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Kirkuk: Test für Iraks Stabilität


Auteur :
Éditeur : Institut für Kurdologie Date & Lieu : 2009, Wien
Préface : Pages : 130
Traduction : ISBN : 3-902185-18 X
Langue : AllemandFormat : 135x195 mm
Code FIKP : Liv. Ger. Cer. Kir. N° 2610Thème : Général

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Kirkuk: Test für Iraks Stabilität

Kirkuk: Test für Iraks Stabilität

Birgit Cerha

Institut für Kurdologie

IFAMO (Information, Forschung, Analyse Mittlerer Osten) wurde von der Mit-tel-Ost-Expertin Birgit Cerha, seit 1982 Korrespondentin in der Region für zahlreiche führende deutschsprachige Zeitungen („Die Zeit“, „Die Weltwoche“, „Handelsblatt“, „Die Welt“, „Frankfurter Rundschau“, „Salzburger Nachrichten“ u.a.). IFAMO ist ein Team von unabhängigen Journalisten, die alle über intensive Erfahrung im Mittleren Osten verfügen und - in vorerst unregelmäßiger Folge - jeweils ein brennendes Thema darstellen und analysieren.
IFAMO publiziert umfangreiche Analysen und Hintergrundinformationen zu aktuellen Problem- und Entwicklungsbereichen des Mittleren Ostens. Ziel ist es, die Zusammenhänge politischer, sozialer, ökonomischer und kultureller Entwicklungen und die Ursache von Krisen in anschaulichem Stil ausführlicher zu erläutern, als dies die Medien vermögen. IFAMO soll eine Lücke im deutschsprachigen Raum schließen. Eines unsere Schwergewichte wird die Präsentation von Personen sein, die in der westlichen Öffentlichkeit wenig oder zu wenig Beachtung finden, jedoch bedeutende Beiträge zur zivilisatorischen Entwicklung ihrer Länder und zur Völkerverständigung leisten. Im Sinne einer Friedensförderung will IFAMO einen Beitrag zum besseren Verständnis für diese wichtige Region und ihre explosiven Konflikte leisten.
Unsere Berichte werden im Internet publiziert und sind frei zugänglich. Auf Bestellung können wir auch exklusive Beiträge über spezielle Themen in Deutsch, Englisch, Französisch, Holländisch, Russisch und Kurdisch gegen Bezahlung zur Verfügung stellen.
Zielgruppen sind Meinungsbildner, politische Gestalter, in der Region engagierte Organisationen und Wirtschaftstreibende, sowie Studenten.



EINLEITUNG

Die Befreiung des Iraks von einem der brutalsten Diktatoren des vorigen. Jahrhunderts, Saddam Hussein, geht in das sechste Jahr. Doch eines der potentiell reichsten Länder der Welt hat den Weg zu Ruhe, Stabilität, Frieden und zu einem normalen Leben für seine Menschen immer noch nicht gefunden. Der neu gewählte amerikanische Präsident Barack Obama tritt sein Amt mit dieser schweren Bürde und einer gigantischen moralischen Verantwortung an. Ein Ausweg aus dem Schlamassel zeichnet sich kaum ab.
Eine der höchsten Hürden auf dem Weg zur Stabilität ist die Ölregion Kirkuk im Nordirak. Wir haben deshalb dieses Thema als erstes der IFAMO-Serie gewählt.

Die fast eine Million Menschen zählende gleichnamige Stadt droht als Sprengstoff den Irak endgültig zu zerreißen und die gesamte krisengeschüttelte Region in unabsehbare Turbulenzen zu stürzen. Im Brennpunkt Kirkuk wird die Entscheidung fallen, ob dieser einst von den Großmächten geschaffene Staat in einem demokratischen System Zusammenhalten kann oder ob er auseinanderbricht. In Kirkuk, diesem Mikrokosmos diverser ethnischer und religiöser Gruppen, prallen die gegensätzlichen Positionen hochemotional aufeinander, wie nirgends sonst wo im Zweistromland. Hier geht es um riesige Quellen des „schwarzen Goldes“, um einen wichtigen Teil der materiellen Basis des Landes. Das Öl in kurdischer Erde hat gierige Weltmächte und Nachbarn seit Generationen angelockt, hat eine friedliche Koexistenz zwischen den Kurden und den arabischem Herrschern verhindert und hat vor den Augen einer schweigenden Welt unvorstellbare Gräuel an einer wehrlosen Minderheit ausgelöst.

In Kirkuk ballen sich auch die Interessen der Nachbarn und der Regionalstaaten zu hochexplosivem Sprengstoff zusammen. Keiner will diese Ölregion den Kurden überlassen, die für Kirkuk, für „ihr Jerusalem“ unendliche Blutopfer gebracht haben. Offen drohte schon wiederholt die Türkei, mit voller Gewalt eine Übernahme Kirkuks durch die Kurden zu verhindern. Und kein anderes Thema bewegt die kurdische Seele so stark, so schmerzlich, wie diese Stadt, die längst zum Symbol geworden ist für all das erlittene Unrecht.

Auch die Weltgemeinschaft ist gefordert, denn in Kirkuk geht es vor allem auch um die Frage der moralischen Verpflichtung, historisches Unrecht so weit irgend möglich wieder gut zu machen, einen Beitrag zur Heilung tiefer Wunden zu leisten, für die auch ausländische Mächte einen Teil von Verantwortung tragen. Zum besseren Verständnis dieses Unrechts versuchen wir, auf die Geschichte zurück zu greifen. Denn die Missachtung und Diskriminierung der Kurden vor allem in dieser Ölregion begann lange vor Saddam Hussein, wiewohl sie erst in den 80er und 90er Jahren ihre „genozidartige“ Brutalität erreichte.
Der Sturz Saddam Husseins 2003, die Bildung einer Regierung in Bagdad, die sich nach demokratischen Prinzipien richten will (auch wenn sie dieses Ziel bisher noch nicht erreicht hat), der Bund mit der Supermacht USA, denen die Kurden mit ihren kampferprobten „Peschmerga“-Einheiten den Sieg über den Diktator überhaupt erst ermöglicht hatten, eröffnet zumindest dem im Irak lebenden Teil dieses gequälten Volkes erstmals in seiner jüngeren Geschichte die Chance, Wiedergutmachung einzufordern. Wiedergutmachung heißt nach kurdischen Vorstellungen die Rückgabe jener Gebiete, die das Baath-Regime in Bagdad einst zur Veränderung des demographischen Charakters von der Kurdenregion getrennt hatte. Diese „umstrittenen Gebiete“ liegen in einem 450 km langen Bogen, der sich von Sindschar in Iraks norwestlichem Eck bis zur Provinz Diyala im Osten erstreckt und Städte wie Altun Kupri, Khanakin oder Mandali mit einschliesst.

Vor allem heißt für die Kurden Wiedergutmachung die Rückkehr Hunderttausender von Saddam Husseins Häschern im Zuge von beispiellos brutalen „Arabisierungskampagnen“ aus Kirkuk vertriebener Kurden und Turkmenen, die Rückführung der von Saddam überwiegend aus dem Süd-Irak angesiedelten Araber. Wird damit neues Unrecht geschaffen? Soll Unrecht durch neues Unrecht vergolten werden? Wer sind diese Araber? Wie ist ihre Position, welche Forderungen stellen sie? Wer sind die Turkmenen, die den Kurden Kirkuk streitig machen wollen? Wer sind die „wahren Besitzer“ Kirkuks?

Wie haben sich die Kurden seit 2003 in der Kirkuk-Frage vor Ort und im politischen Tauziehen mit ihren Partnern in der Zentralregierung verhalten? Welche Position und Strategie verfolgen die irakischen Araber in und außerhalb der Regierung? Auf all diese Fragen werden wir im Folgenden versuchen, Antworten zu finden.

Seit vielen Monaten drängen die USA ihre irakischen Verbündeten in Bagdad, bis spätestens Jahresende 2008 Provinzwahlen durchzuführen, die als wichtiger Schlüssel zur Stabilisierung des Landes erachtet werden. Denn durch die Wahlen sollen arabische Sunniten und andere wichtige Gruppen, die lange teils gewaltsam gegen die US-Besatzer und deren „neue Ordnung“ gekämpft hatten, in den politischen Prozeß eingegliedert werden und somit ihren Widerstand aufgeben. Doch ein für die Wahlen nötiges neues Gesetz scheiterte am Streit über die Aufteilung der Macht in Kirkuk. Mit Hilfe der UNO einigten sich die Parlamentarier in Bagdad nun auf einen Kompromiß, schließen Kirkuk vorerst aus den Wahlen aus, während man das Problem einem neuen Komitee übertragt. Die Wahlen wurden auf Ende Januar 2009 verschoben und das Komitee soll eine Lösung des Kirkuk-Problems bis Ende März dem Parlament präsentieren. Doch ist damit der Konflikt vollends aufgeschoben? Schon bisher verfolgten die arabischen Regierungsmitglieder in Bagdad die Strategie der Passivität in der Kirkuk-Frage, in der Überzeugung, dass die Zeit gegen die Kurden arbeite, dass die Kurden mehr und mehr amerikanischen Rückhalt verlieren und damit ihr Gewicht in der Zentralregierung und im Parlament in Bagdad. Erste Anzeichen dafür lassen sich schon erkennen.

Kann ein Komitee die Hinhaltetaktik stoppen und eine dauerhafte Lösung erreichen?
Werden die Kurden geduldig zusehen, wenn sie wieder um ihre Rechte betrogen, wieder von ihren Verbündeten (USA) verraten werden? Wird sich wieder die vom legendären Kurdenführer Mulla Mustafa Barzani ausgesprochene Erkenntnis, die Kurden seien die „Waisen des Universums“ als Wahrheit erweisen? Bleiben die Kurden die ewigen Verlierer der Weltgeschichte und beginnen sie ein neues dramatisches Kapitel in ihrer langen Historie der Niederlagen zu schreiben? Oder wird ihre Geduld reißen? Werden sie die Abrechnung mit ihren Peinigern selbst in die Hand nehmen?

Oder kann es eine friedliche Lösung geben, die allen gerecht wird und den Irak zur Stabilität führt? Die Hintergründe dieser Fragen versuchen wir, unterstützt von Expertengutachten, zu erläutern.

Birgit Cerha

1. Das Ende der Flitterwochen

Als das irakische Parlament am 22. September 2008 das Provinzwahlgesetz unerwartet rasch verabschiedete und damit einen toten Punkt mit äußerst gefährlichen Folgen für das gesamte Land überwand, da ging ein kräftiges Aufatmen durch die politischen Reihen in Bagdad und Washington. Der Irak kann nun auf dem Weg zu Demokratie und Stabilität voranschreiten und eine weitere wichtige Voraussetzung schaffen, um sich schließlich von fremder (amerikanischer) Okkupation zu befreien.

Am 31. Jänner werden nun die Iraker neue Provinzräte wählen. Die UNO organisiert unter Leitung ihres Sonderbeauftragten für den Irak Staffan de Mistura den ursprünglich für 1. Oktober geplanten Urnengang. Nur vier der 18 Provinzen des Iraks, das Ölzentrum Tamim mit der heiß umstrittenen Hauptstadt Kirkuk im Nord-Irak, und die drei von Kurdistans Regionalregierung (KRG) verwalteten nord-irakischen Provinzen - Dohuk, Erbil und Suleimaniya - sollen ausgeschlossen bleiben.

Ein längerer Aufschub dieser Wahlen hätte die jüngst so eindrucksvoll erzielten Fortschritte im Kampf gegen den gewaltsamen Widerstand im Lande aufs Spiel gesetzt, alle, wiewohl bisher nur zaghaften Versuche der nationalen Versöhnung untergraben. Er hätte der Glaubwürdigkeit des gesamten unter US-Patronanz geleiteten politischen Prozesses ungeheuren Schaden zugefügt. Er hätte die bisher außerhalb der Politik stehenden arabisch-sunnitischen und schiitischen Gruppen in den gewaltsamen Untergrund zurückgestoßen, da sie sich weiterhin hoffnungslos ausgeschlossen und politisch ohnmächtig gefühlt hätten. Gelingt ein fairer Urnengang kommenden Januar, gewinnen die leidgeprüften Iraker erstmals das Gefühl, dass sie auf der für die Gestaltung ihres täglichen Lebens so wichtigen lokalen politischen Ebene endlich auch ein Mitsprache-recht gewonnen haben. Der Weg zu den nächsten landesweiten Parlamentswahlen (geplant für Ende 2009) wäre damit geebnet, zu einem politischen Prozeß, der allen Gruppierungen die Chance bietet, sich mit ihren Anliegen und Sorgen in einer gewaltfreien, demokratischen Umwelt Gehör zu verschaffen.

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