwerpunkt liegt auf der Darstellung der Situation der Kurden besonders in Iran, im Irak und in der Türkei bis in unsere Zeit.

Im zweiten Teil werden Wirtschaft und Gesellschaft der Kurden unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse im Südosten der Türkei analysiert. Ausgehend von der sozioökonomischen Lage werden die Auswirkungen der Modernisierung und gesellschaftlichen Differenzierung dargestellt. Zentrale Instanzen der sozialen Organisation wie Haushalt und Familie werden ebenso vorgestellt wie unterschiedliche Produktions- und Lebensformen. Auch die für die kurdische Gesellschaft immer noch relevanten traditionellen Stammes- und Führungsstrukturen werden ausführlich erläutert. Die Akzentsetzung auf die Türkei bot sich aus zwei Gründen an. Zum einen konnte aus eigener Feldforschung geschöpft werden; zum anderen ist über die Kurden in der Türkei sehr viel mehr bekannt als über jene in den anderen Staaten. Dies liegt nicht zuletzt daran, daß die Türkei trotz aller Einschränkungen eine kritische Öffentlichkeit besitzt, die begonnen hat, die kurdische Frage zu diskutieren. Letzthin haben Vorschläge der gegenwärtigen Regierung und des Präsidenten Hoffnungen auf eine Gewährung umfassender kultureller Rechte für die Kurden geweckt.
Der Begriff Kurdistan ist umstritten. Der Einfachheit halber verwenden wir ihn zur Bezeichnung des Gebietes, in dem Kurden, in veränderlicher Zahl und nicht immer die Mehrheit bildend, leben. Zu einem so verstandenen Kurdistan zählen große Teile der Ost- und Südost-Türkei, Nordwest-Irans und des Nord-irak.

Teil I wurde von Martin Strohmeier verfaßt, Teil II von Lale Yal^in-Heckmann. Das Kapitel 9 über die Kurden in der Türkei (Teil I) und die Einleitung entstanden in Zusammenarbeit. Da der Anmerkungsapparat möglichst knapp gehalten werden sollte, wurde auf Einzelnachweise teilweise verzichtet.

Die Autoren danken Dr. Harald Schüler (Nürnberg) für die Erstellung der Karten „Provinzratswahlen 2009, Stimmanteile der DTP (Partei der demokratischen Gesellschaft)“, „Geschätzter An teil der Einwohner kurdischer Muttersprache 1990“ und seine Hilfen bei der Interpretation statistischer Fragen. Dank gilt auch unserer ersten Leserin Angela Zerbe und Dr. Bärbel Reuter für ihre Mitarbeit -an den Korrekturen. Dr. Ludwig Paul (Göttingen) und Dr. Walter Posch (Bamberg) haben wertvolle Hinweise beige-Steuert.

Die Idee zu diesem Buch geht zurück auf Gespräche mit Professor Dr. Ulrich Haarmann (Direktor des Geisteswissenschaftlichen Zentrums Moderner Orient in Berlin), der auch die Kontakte zum Verlag C.H.Beck hergestellt hat. Zur Bestürzung seiner Kollegen und Freunde, denen er fachlich und menschlich stets Vorbild war, ist er am 4. Juni 1999 im Alter von 56 Jahren einem schweren Leiden erlegen.

Erster Teil
Geschichte, Politik und Kultur

1.
Das Land: Kurdistan als geographischer
und politischer Begriff

Eine allgemein akzeptierte geographische Definition Kurdistans gibt es nicht. Das ist nicht überraschend, weil mit dem Begriff ganz verschiedene Vorstellungen verbunden werden. Kurdische Nationalisten verwenden ihn mit Nachdruck, während die Staaten, auf deren Territorien Kurdistan liegt, ihn lange Zeit geleugnet oder ignoriert haben. Bis in die jüngste Zeit war Kurdistan auf der einen Seite (z.B. in der Türkei) ein verpöntes, zuweilen auch verbotenes Wort, auf der anderen Seite ein politischer Kampfbegriff, der das Ziel eines beträchtlichen Teils der Kurden benennt. Die Problematik liegt darin, daß der Begriff Kurdistan nie zusammengefallen ist mit einer staatlich-politischen Einheit gleichen Namens, die fest umrissene und dauerhafte Grenzen gehabt hätte. Solche Grenzziehungen waren ohnehin vor Beginn der Moderne, zumal in kaum erschlossenen und schwer zugänglichen Gebieten wie Kurdistan, nicht möglich. So gesehen ist Kurdistan eine geographische Konvention, ein Begriff, den man aus Gründen der Bequemlichkeit und in Ermangelung präziserer Definitionen gewählt hat.

Seit etwa einem Jahrtausend existiert unzweifelhaft eine Region oder Landschaft dieses Namens. Der persische Name Kurdistan bedeutet „Land der Kurden“ und bezeichnete eine Provinz des Reiches der türkischstämmigen Dynastie der Seldschuken, die vom 11. bis zum 13. Jahrhundert weite Teile des Vorderen Orients beherrschten. Im Osmanischen Reich gab es gleichfalls eine Provinz (eyalet) mit Namen Kurdistan, die aus den drei Distrikten Dersim, Mu§ und Diyarbakir bestand; in osmanischen Dokumenten ist auch von einem „Kürdistan-i Diyar Bekr“ die Rede. Heute wird der Name Kurdistan offiziell nur für eine Provinz (Hauptstadt Sanandadsch) in Iran verwendet (Irakisch-Kurdistan heißt im offiziellen Sprachgebrauch „Region Kurdistan-Irak“).




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