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Wir wollen frei und Kurden sein


Auteur : Multimedia
Éditeur : ISP Date & Lieu : 1987, Frankfurt
Préface : MultimediaPages : 128
Traduction : ISBN : 3-88332-121-2
Langue : AllemandFormat : 110x180 mm
Code FIKP : Liv. All. 816Thème : Politique

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Wir wollen frei und Kurden sein


Wir wollen frei und Kurden sein, brief an die UNESCO

Diese Schrift ist ein leidenschaftlicher Appell, das Schicksal der Kurden zur Kenntnis zu nehmen. Kurdistan ist "die gemeinsame Kolonie der Türkei, des Irak, des Iran und Syrien". Die UNESCO hat das Jahr 1981 zum "Jahr Atatürks" anläßlich seines hundertsten Geburtstags erklärt, um damit seine Bedeutung für den "Befreiungskampf" nicht nur derTürken, sondern aller unterdrückten Völker "gegen Imperialismus und Kolonialismus" zu würdigen.

Für die Kurden bedeutet der Kemalismus jedoch bis heute Teilung, Unterdrückung, kulturelle Vernichtung.

Angesichts dieser Tatsache, die auch von den Vereinigten Nationen beharrlich ignoriert werden, schrieb der türkische Soziologe und Schriftsteller Besikçi, der wegen seiner Schriften seit 1981 im Kerker sitzt, seinen Brief an die UNESCO in dem er die Widersprüche zwischen Kemal Atatürks Reden und seiner Realpolitik gegen die Kurden aufdeckt. Laut türkischer Verfassung gibt es kein kurdisches Volk, die kurdische Sprache ist in Wort und Schrift bei strengster Strafe verboten, kurdische Bräuche und Traditionen sind unterdrückt.

Eine ausführliche Einführung von Livio Maitan über die Geschichte der Kurden gibt einen informativen historischen und politischen Hintergrund.


DIE KURDISCHE FRAGE

Es ist unmöglich, hier ei ne wenn auch nur zusammenfassende Darstellung der Geschichte der Bevölkerung der Gegenden zu geben, die dem heutigen Kurdistan entsprechen.

Der Ursprung des kurdischen Volkes reicht sehr weit zurück, nämlich bis ins dritte Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung. Zwischen dem dritten Jahrtausend und dem 12. Jahrhundert gab es alteingesessene Völker, die jedoch in der Periode zwischen dem 19. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung und dem 16. Jahrhundert nach unserer Zeitrechnung mit eingewanderten Stämmen indo-europäischer Ursprungs verschmolzen. In jüngerer Zeit werden die Kurden bei Klassikern wie Strabon, Xenophon und Titus-Livius erwähnt. Insbesondere Xenophon spricht in seinen berühmten A nabasen von den Karduk oi, den Ahnen der heutigen Kurden. In der Feudalepoche, die sich durch eine starke Tendenz zur Seßhaftwerdung von vormals nomadisierenden Stämmen auszeichnet, bildeten sich - seit dem 11. und vor allem dem 14. und 15. Jahrhundert nach unserer Zeitrechnung, nach den Mongoleneinfällen - zahlreiche Fürstentümer. Diese hielten sich unter vielen Schicksalsschlägen und zahlreichen Veränderungen bis ins letzte Jahrhundert.

Sie wurden in den Kampf zwischen dem Osmanischen Reich und dem Schah von Persien hineingezogen. Einen Wendepunkt in dieser Geschichte bildet die Schlacht von Tschaldyran im Jahre 1514, als der osmanische Sultan Selim den Schah İsmail schlug. Die Kurden standen auf der Seite der Türken, also der Sieger. Religiöse Gründe hatten dabei eine Rolle gespielt: die Perser waren nämlich Schiiten, während die Kur den wie die osmanischen Sultane sunnitischen Glaubens waren. Im Jahre 1515 wurde zwischen dem osmanischen Reich und den kurdischen Fürstentümern ein Abkommen geschlossen. Letztere - es waren anfangs 15 an der Zahl - behielten formal ihre Autonomie unter der Herrschaft ihrer eigenen Emire und Beys (Stammesführer), die indes zu Lehnsherren des Reiches wurden, die gezwungen waren, in Notfällen militärische Kontingente zur Verfügung zu stellen. Tatsächlich wurden die Kurden jahrhundertelang in die Auseinandersetzungen zwischen den beiden Reichen hineingezogen; dabei suchten sie ohne große Skrupel zu lavieren und zu manövrieren. Einige Fürstentümer standen übrigens unter der Oberherrschaft des Schah von Persien, andere wiederum waren unabhängig. Jedenfalls gab es unaufhörlich Konflikte: die osmanischen Sultane hielten die Abkommen gewöhnlich nicht ein, sondern versuchten, die Fürstentümer einfach zu annektieren. Es gibt Autoren, die die Meinung vertreten, daß man aufgrund all dieses Hin-und-Hers und der relativen Unabhängigkeit gewisser Fürstentümer davon sprechen kann, daß der kurdische Nationalgedanke bis ins 16. Jahrhundert zurückreiche. Ideologisch gesehen kann der große Dichter Ehmed Khani, der zwischen 1650 und 1706 lebte und das Epos Mem-O-Zin verfaßte, als der Erste angesehen werden, der den Nationalgedanken ausdrückte.

Das 19. Jahrhundert ist von zahlreichen Kämpfen der wichtigsten Fürstentümer um ihre Unabhängigkeit gegen das Osmanische Reich gekennzeichnet. Manche Autoren - wie der Russe Boris Nikitin - setzen das erste Stadium der modernen kurdischen Nationalbewegung in dieser Zeit an, auch wenn es sich zu dieser Zeit in Wirklichkeit um Kämpfe unter der Führung von "Feudal"-Herren handelte, bei denen es gleichzeitig um deren relative Autonomie und um ihre althergebrachten Privilegien ging. Zu den wichtigsten Aufständen zählten:

- der Aufstand des Fürstentums von Bo(h)tan (1806) unter der Führung von Abdurrahman Pascha;

- der Aufstand der Bingas (1808);

- der Kampf von Mir Mohammed, dem Herrscher des Fürstentums von S oran, der den Ehrgeiz hatte, den ganzen iranischen Teil Kurdistans zu erobern bzw. zu befreien (1835);

- der Aufstand von Bedir Khan-bek, dem Emir von Botan seit 1821, den manche als einen der Unabhängigkeitshelden des 19. Jahrhunderts ansehen und dem es jedenfalls - wenn auch nur für eine kurze Zeit - gelang, seine Herrschaft über einen guten Teil von Kurdistan (1843-1846) zu errichten;

- der Aufstand von Yezdan Sher, der ziemlich weite Gebiete erfaßte (1853-1855);

- der Aufstand von Scheich Obeidullah, an dem zur gleichen Zeit osmanische und iranische Kurden teilnahmen (1879-1880).

Gegen Ende dieses ersten Stadiums wurde die erste kurdische Zeitschrift (zweisprachig: kurdisch und türkisch) gegründet. Sie hieß Kurdistan und kam zuerst in der Schweiz, in Kairo, dann in London heraus als Sprachrohr der kurdischen Patrioten. Sie übersiedelte nach dem Aufstand der Jungtürken (1908) nach Istanbul, der den Beginn des zweiten Stadiums der kurdischen Nationalbewegung einläutete. Allmählich begannen die Kurden, sich für ihre elementarsten nationalen Rechte und Freiheiten zu organisieren. So entstanden insbesondere die Vereinigung für die Entwicklung und den Fortschritt Kurdistans, die eine Zeitschrift herausgab, und die Vereinigung für die Verbreitung der Bildung unter den Kurden, die eine kurdische Schule in Istanbul gründete. All das sollte indes nur ein kurzes Zwischenspiel sein. Hatte das neue Regime bei seinem Antritt noch proklamiert, daßalle Nationalitäten des Reiches gleichberechtigt seien, so sollte es alsbald seine Haltung ändern und einen heftigen Angriff gegen die nichttürkischen Nationalitäten vom Zaum brechen, in erster Linie gegen die Kurden. Schon 1909 wurden die Vereinigungen und Zeitschriften wieder verboten.

Ein drittes Stadium begann gegen Ende des Ersten Weltkrieges. Zum ersten Mal kam die Frage der Bildung eines unabhängigen Kurdistan auch auf der diplomatischen Bühne auf die Tagesordnung (Großbritannien, damals die entscheidende Macht in dieser Weltgegend, ließ während einer kurzen Zeit durchblicken, daß es im Prinzip für eine solche Lösung sei, und Frankreich pflichtete bei). Wieder entstanden Clubs und Vereinigungen, vor allem in Istanbul, aber diesmal auch in anderen Städten der Türkei. Die wichtigste Vereinigung war die Vereinigung für die Entwicklung Kurdistans, die Abdel Kader zum Präsidenten und Emir Ali Bedir Khan zum Vize-Präsidenten hatte. Ziemlich bald schälten sich verschiedene Strömungen insbesondere an der Frage: "Autonomie oder Unabhängigkeit?" heraus. Abdel Kader wurde zum Hauptsprecher der Autonomie, Emir Ali zu dem der Unabhängigkeits-Option. Der Konflikt führte schließlich zur Bildung von zwei rivalisierenden Organisationen der Kurden von Istanbul: des Kurdischen Sozialen Bundes von Emir Ali und des Bundes der Kurden und Kurdistans von Abdel Kader.

Der Vertrag von Sèvres 1920 war eine schwere Enttäuschung für die Kurden, die eine günstige Lösung auf der diplomatischen Bühne erhofft hatten. Zwar wurde in dem Vertrag die „lokale Autonomie für die Gegenden, wo das kurdische Element vorherrscht", anerkannt und auch die Möglichkeit einer Unabhängigkeit von der Türkei nicht ausgeschlossen. Aber die Verwirklichung dieser Unabhängigkeit hing von einer Reihe von Bedingungen ab; unter anderem mußte der Rat des Völkerbundes anerkennen, daß „diese Bevölkerung dazu fähig" ist, unabhängig zu sein. Außerdem wurde das Gebiet des etwaigen Kurdistan ziemlich eingeschränkt. Und schließlich wurden Bedingungen für das Gebiet von Mossul, das später dem irakischen Staat einverleibt wurde, aufgestellt. Wie dem auch sei, jedenfalls blieb der Vertrag von Sèvres Papier und mit ihm auch die wenigen für die Kurden positiven Aspekte. Mit dem Vertrag von Lausanne (1923) wurde die Lage auch nicht besser - durch ihn wurde nur die koloniale Aufteilung des kurdischen Gebietes zwischen der Türkei und dem Iran sowie zwischen Syrien und dem Irak sanktioniert.

Mit dieser Aufteilung wurden die elementarsten Interessen und Bestrebungen des kurdischen Volkes flagrant verletzt; sie führte zu einer Reihe von Aufständen, die sich auf die beiden Jahrzehnte zwischen den Weltkriegen erstreckten.

Zuerst entwickelte sich eine Bewegung, die auf İsmail Agha zurückgeht, einen Mann, der unter dem Namen Simko bekannt wurde. Er begann 1918 auf iranischem Gebiet aktiv zu werden, und schlug 1920 mit einem offenen Aufstand los, dessen proklamiertes Ziel ein "unabhängiges Kurdistan" war. Auf ihrem Höhepunkt hatte diese Rebellion ein ziemlich weites Gebiet unter Kontrolle.

Danach kam es zu einer Reihe von Revolten von Scheich Mahmud. Die erste wurde 1919 bis 1920 gegen die britische Besetzung des südlichen Kurdistan geführt. Die zweite fand 1922 statt: Mahmud stellte ein Kabinett von Kurdistan aus acht Ministern zusammen und rief sich selbst zum Hukumdar (Herrscher) von Kurdistan aus; mehrere Monate lang erschien das Gesetzblatt Sonne Kurdistans. Zwei Jahre später wurde Muhamud geschlagen; aber deshalb gab er noch lange nicht auf. Ende 1930 rief er zu seinem letzten Aufstand auf, wurde aber im darauffolgenden Jahr endgültig geschlagen.

1925 wurde der türkische Teil Kurdistans von einem neuen Aufstand erfaßt, den Scheich Said anführte und der ein Jahr später mit der Hinrichtung zahlreicher Aufständischer zu Ende ging.

Eine umfassendere Aufstandsbewegung wurde in den Jahren 1927-1928 und 1931-1932 von Khoybun initiiert. Der Khovbun (Selbst-Sein) war ein Komitee, das auf einem Kongreß im Jahre 1927 gegründet wurde, in seiner Führung saßen kurdische Notabeln aus Istanbul1. Im Jahre 1928 begann Ihsan Nuri Pasha, ein Major der türkischen Armee, der am Kongreß von 1927 teilgenommen hatte, mit militärischen Aktionen in der Gegend des Berges Ararat. Er kommandierte mehrere Tausend Mann und gründete die Republik des Ararat-Berges. Im September 1930 wurde diese Republik eingenommen, aber der Kampf zog sich in diesem Gebiet noch etwa zwei Jahre lang hin. Wie gewohnt folgten grausame Repressionsmaßnahmen der Kampfeinstellung.

Schließlich folgte dann der Aufstand von Dersim (heute Tunceli) im türkischen Teil Kurdistans. Hauptanführer war der Seyid Reza; 1937 erreichte die Revolte ihren Höhepunkt. Seyid Reza schrieb ein Manifest, das zu den bemerkenswerten Texten dieser Epoche gehört2.

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg blieb Kurdistan gespalten. Das kurdische Volk ist auf fünf Staaten aufgeteilt. Die Zahl der Kurden übersteigt 15 Millionen: mehr als 5 500 000 unter iranischer Herrschaft (Zahlen von 1975), mehr als 6 200 000 unter türkischer (1970), 2 800 000 unter irakischer (1975) und 825 000 unter syrischer Herrschaft (1976), während 278 000 Staatsangehörige der Sowjetunion sind (1970)3.

Die Kurden sind also ihres Nationalstaates und überhaupt der elementarsten Rechte, welche ethnischen Minderheiten zustehen, beraubt; sie werden systematisch diskriminiert, ja regelrecht entnationalisiert.

Eine nationale Frage

Unsere kurze historische Skizze zeigt schon, daß es zweifelsohne eine kurdische Nation gibt. Zu dieser Schlußfolgerung kamen im übrigen auch die ernsthaftesten Autoren, die sich mit dieser Frage beschäftigten, und das unabhängig von ihren besonderen Standpunkten und politischen Schlußfolgerungen. Im Vorwort zur Anthologie Les Kurdes et le Kurdistan schreibt Maxime Rodinson eindeutig: "Die Rechte des kurdischen Volkes dürften für jedermann außer Zweifel stehen. Hier haben wir ein ganz spezifisches Volk, das eine fest umrissene Sprache spricht (auch wenn man im Iran anderes behauptet), auf einem zusammenhängenden Gebiet lebt, eine besondere Kultur besitzt und in seiner übergroßen Mehrheit die kulturelle Assimilierung, zu der man es zwingen will, ablehnt und das tausendfach seit mehr als hundert Jahren bewies, daß es sich bewußt ist, eine besondere ethnisch-nationale Gruppe zu bilden, die einen Anspruch auf eigene politische Institutionen hat und der das Recht zusteht, ihre Entscheidungen autonom zu treffen. Mit den strategischen und taktischen Entscheidungen derfrüheren und heutigen kurdischen Führer, die oft kritikwürdig waren, und vielleicht noch mit vielem anderen kann man einverstanden sein oder nicht. Aber die von mir aufgezählten Merkmale, die die Besonderheit des kurdischen Volkes ausmachen, sind objektive Tatsachen, die man nicht wegreden, die kein ernsthafter Beobachter abstreiten kann." In seiner soziologischen Studie über die Kurden kommt Basile Nikitin, ein ehemaliger Diplomat des zaristischen Rußland, zu folgendem Ergebnis: "Zusammengefaßt: wir sind der Meinung, daß es eine kurdische Nation gibt, obwohl man sich sowohl in der Türkei als auch in Persien weigert, dies zuzugeben, wodurch im übrigen all die Maßnahmen, welche diesem Volk gegenüber seit Ende der Feudalepoche ergriffen wurden, nicht gegriffen haben." Und Chris Kutschers schreibt: "Mit ihrer Sprache, ihrer Kultur, ihrer Religion und ihren Traditionen bilden die Kurden eine der ältesten Nationen des Nahen Ostens."

Immerhin mußte auch die irakische KP - die doch in der kurdischen Frage (wie in vielen anderen) spektakuläre Wendungen machte und bestimmt nicht als ein Beispiel für den konsequenten Kampf um das Recht der Kurden auf Selbstbestimmung angeführt werden kann - in einem ihrer Texte ausführen:

"Das kurdische Volk im Irak ist integraler Bestandteil der kurdischen Nation, die auf einem bestimmten Gebiet besteht, nämlich Kurdistan, das heute zwischen der Türkei, dem Iran und dem Irak aufgeteilt ist. Die Kurden bilden eine Nation mit all den Merkmalen, die zu einer Nation gehören, insbesondere: eine feste, historisch gebildete Gruppe von Menschen mit einem gemeinsamen Territorium, auch wenn dies durch die Imperialistenaufgeteilt wurde, einer gemeinsamen Sprache sowie der Möglichkeit, eine auf die nationale Befreiung und die nationale Einheit hin orientierte Wirtschaft zu entwickeln."4

Selbst die irakische Baath-Partei, deren Verantwortung für die blutigsten Repressionsfeldzüge gegen die Kurden weltweit bekannt ist, sah sich 1968-1969 gezwungen, "die Existenz der kurdischen Nation" anzuerkennen.5

Das kurdische Volk war und ist Opfer einer klassischen nationalen Unterdrückung. Es konnte nicht nur seinen eigenen Staat nicht schaffen, sondern verfügte auch über keinerlei Autonomie im Rahmen der Staaten, die es unterdrücken. In manchen Fällen wurde ihm auch das elementarste Recht genommen, nämlich das, in seiner eigenen Sprache zu sprechen. (In den von der Türkei beherrschten Gebieten ist die kurdische Sprache in den Schulen seit 1925 verboten, desgleichen dürfen Bücher und Zeitungen auf Kurdisch nicht erscheinen), noch viel weniger kann das kurdische Volk sich frei seine eigenen Organisationen schaffen. In den wenigen Fällen, in denen das unterdrückende Regime Konzessionen machen mußte (zum Beispiel im Irak und jetzt zuletzt im Iran), ging es um nur vorübergehende Errungenschaften, die ziemlich schnell wieder von neuen Repressionswellen zunichte gemacht wurden.

Was die Ebene der Wirtschaft angeht, so gleichen die Beziehungen zwischen den nicht-kurdischen und den kurdischen Regionen innerhalb der verschiedenen Staaten ziemlich genau den klassischen Beziehungen zwischen Mutterländern und Kolonien (Industrieprodukte werden gegen Rohstoffe ausgetauscht, wobei der Preis der ersteren gegenüber dem Preis der letzteren immer mehr steigt - die klassische Entwicklung der terms of change). Wenn man einen Begriff verwenden will, den Marx hinsichtlich Irlands benutzte und den die italienischen Marxisten hinsichtlich des Mezzogiorno gebrauchen, so bilden die kurdischen Gebiete eine Art "Nebenland", das zu einer untergeordneten Stellung der Unterentwicklung verdammt ist, sogar in bezug zu anderen Gebieten der Staaten, die ja alle direkt oder indirekt durch den Imperialismus unterentwickelt und ausgebeutet werden. Im Falle des Irak, wo die kurdischen Gebiete über erhebliche Erdölreserven verfügen, werden die Erdöleinkommen von der Zentralgewalt vereinnahmt und in einer Art wieder verteilt, die die kurdischen Gebiete enorm benachteiligt.

Abgesehen von den "normalen" Unterdrückungsmechanismen war das kurdische Volk darüber hinaus noch periodisches Opfer massiver Versuche, es zu zerstreuen und zu "entnationalisieren", wobei die tragischsten Fälle schon hart an Völkermord grenzen. Um ganz summarisch unter den bedeutendsten Epochen nur einige zu nennen:

Während des Ersten Weltkrieges organisierte die türkische Regierung die Deportation von insgesamt 700000 Personen, von denen ein guter Teil auf Zwangsumsiedlungs-Märschen ums Leben kam (ein Massaker, das nur dem Massenmord an den Armeniern 1915 nachsteht). Wieder war es die türkische Regierung, die zwischen 1925 und 1928 ein Programm zur "Umsiedlung" von ungefähr einer Million Personen annahm; vom Winter 1932 an wurden tatsächlich Hunderttausende von Kurden in die anatolischen Steppen deportiert. Wir erwähnten bereits die Repression, die die Aufstände der zwanziger und dreißiger Jahre begleitete oder diesen folgte; nach Schätzungen der türkischen Kommunistischen Partei wurden innerhalb von dreizehn Jahren etwa eineinhalb Millionen Kurden massakriert oder deportiert. Und um auf eine jüngere Epoche zu kommen: die Zahl der Opfer der Unterdrückungswellen der irakischen Regierungen in den sechziger und siebziger Jahren geht in die Hunderttausende (nach Berechnungen wurden allein in den Jahren 1975/1976 an die 350 000 Kurden in andere Regionen "transferiert"). Schließlich sollen nach Angaben der DPK mindestens 15 000 Menschen - überwiegend Zivilisten - im derzeitigen Kampf der Kurden im Iran getötet worden sein.

Schon allein die Tatsache, daß all das weder die nationale Bewegung zerstören noch die tiefgehenden Bestrebungen der Kurden nach nationalen Rechten und Unabhängigkeit ersticken konnte, bestätigt klar und deutlich die Realität der kurdischen Nation.

Diese Nation hat ihre feste Absicht bewiesen, ihre Identität zu verteidigen und ihre Unabhängigkeit im bewaffneten Kampf gegen die Staaten, die sie unterdrücken, durchzusetzen: für uns ist dies das letztlich entscheidende Kriterium. Wir erwähnten bereits die Bewegungen und Aufstände im Zeitabschnitt zwischen den beiden Weltkriegen. Noch während und gleich nach dem Zweiten Weltkrieg begann der Kampf der Kurden wieder mit gewaltiger Kraft und beispiellosem Opfermut von neuem. 1943 brach im irakischen Teil Kurdistans die Revolte der Barzanis los, die die irakische Armee zum Rückzug zwang; sie hielt bis 1945 an. Die britische Royal Air Force mußte in massiver Weise direkt eingreifen, und erst nach dieser Intervention zogen sich die Aufständischen auf iranisches Territorium zurück. Kurz darauf wurde gerade Iranisch-Kurdistan zum Schauplatz einer der hervorstechendsten Episoden im kurdischen Befreiungskampf der Gegenwart. Am 22. Januar 1946 wurde in Mahabad eine unabhängige kurdische Republik ausgerufen; ihr Präsident wurde Qadhi Mohammed. Eine unabhängige Armee wurde auf die Beine gestellt, und man schloß ein Abkommen mit der Regierung ab, die sich gerade zu der Zeit auch in A serbeidschan gebildet hatte. Diese Mini-Republik blieb nicht einmal ein Jahr lang am Leben - genau bis zum 15. Dezember. Aber sie übte eine starke Anziehungskraft aus. Kurden aus anderen Gebieten begaben sich dorthin und nahmen an ihrer Verteidigung teil (das war insbesondere mit den kurdo-irakischen Truppen von Barzani der Fall). Eben in dieser Periode wurde die DPK (Demokratische Partei Kurdistans) gegründet, die ursprünglich für alle Kurden angelegt war.

In noch jüngerer Zeit bewies die kurdische Nationalbewegung ihrer Lebenskraft noch einmal im Widerstand und den periodischen Aufständen der Kurden des Irak. Ismet Vanly zögerte nicht, von einem "fünfzehnjährigen Befreiungskampf" zu sprechen, der 1961 begann und mit der Niederlage von 1975 endete. Zwischen 1958 und 1975 wechselten Konzessionen und demagogische Manöver der Regierungen von Bagdad mit Perioden brutaler Repression ab. Wiederholt beteiligten sich kurdische Vertreter an der Regierung in der Illusion, daß nun die Rechte ihres Volkes endlich anerkannt würden. Aber auf alle Vereinbarungen und alle Kompromisse folgten jedesmal Rückzieher und regelrechte Verrate: deshalb brachen immer wieder neue Konflikte aus, zumeist von umfassendem Ausmaß6. Der kurdischen Nationalbewegung unter Barzani gelang es auf ihrem Höhepunkt, ein starkes Bollwerk zu errichten, in dessen Schutz außer den Flüchtlingen etwa eineinhalb Millionen Kurden lebten und ein Kabinett mit neun Ministern fungierte, das die Rolle einer regelrechten Regierung einnahm.

Zu dem Zeitpunkt, wo diese Zeilen geschrieben werden, verlagert sich der Schwerpunkt des Kampfes der Kurden in den iranischen Teil von Kurdistan. Ganze Regionen werden bewaffnet gegen die Angriffe und die blutigen Repressionsakte des iranischen Staates verteidigt, der auch im Gewande der "Islamischen Republik" keineswegs auf den unterdrückerischen Zentralismus des alten Schahregimes verzichtet hat.

Was für ein Kurdistan?

Aus all diesen Gründen ist es elementare Pflicht für revolutionäre Marxisten, nicht nur das Recht des kurdischen Volkes auf Selbstbestimmung zu bekräftigen, sondern auch für die Unabhängigkeit Kurdistans einzutreten. Es ist möglich, daß es aus politisch-taktischen Überlegungen zu bestimmten Zeiten besser erscheinen mag, dieses Ziel nicht als unmittelbares, kurzfristiges Ziel vorzuschlagen; aber vom prinzipiellen Gesichtspunkt her und auf der Ebene der Gesamtstrategie ist keinerlei Zweideutigkeit erlaubt.

Hinzukommt, daß unter dem Gesichtspunkt einer revolutionären Strategie ein zusätzlicher Grund dafür spricht: wenn das kurdische Volk die Unabhängigkeit erringt, entstehen günstigere Bedingungen für den revolutionären Kampf in der gesamten Region, weil sich damit die Krise der bürgerlichen Staaten, die die kurdischen Minderheiten unterdrücken, verschärfen würde7.

Das Problem der Kurden in der Sowjetunion ist zweifelsohne ein spezifisches. Die Tatsache, daß die Sowjetunion ein Arbeiterstaat ist, spricht nicht notwendigerweise gegen die Forderung nach Selbstbestimmung der Kurden. Indes müssen zwei zusätzliche Elemente berücksichtigt werden:

Erstens ist die Zahl der Kurden in der Sowjetunion relativ gering, und außerdem verfügen sie nicht über ein zusammenhängendes Gebiet (sie sind nämlich auf verschiedene Republiken zerstreut); zweitens erfreuen sie sich im Unterschied zu den Kurden in den anderen Ländern relativ privilegierter Bedingungen, was die Rechte und Freiheiten hinsichtlich ihrer Sprache und ihrer Kultur angeht.

Außerdem gibt es in der Sowjetunion keine kurdische Nationalbewegung, die mit der in den anderen Staaten dieser Region vergleichbar wäre (zumindest nach den Informationen, die uns zur Verfügung stehen).8

Deshalb scheint es uns nicht möglich, für diesen spezifischen Fall die Lösung vorzuschlagen, die für das Gesamtproblem gilt. Eventuell könnte man für die Kurden, die sowjetische Staatsbürger sind, verlangen, daß sie das Recht haben müssen, in ein unabhängiges Kurdistan umzuziehen und/oder die doppelte Staatsangehörigkeit zu besitzen.

Wie wir sagten, ist es Ziel der Revolutionäre, ein unabhängiges Kurdistan zu schaffen. Dieses unabhängige Kurdistan muß gleichzeitig ein vereinigtes Kurdistan sein, also alle Gebiete umfassen, die von Kurden bewohnt werden und heute verschiedenen Staaten gehören. Dieses Ziel ist umso wichtiger, als die Projekte, die in der Vergangenheit von konservativen, ja reaktionären Führungen verfolgt wurden, die Unabhängigkeit (oder Autonomie) von diesem oder jenem kurdischen Gebiet unabhängig oder auf Kosten der anderen vorsahen, was eine der Hauptursachen dafür war, daß sie scheiterten (weiter unten werden wir auf dieses Problem zurückkommen). Natürlich bedeutet unsere Orientierung nicht, daß die nationale Befreiung notwendigerweise zur gleichen Zeit in allen kurdischen Gebieten stattfinden muß9. Sie bedeutet, daß das vereinigte Kurdistan ein strategisches Ziel ist, das man nie aus den Augen verlieren oder konjunkturellen politischen Alternativen opfern darf.

Schließlich müssen die revolutionären Marxisten erklären, daß sie für die Errichtung eines kurdischen Arbeiterstaates kämpfen. Nur ein Arbeiterstaat, auf den die Dynamik der permanenten Revolution hinausläuft, kann garantieren, daß die nationalen demokratischen Ziel des kurdischen Volkes voll durchgesetzt, die Bedürfnisse der ausgebeuteten Massen befriedigt und eine wirkliche Entwicklung der Wirtschaft verwirklicht wird- und daß sich die Perspektive einer Föderation der sozialistischen Republiken der ganzen Region eröffnet.

Die strategische Perspektive der Revolutionäre kann also nur lauten: ein unabhängiges, vereintes und sozialistisches Kurdistan.

Soziale und politische Komponenten der Nationalbewegung

Im ersten Teil unseres Artikels erwähnten wir schon, wie sich die kurdische Nationalbewegung herausbildete, indem wir ein Schema von aufeinanderfolgenden Perioden skizzierten. Welches war und ist das Wesen dieser Bewegung, wie drückte sie sich früher und wie drückt sie sich heute politisch aus?

Abgesehen von den unbestreitbaren gemeinsamen Zügen gibt es regionale Besonderheiten, die letztlich aus der Integration der Kurden in verschiedene Staaten herrühren. Um den iranischen Teil Kurdistans als ersten zu nehmen: hier hatten lange Zeit die Großgrundbesitzer und überhaupt die Notabeln das größte Gewicht. Sogar innerhalb der Regierung der Republik von Mahabad waren die Großgrundbesitzer, die Kutschera "Feudalherren" nennt, und die Kaufleute in der Mehrheit. Der Chef der Regierung, Quadhi Mohammed, kam aus einer Familie von Intellektuellen und religiösen Würdenträgern; sie waren Scheichs und Richter (Quadhi bedeutet ja Richter) und gleichzeitig reiche Dorfeigentümer aus der Gegend von Kokan.

In den darauffolgenden Jahrzehnten wurden die kleinen und mittleren Bauern zum Hauptbestandteil der Bewegung, nicht zuletzt aufgrund der Pseudo-Reform unter dem Schah, welche die Grundbesitzer - wenn auch nur zu einem gewissen Ausmaß -traf. Auch das Gewicht des ländlichen Proletariats nahm zu. Die Industriebourgeoisie blieb nach wie vor sehr schwach; dagegen entwickelte sich eine "neue" Kleinbourgeoisie im Verwaltungs-und Dienstleistungssektor. Derzeit wird der Widerstand praktisch von der gesamten Bevölkerung unterstützt: abgesehen von den Peschmergas soll es Zehntausende von bewaffneten Bauern geben10.

Auch in dem von der Türkei beherrschten Gebiet stand die Nationalbewegung lange Zeit unter der Fuchtel der traditionellen Chefs. Kendal spricht sogar von einer Bewegung der Lehnsherren, die erst nach und nach eigentlich bürgerliche Züge bekam. Immerhin spielten von Anfang an die Kurden von Istanbul (und später auch die anderer Städte) eine beträchtliche Rolle. Es war in Istanbul, wo 1908 die ersten Vereinigungen entstanden und wo sie am Ende des Ersten Weltkrieges wieder auftauchten. Und es war auch in den Städten, wo sich Anfang der sechziger Jahre die demokratische und sozialistische Bewegung der Türkei entwickelte, in der die späteren Kader der kurdischen Bewegung in die Lehre gingen. Die größten Gruppen kurdischer Proletarier sind in den Vororten der Großstädte zusammengeballt (insbesondere von Istanbul, Izmir und Ankara).

Die Bewegung erlebte vor allem in den beiden letzten Jahrzehnten Veränderungen, die in engem Zusammenhang mit dem sozioökonomischen Wandel stehen. Obwohl die vorkapitalistischen Beziehungen und Stammesstrukturen immer noch überwiegen, drang das Kapital auf dem Lande ein - unter anderem mit der einen Konsequenz, daß die Landflucht massenhafte Formen annimmt. Die Industrie behielt ihre bescheidene, ja handwerkliche Dimension. Das Proletariat konzentriert sich auf den Bergwerkssektor, der vom Staate kontrolliert wird. Was die kurdische Bourgeoisie im eigentlichen Sinne angeht, so ist sie weitgehend in das unterdrückerische Regime integriert, hat also in der Nationalbewegung kein entscheidendes Gewicht. Eine wichtige Rolle spielt in dieser Gegend vor allem die Kleinbourgeoisie, auch die auf dem Lande.

In den irakischen Gebieten wurde die Bewegung der sechziger und siebziger Jahre von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung unterstützt, einer Bevölkerung, die vom bäuerlichen Element bestimmt wird, auch wenn sich insbesondere im Zuge der Erdölförderung die Industrie entwickelte. Indes nahmen neben den großen Kontingenten, die von den Bauern gestellt wurden, vor allem in der letzten Phase des Kampfes auch viele Intellektuelle und Studenten (von denen ein Teil nach abgebrochenem Studium aus dem Ausland zurückkehrte) teil.

Diese Bewegung stand unbestreitbar unter der Hegemonie des Generals Mustafa Barzani, einer Persönlichkeit, die in vieler Hinsicht widersprüchlich ist. Barzani vollführte spektakuläre politische Wendungen, die unter anderem in der Entwicklung seiner Beziehungen zur PDK und seiner internationalen "Bündnisse" zum Ausdruck kamen. Aber in sozialer Hinsicht kann man bei dieser Person zweifelsohne von Kontinuität sprechen: er drückt vor allem die Interessen und die Auffassungen der Großgrundbesitzer und der traditionellen Chefs aus, die über ihn im großen und ganzen die Vorherrschaft in der Bewegung behielten. Übrigens stammt Barzani selbst aus einer Familie von Scheichs von Barzan, der unter anderen auch Scheich Ahmed, der Führer der Kurdenaufstände in den dreißiger Jahren, angehörte.

Nach der Niederlage von 1975 trat die Bewegung der irakischen Gebiete in eine Phase der Neuzusammensetzung, auch vom sozialen Gesichtspunkt aus.

Schließlich gibt es eine kurdische Bewegung innerhalb der Emigration in Westeuropa, wo mehr kurdische Arbeiter leben als in Kurdistan selbst. Da diese Arbeiterklasse aber in eine ganz andere Wirklichkeit integriert ist als im Ursprungsland, kann sie keine direkte Rolle in der nationalen Bewegung spielen. Sie kann jedoch durch die Stärkung bestimmter Organisationen, durch die Ausbildung von Kadern und durch Solidaritätsaktivitäten einen Beitrag leisten.

Der erste Ansatz zu einer kurdischen Partei geht auf das Jahr 1920 zurück: Kurden, die in der Türkei lebten, wollten eine demokratische kurdische Partei gründen. Aber der Versuch verlief im Sande, vor allem deshalb, weil das Innenministerium die notwendige Genehmigung nicht erteilte. 1942 wurde in Mahabad das Komala i Jianewey Kurdistan (Komitee für das Leben von Kurdistan) auf Initiative von Nationalisten kleinbürgerlicher Herkunft gegründet. Dieses Komitee nahm unter anderem auch Kontakt mit Hewa (Hoffnung) auf, einer Organisation, die 1941 auf irakischem Gebiet als Zusammenschluß mehrerer Gruppen gegründet worden war, von denen einige der Linie der irakischen KP ziemlich nahe standen; Hewa unterstützte Barzani 1943 und brach 1945 in verschiedene Fraktionen auseinander.11

Wie wir bereits erwähnten, wurde die DPK (Demokratische Partei Kurdistans) 1945 in Mahabad gegründet. Gewissen Quellen zufolge soll Qadi Mohammed die Initiative dazu auf Anraten der Sowjts ergriffen haben. Die Führer des Komala waren nicht begeistert von der Aussicht, sich in der gleichen Partei zu organisieren wie Qadhi Mohammed, weil sie befürchteten, daß dieser sie dominieren werde. Aber ihr Widerstand blieb ohne Erfolg, und praktisch wurde das Komala von der DPK, deren Präsident Qadhi Mohammed wurde, aufgesogen. Konflikte brachen auch in der Frage aus, ob die neue Partei alle Kurden oder nur die des Iran zur Zielgruppe haben sollte: ihr Programm, das im Wesen nationalistisch und kleinbürgerlich war und sich auf die Forderung nach Autonomie konzentrierte, sprach nämlich nur vom iranischen Gebiet. Barzani war dafür, eine getrennte Partei für den irakischen Teil Kurdistans zu bilden, während Qadhi Mohammed offenbar dagegen opponierte (unter den Irakern wurde die Einheitsthese von Ibrahim Mohammed vertreten). Jedenfalls wurde 1946 eine irakische Sektion gegründet, die sich in die DPK des Irak umwandelte (ihr Gründungskongreß fand am 16. August 1946 statt).

Erst sehr viel später, nämlich im Jahre 1965, entstand die DPK der türkischen Gebiete, 1956/57 die PK des syrischen Teils in deren Programm die Anerkennung der Kurden als ethnischer Gruppe gefordert wurde.

Wir können hier nicht im Detail aufführen, wie es den verschiedenen Sektoren der kurdischen Bewegung erging; es gab zahlreiche Konflikte, die oft zu Spaltungen oder gar zu regelrechten Kämpfen führten. Was den türkischen Teil angeht, so braucht man nur daran zu erinnern, daß die DPK, die eine nationalistische Ideologie hatte und sich aus Handwerkern, Intellektuellen und Großgrundbesitzern zusammensetzte, sich schon 1969 in die DPK der Türkei (Tendenz Said Ençi) und die DPK in der Türkei (Tendenz Sivan) spaltete; letztere soll für die völlige Unabhängigkeit von der Türkei gewesen sein.

Heutzutage soll die DPK der Türkei vor allem in den Gebieten nahe der syrischen und irakischen Grenze fest verankert sein.

Auf ihrem Kongreß im Oktober 1977 sprach sie sich für die Unabhängigkeit und für die Öffnung gegenüber dem Marxismus-Leninismus aus. Im Grunde jedoch bleibt sie konservativ.12

Links davon berufen sich die meisten Organisationen inzwischen auf den Marxismus und betonen die führende Rolle des Proletariats. Özgürlük (Freiheit) ist eine Organisation, die man als pro-sowjetisch und anti-chinesisch bezeichnen kann; sie unterzeichnete 1980 eine gemeinsame Erklärung mit der DDKD und der KUK. Sie ist für die Unabhängigkeit Kurdistans von der Türkei und für eine Föderation mit einem demokratischen türkischen Staat. 1978 wurde sie erheblich geschwächt durch eine Spaltung, die zur Bildung einer anderen Organisation führte, der Özgürlük Yolu (Weg der Freiheit). Die DDKD (Demokratische und Revolutionäre Kulturvereinigung, in der BRD: KKDK = Verein der Arbeiter und Demokraten Kurdistans) geht auf das Jahr 1974 zurück; sie beruft sich auf den Marxismus und tritt für die Unabhängigkeit der vier Teile Kurdistans ein. Die KUK (Partisanen für die Befreiung Kurdistans) ging aus einer Abspaltung der DPK 1977 hervor; sie ist marxistisch orientiert und ist für eine Lösung ähnlich der von Ozgürlük. Weiter gibt es Rizgari (Befreiung), die auch für die Unabhängigkeit der vier Gebiete Kurdistans ist, dann Kurtulus (Befreiung), eine Organisation, die Anfang der siebziger Jahre von Studenten mit castristischen Gedanken gegründet wurde, die stali nis tische Züge aufweist, aber sowohl die Moskauer wie die Pekinger Bürokratie kritisiert, und schließlich die PKK (Kurdische Arbeiterpartei), die heftige innere Auseinandersetzungen um die Frage des bewaffneten Kampfes erlebte und nach jüngsten Verlautbarungen nach dem Staatsstreich in der Türkei sehr hart von der Repression betroffen wurde.13

Was den Iran angeht, so kannte die DPK, die unter dem Schah-Regime viel zu leiden hatte, ein meistens sehr stürmisches internes Leben. 1956 veröffentlichte sie ihr erstes Gesamtprogramm, das die Bildung einer demokratischen iranischen Republik beinhaltete, in deren Rahmen die Kurden dann ihre eigene Regierung und ihr eigenes Parlament haben sollten. Auf dem Kongreß von 1964 ließ ihr damaliger Hauptführer Abdalla Isshaki den Führer von 1946 Qadhi Mohammed noch postum zum "Verräter" stempeln und die prograssivere Tendenz der Partei als "revisionistisch" verurteilen. 1969 kam nach einer Linkswendung Abdalla an die Reihe, ausgebootet zu werden. Auf dem Kongreß von 1973 kam die DPK wieder auf ihre ursprünglichen Positionen zurück, entschied sich für den bewaffneten Kampf gegen das Schah-Regime und forderte die "nationalen Rechte des kurdischen Volkes". Heute stellt die DPK unter der Führung von A.R. Ghassemlu die bei weitem stärkste Kraft im iranischen Kurdistan. Sie ist Mitglied des Nationalen Widerstandsrates (des Iran) gewesen, arbeitet also außer mit den M udschahidin auch mit Bani Sadr zusammen, der sich doch, als er Präsident war, der Autonomie Kurdistans widersetzt hatte. Sie fordert nach wie vor die Autonomie im Rahmen des iranischen Staates.14

Eine Zeitlang scheinen die Feddayin Khalq und eine Gruppe um einen religiösen Würdenträger, den Scheich Ezzadin Hosseini, gewissen Einfluß gewonnen zu haben. Aber derzeit ist die einzige aktive Organisation neben der DPK das Komala, das marxistisch orientiert ist und den Aufstand propagiert, um eine Demokratische Revolutionäre Republik15 zu schaffen. Wie wir sehen, entstand die DPK des Irak im Jahre 1946 und erlebte gleich zu Anfang ihrer Existenz schwere innere Konflikte. Barzani nahm am Gründungskongreß nicht teil, schickte aber jemanden als seinen Vertreter. Bereits ein Jahr später verlor er jeden Kontakt zur Partei: nach einem langen Marsch, der als "Rückzug der 500" in die Geschichte des kurdischen Widerstands eingehen sollte, flüchtete er in die Sowjetunion, wo er bleiben sollte, bis das Regime Kassem an die Macht kam (1958).

In ihrem ersten Programm fordert die DPK eine Landreform, die Verbesserung der Lebensbedingungen der Arbeiterklasse, Reformen auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet (darunter die Nationalisierung der natürlichen Ressourcen) und die Autonomie Kurdistans. Sie bildete die "Nationale Front" zusammen mit der "Volkspartei" von Aziz Cherif, der "National Demokratischen Partei" und der irakischen KP. Später wurde sie radikaler (vgl. insbesondere die Beschlüsse ihres Dritten Kongresses vom Januar 1953). Sie entschied sich für einen kurdischen Bundesstaat innerhalb der irakischen Republik und übernahm den Marxismus-Leninismus als Ideologie. Im Jahre 1955 führte der Tendenzkampf, der nie zum Stillstand gekommen war, zum Bruch zwischen der von Ibrahim Ahmed geführten DPK und der "Progressiven Front" unter Hamza Abdalla. Aber im folgenden Jahr vereinigten sie sich wieder: die Partei hieß nun VDKP (Vereinigte Demokratische Kurdische Partei). Als Barzani aus der Sowjetunion zurückkehrte, bootete er Ibrahim Ahmed aus und übernahm die Kontrolle der Partei in Zusammenarbeit mit Hamza Abdalla (Anfang 1959). Unter dem Kassem-Regime, das die Unterstützung der Sowjetunion genoß, näherte sich die VDKP de n Positionen der irakischen KP: Wortradikalismus gegenüber dem "Imperialismus der Reaktion und dem Feudalismus" und Forderung nach nationalen Rechten der Kurden im Rahmen des irakischen Kurdistan (Manifest von 1959). Aber auf dem vierten Kongreß wechselte die DPK wieder ihre Führung: Hamza Abdalla mußte abtreten, und Ibrahim Ahmed wurde wieder Generalsekretär. Unter seinen Mitarbeitern finden wir Jalal Talabani, der später zu einem der Hauptwidersacher von Barzani werden sollte16. Auf dem Fünften Kongreß, der bereits im Mai 1960 stattfand - daß die Kongresse so rasch aufeinanderfolgten, zeigt die dauernden Schwankungen, welche ihrerseits mit der rasch wechselnden Lage im Irak insgesamt zusammenhingen -, wurde die VDKP wieder zur DPK und bekannte sich nach wie vor zum Marxismus-Leninismus; aber mit Rücksicht auf ihr Bündnis mit Kassem ließ sie "vorübergehend" die Forderung nach Autonomie unter den Tisch fallen. Nach dem Bruch mit Kassem nahm sie nach etlichem Hin-und-Her (1962) den Widerstand auf, den Barzani 1961 begonnen hatte. Zu dieser Zeit war Barzani nicht in der Lage, sie zu kontrollieren: deshalb erklärte er nicht nur, daß er nicht Mitglied sei, sondern daß er auch nie Mitglied gewesen sei! Sein Bruch mit dem Politbüro wird jedenfalls im April 1964 besiegelt, als Barzani in einer Verlautbarung der DPK, weil er ein Abkommen mit dem irakischen Regime abgeschlossen hatte, verurteilt und als die "größte Gefahr für die kurdische Revolution" gebrandmarkt wird. Aber Barzani berief flugs seinen eigenen Parteikongreß ein (den Fünften), auf dem unter anderem die Berufung auf den Marxismus-Leninismus abgeschwächt wurde. So gab es von da an zwei DPK, die von Barzani und die von Ibrahim Ahmed und Talabani. Letztere flüchteten in den Iran und verloren erheblich an Einfluß, während Barzani die kurdische Festung organisierte, die, wie wir schon sahen, bis 1975 Widerstand leistete. 1966 einigten sie sich mit dem irakischen Regime und blieben in Bagdad; sie organisierten sogar Kampftruppen gegen Barzani. Ihre politisch-ideologische Rechtfertigung ist die gleiche wie die der irakischen Baath-Partei: die Front verläuft zwischen einem fortschrittlichen, antiimperialistischen Regime auf der einen und den feudalen philo-imperialistischen Kräften, zu denen Barzani gehört, auf der anderen Seite.

In der Phase der Neu-Zusammensetzung, die nach der Niederlage 1975 begann, scheint sich die DPK wieder zu radikalisieren unter einer provisorischen Führung, die sich auf einer Konferenz für das Recht der Kurden auf die Selbstbestimmung und für eine Zusammenarbeit von Vertretern der verschiedenen Teile Kurdistans aussprach. Talabani aber gründete die Patriotische Union Kurdistans aus dem Zusammenschluß dreier Bewegungen auf einem Kongreß im September 1977, der sich für die Autonomie entschied. Es folgten heftige Auseinandersetzungen zwischen "Talabanisten" und "Barzanisten" bis hin zu blutigen Zusammenstößen. 1979 gründete Mahmud Osman die Vereinigte Sozialistische Partei von Kurdistan. Schon vorher waren die Kurdische Nationalunion für die Anerkennung einer "echten Autonomie im Rahmen einer unabhängigen Republik Irak"17 und das Komala (Marxistisch-Leninistische Liga) entstanden.

Schwierigkeiten und Widersprüche

Jahrzehnte des Kampfes, Jahrzehnte von Teilsiegen und sehr harten Niederlagen verlangen eine Bilanz als unabdingbare Voraussetzung dafür, daß sich eine neue Phase der Nationalbewegung entwickelt und daß diese erfolgreich endet.
Als erstes muß man von einer ganz elementaren Feststellung ausgehen. Kurdistan liegt in einer Gegend, in der seit jeher Großmächte tätig sind, direkt oder indirekt. Diese waren durchaus fähig, zeitweilig Aufstände oder Widerstandsbewegungen zu begünstigen und aus taktischen Gründen anzuheizen, ja sogar sich in diplomatischen Erklärungen für die Kurden aussprechen, ohne daß sie jemals die Bildung eines unabhängiges kurdischen Staates wirklich im Sinn hatten. Die kurdische Nationalbewegung stößt immer wieder auf dieses Hindernis, das man nicht unterschätzen darf. Sie stößt auch immer wieder auf Regime, die zumeist antidemokratisch sind, die ohne weiteres zu den blutigsten Repressionsmaßnahmen greifen und die, wie Chaliand hervorhebt, „wie Persien und noch mehr die Türkei auf eine lange staatliche Tradition zurückblicken können."

Zweitens hat die Zähigkeit der traditionellen Strukturen -manche Autoren nennen sie "Feudal", andere "Stammes" -Strukturen, tatsächlich handelt es sich um verschiedene widersprüchliche sozio - ökonomische und politische Strukturen, die übereinander gelagert sind - zu widersprüchlichen Ergebnissen geführt. Nikitin zum Beispiel bemerkt ganz richtig, daß sich dadurch Kurdistan leichter vor ausländischen Eroberern schützen konnte, weil es so seine Identität wahren konnte; aber gleichzeitig bildeten diese Strukturen ein beträchtliches Hindernis auf dem Wege zur kohärenten Herausbildung einer richtigen Nation und eines unabhängigen Nationalstaates. Von daher gesehen entstanden durch die Umwälzungen der Strukturen seit dem Ersten Weltkrieg und vor allem in den letzten Jahrzehnten günstigere objektive Bedingungen.18

Ganz allgemein kann man sagen, daß die vorherrschenden sozio-ökonomischen Strukturen und die dadurch bedingte klassenmäßige Zusammensetzung der Nationalbewegung scharfe Widersprüche hervorbrachten und den Befreiungskampf gewaltig behinderten.

Als Beispiel braucht man nur an die Konflikte erinnern, die innerhalb der Republik von Mahabad ausbrachen: bestimmte Stämme standen ihr sehr feindlich gegenüber, weil sie Tabak für den iranischen Markt anbauten und ihnen der Bruch mit dem Iran schadete. Archie Roosevelt Jr., der die Probleme von Mahabad eingehend untersucht hat, bemerkte dazu treffend: "Wie schon bei den früheren Versuchen bewirkte vor allem die fehlende Einheit der Kurden selbst, daß er (der Versuch von Mahabad) scheiterte. Ein großes Dilemma des kurdischen Nationalismus liegt darin, daß er seine Führer und Aktivisten aus den Reihen der aufgeklärtesten Städter beziehen muß, während er seine militärische Kraft immer aus den Stämmen und deren Führern zog, die weder genügend Phantasie noch genügend Bildung hatten, um die Regierungsmacht aus anderen Gründen als aus Beutegier und Profitsucht zu schwächen."

Die Erfahrung der kurdischen Hochburg im Irak, die sehr viel größere Dimensionen annahm, führt zu den gleichen Schlußfolgerungen. Kurz nach der Machtübernahme durch Kassem brach ein kurdischer Aufstand aus, der aus dem einfachen Grunde, weil er die Bauern nicht mobilisieren konnte, rasch zerschlagen wurde. Und es hat seinen guten Grund, wenn die Bauern still hielten: Der Aufstand war nämlich Sache der traditionellen Chefs, die wegen der an sich zaghaften Agrarreform vom September 1958 in helle Aufregung geraten waren. Anfang der sechziger Jahre zögerte die DPK erst, bevor sie sich voll für den Kampf engagierte. Ibrahim Ahmed erklärte einem Journalisten von Le Monde (12.3.1963), die Bauern hätten ihnen einen Krieg "aufgezwungen", den sie, die Führer, gar nicht wollten, weil sie ihn von vornherein für aussichtslos hielten. Etwas später gestander demselben Journalisten: "Ich möchte Ihnen nicht unsere Furcht vor einer Entfesselung der Bauern verheimlichen". In Wirklichkeit war, wie Kutschera ganz richtig betont, für die kurdischen Bauern das Hauptproblem die Landfrage, um die die DPK sich herumzudrücken versuchte, um sich nicht mit den traditionellen Chef zu überwerfen, die über die Vermittlung der Barzani - Führung letztlich über die Bewegung insgesamt entschieden.

Drittens muß man daran erinnern, daß die Führer und die Organisationen der kurdischen Bewegung zumeist davon abgesehen haben, für ihr Land die Unabhängigkeit zu fordern. Sie erhoben diese Forderung nur zu gewissen Zeiten und in widersprüchlicher Art. Außerdem suchten sie im allgemeinen nur nach Lösungen für ein einziges kurdisches Gebiet, unabhängig von den anderen oder gar auf deren Kosten. Dieser Linie entspricht auch die bereits traditionelle Haltung, daß man die Autonomie oder die Unabhängigkeit mit Hilfe der Großmächte und / oder eines der Anrainerstaaten zu erreichen versuchte. Barzani gibt da das beste Beispiel. Bis 1945 setzte er auf die Hilfe Großbritanniens (schon vor ihm hatten manche dieselbe Illusion in den zwanziger Jahren gehabt, z.B. Abdel Kader und Bedir Khan). Dann unternahm er Anstrengungen, die Unterstützung der Sowjetunion zu gewinnen (obwohl diese sowohl das unabhängige Aserbeidschan als auch die Republik von Mahabad fallengelassen hatte), und jahrelang schien er das Vertrauen Moskaus zu genießen. Ab 1967 kam er mit dem Schah des Iran und sogar über Kissinger mit dem amerikanischen Imperialismus (1970) überein. Das Ergebnis ist bekannt. 1975 schloß der Schah durch Vermittlerdienste Algeriens eine Vereinbarung mit dem Irak und überließ innerhalb von Stunden die Kurden ihrem Schicksal. Die verzweifelten Appelle Barzanis an Washington blieben natürlich ohne Antwort.

Die kurdische Bewegung mußte dafür einen außerordentlich hohen Preis zahlen. Der Bruch zwischen der Bewegung im Irak und der im Iran war nicht zu umgehen. Barzani ging so weit, kurdische Führer des Iran ermorden und andere den Henkern des Schah ausliefern zu lassen, mit der Konsequenz, daß seit 1973 die iranische DPK gute Beziehungen mit der irakischen Regierung pflegte und ein Büro in Bagdad aufmachte. Nun stand eine monströse "Einheitsfront" der irakischen Baath-Partei mit der iranischen DPK einer nicht weniger monströsen Front von Barzani und dem Schah Reza Pahlewi gegenüber. Barzani erklärte zynisch: "Wir sind bereit, im Einklang mit der amerikanischen Politik in dieser Region zu handeln, wenn die Vereinigten Staaten uns vor den Wölfen schützen. Wenn sie uns genügend stark unterstützen, könnten wir die Erdölvorkommen von Kurkuk kontrollieren und deren Ausbeutung einer amerikanischen Gesellschaft übertragen. Das ist unser Gebiet, und die Nationalisierung (der Ölquellen) war ein Akt gegen die Kurden." (Washington Post, Juni 1973). Tatsächlich wurde keinerlei Aktion gegen die Erdölquellen unternommen.

Leider scheint man die Lehren daraus nicht gezogen zu haben. Nach dem Sturz des Schahs, als das neue Regime seinerseits die Kurden angriff, spielte Talabani eine Vermittlerrolle auf Kosten des Widerstands. Massud Barzani bekam eingeschränkte Bewegungsfreiheit im Iran und erhebliche Hilfe. Im Austausch dafür zögerten seine Anhänger nicht, sich in dem neuen Krieg, der gegen die iranischen Kurden entfesselt wurde, praktisch ganz auf die Seite Teherans zu stellen.19

Chaliand betonte, wie sehr die kurdische Bewegung im Irak von der verspäteten Entwicklung der kurdischen Gesellschaft geprägt wurde, und zog folgende Schlußfolgerung: "Die Führung konnte sich mit ihrem Selbstverständnis nicht über ihre eigene Gesellschaft erheben und die Massen mitreißen, wie das anderswo revolutionären Führungen gelang. Abgesehen von dem schweren Nachteil der geopolitischen Situation ist dieser Punkt' entscheidend; in ihm kommt die Hauptschwäche der kurdischen Bewegung zum Ausdruck: die Zurückgebliebenheit ihrer Eliten, ein historisches Erbe, das schwer auf dem nationalen Schicksal lastet und die Krise der kurdischen Gesellschaft fortdauern läßt."

Mit anderen Worten: die kurdische Bewegung ist tief geprägt durch die widersprüchliche Kombination eines traditionellen Aspekts, der die soziale Schwerfälligkeit zurückgebliebener Gebiete widerspiegelt, und eines modernen Aspekts, der in der Organisierung als Partei und bis zu einem gewissen Maß auch in ihrer Ideologie sowie der ihres Hauptführers zum Ausdruck kommt. Aber die sozialen Umstände sowie die Anpassung, ja die Unterordnung unter die gegebenen internationalen Gegebenheiten hatten zur Folge, daß der erste Aspekt ein viel entscheidenderes Gewicht erhielt als der letzte. Deshalb war das Ergebnis katastrophal.

Was für eine revolutionäre Partei?

Es wäre eine grobe Vereinfachung, würde man aus einer Strategie, die ein unabhängiges, vereintes und sozialistisches Kurdistan zum Ziele hat, automatisch die Schlußfolgerung ziehen, daß jetzt eine einzige Partei der kurdischen Revolutionäre aufzubauen sei.

Auch die historischen Vorläufer, an die man denken könnte, erlauben diese Schlußfolgerung nicht. Obwohl offensichtliche Unterschiede vorhanden sind, scheint uns doch die Debatte, die 1896 um die polnische Frage geführt wurde, die meisten Anhaltspunkte zu liefern. "Wenn die Polen der drei Teile Polens sich nach dem Prinzip der Nationalität für die staatliche Befreiung Polens organisieren", sagt Rosa Luxemburg damals, "warum sollen dann die verschiedenen Nationalitäten Österreichs nicht genauso vorgehen? Warum sollen sich die Elsässer nicht gemeinsam mit den Franzosen organisieren, usw.? Kurz: damit wären den nationalen Kämpfen und nationalen Organisationen Tür und Tor geöffnet. Statt der Arbeiterorganisation gemäß den politischen und staatlichen Gegebenheiten würde man dem Prinzip der Organisation nach der Nationalität huldigen, ein Vorgehen, das oft gleich am Anfang schiefgeht. Statt politische Programme, die den Interessen der Klasse entsprechen, würde man nationale Programme ausarbeiten."

Immerhin setzte sich Rosa Luxemburg in der Praxis selbst für die Unabhängigkeit ihrer Partei ein, auch wenn im Prinzip 1905 der Anschluß der polnischen Partei an die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Rußlands beschlossen wurde.

Lenin betonte, daß die Partei über die nationalen Spaltungen hinweg geeint sein müsse. Und Trotzki war für ganz rigorosen Zentralismus im Rahmen einer einzigen Partei und gegen "jegliche nationalistische Infektion". Seine Meinung nach hatte die Partei die Aufgabe, "so eng wie möglich vermittels freiwilliger Klassendisziplin die Werktätigen der verschiedenen Nationen in einer einzigen Struktur zu verbinden." Die bolschewistische Partei "lehnte es schlichtweg ab, die Parteistruktur nach dem national-föderativen Prinzip auszurichten ... Eine revolutionäre Organisation ist nicht der Prototyp des künftigen Staates, sondern nur ein Instrument, um diesen zu schaffen." (Trotzki, Geschichte der Russischen Revolution).

Dieses Prinzip kann kaum in Frage gestellt werden. Indes kann nicht abgestritten werden, daß das Proletariat der unterdrückten Nationalitäten besondere Interessen, Bedürfnisse und Bestrebungen hat, die im Rahmen einer einzigen vereinten Partei vielleicht nicht genügend zur Geltung kommen.

Was Kurdistan angeht, so liegt die Hauptschwierigkeit darin, daß man es im Befreiungskampf nicht mit einem, sondern mit vier Unterdrückerstaaten zu tun hat. Den verschiedenen Gebieten gemeinsam ist die nationale Unterdrückung; daneben gibt es aber Verschiedenheiten aufgrund des historischen Kontextes, der vergangenen Kampferfahrungen, der besonderen Bedingungen, die den Kurden in den verschiedenen Staaten auferlegt sind, sowie  aufgrund der Tatsache, daß unterschiedliche organisatorische Formen existieren. Wenn die DPK nicht als pan-kurdische Partei auseinanderbrach, so kann man das sicher vor allem ihren Führern und deren Opportunismus und Verrat zuschreiben. Aber darin kam doch auch die objektive Schwierigkeit zum Ausdruck, den kurdischen Kampf vermittels einer einzigen Partei zu führen. Für die revolutionären Marxisten ist das Problem heute umso schwieriger, als sie nur erste Ansätze einer revolutionären kurdischen Partei bilden. Die Frage muß also unter Berücksichtigung der derzeitigen Umstände diskutiert werden, ohne die strategische Ausrichtung auf eine einzige Partei der kurdischen Revolution aus dem Auge zu verlieren.

Schließlich muß auch noch ein taktischer Einwand berücksichtigt werden. Unsere strategische Parole - für ein unabhängiges, vereintes und sozialistisches Kurdistan - kann nicht in der gleichen Form von allen revolutionären Marxisten vorgebracht werden. Die türkischen, iranischen und irakischen revolutionären Marxisten müssen den Akzent auf den Kampf um Selbstbestimmung und Unabhängigkeit legen; ob das kurdische Volk aber in einem einzigen Staat vereint und ob es sozialistisch sein will, das hat es nur selbst im Kampf zu entscheiden. Die kurdischen revolutionären Marxisten stellen zwar die Forderung nach Unabhängigkeit in der Einheit auf den ersten Platz, verschweigen aber dabei nicht, daß es ihnen letztlich um die Errichtung eines kurdischen Arbeiterstaates geht. Sie führen aus, daß eine wirkliche Unabhängigkeit, eine wirkliche Vereinigung nur möglich ist durch einen Kampf, dem die Dynamik der permanenten Revolution innewohnt, sie knüpfen aber an die Forderung nach Unabhängigkeit keine Bedingungen. Sie suchen die Einheit mit allen Kräften, die für dieses Ziel kämpfen.

Livio Maitan, April 1982

aus; Quatrième internationale, Nr. 9, Juli-September 1982.



İsmail Besiki
Wir wollen frei und Kurden sein
Einleitung

In der Resolution der Vollversammlung der UNESCO vom 27. November 1978 zum 100. Jahrestag der Geburt von Atatürk wird festgestellt, Atatürk habe den ersten nationalen Befreiungskampf gegen Imperialismus und Kolonialismus begonnen und zum Erfolg geführt. Es heißt dort, Atatürk habe "den unterdrückten, den versklavten Völkern des Ostens den Weg zur Befreiung gewiesen". "Kemal Atatürk hat den Befreiungskampf nicht allein für das türkische Volk geführt. Er hat das Ziel, den unterdrückten Völkern, den versklavten Völkern des Ostens den Weg zu zeigen. Er wünschte von ganzem Herzen, daß sie sich aus der Knechtschaft befreiten und als freie, unabhängige Völker organisierten. Das war das Grundziel seines Kampfes gegen Imperialismus und Kolonialismus" , heißt es da. Es wird auch betont, daß Atatürk dieses Ziel erreicht habe. Die geknechteten und versklavten Völker dieser Erde, die unterdrückten Völker seien dank der Erleuchtung und des Bewußtseins, das sie durch Atatürk erhalten hätten, eines nach dem anderen zu Freiheit und Unabhängigkeit gelangt.

Die Unesco ist eine internationale Organisation mit dem Ziel, der Gerechtigkeit und dem Recht Geltung zu verschaffen und die demokratische Lebensfreiheit durch Erziehung, Wissen und Kultur zu sichern. Sie bemüht sich, den Menschenrechten, der Freiheit und der Völkergleichheit Leben zu verleihen. Sie versucht, diesen Grundsätzen im politischen Leben der Gesellschaften Geltung zu verschaffen. Vorrangiges Ziel der Unesco ist es, die Teilnahme aller in diesem Lande lebenden Bürger an der Kultur zu gewährleisten. Sie macht bedeutende Anstrengungen, diesen Grundsatz im ökonomischen, gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Leben zum Durchbruch zu bringen. Es ist wichtig, der politischen Gesellschaftssstruktur die zivile Gesellschaft entgegenzusetzen und ihre Fortentwicklung zu verstärken. Nur so wird die reiche Entfaltung des menschlichen Innenlebens, die Schaffung und Entwicklung der Rechte und der Autonomie der Menschen der politischen Gesellschaft, das heißt dem Staat gegenüber, möglich.

Die Unesco hat das Ziel, die Kultur der Menschheit zu schützen und zu entwickeln. Sie versucht, zu den Grundelementen der kulturellen Ursprünge hinabzusteigen und die Weltkultur zu bereichern. Daher gilt auch als unverzichtbares Ziel der Unesco, die Zusammenarbeit und Solidarität zwischen den Menschen und den Völkern zu entwickeln und zu stärken.

In Wahrheit sind die Erkenntnisse, die in dem Beschluß der Unesco zum 100. Geburtstag Atatürks zum Ausdruck kommen, keine wissenschaftlichen Erkenntnisse. Sie beinhalten Ideologie. Sie sind die Zustimmung zur offiziellen Ideologie, die auf der Lüge, nämlich der Ideologie des türkischen Staates, basiert. Und so werden sie von der konkreten Wirklichkeit, vom Leben widerlegt, stellen sich als falsch heraus. Das ist zweifellos ein tiefer Widerspruch für die Unesco, deren Ziel es ist, durch Bildung, Wissenschaft und Kultur das Ideal der Vereinten Nationen zu verwirklichen. Es ist sehr wichtig, das öffentlich zu machen.

Es gibt auf der Welt immer Persönlichkeiten, die die Geschichte welchen Gebietes, Volkes oder Staates auch immer tief geprägt haben. Sie mögen Offizier, Politiker, Parteiführer, Staatsoberhaupt, Guerillaführer oder sonst etwas sein. Die Geschichte liefert bezüglich solcher Persönlichkeiten zweifelsohne richtige Einschätzungen. Deshalb nimmt sie sich mit dem Gedankengut dieser Leute auch den Inhalt ihrer Aktivitäten vor. Ohne Berücksichtigung dieser beiden Kategorien gibt es keine fundierte, dauerhafte und wissenschaftliche Einschätzung.

Auch Atatürk ist eine von diesen Persönlichkeiten. Er hat die Geschichte des Nahen Ostens tief mitgeprägt. Er hat die Geschichte des türkischen Volkes, des kurdischen Volkes, des türkischen Staates und von Staaten des Nahen Ostens wie Iran, Irak, Syrien tief beeinflußt. Er nahm auch Einfluß auf die Weltgeschichte. Und ohne Zweifel darf man bei einer Einschätzung Atatürks nicht nur seine Gedanken und Ideen, seine Schriften und Reden berücksichtigen. Das ist völlig unzureichend. Und wie es unzureichend ist, ist es auch falsch. Ein solches Vorgehen ist auch weit davon entfernt, die Fakten und die Beziehungen der Fakten untereinander zu erhellen. Wichtig ist, den Inhalt von Atatürks Taten zu untersuchen. Daher muß man Atatürks Schriften und Reden unbedingt im Zusammenhang mit seinen Taten berücksichtigen. Und zusammen einschätzen.

Atatürks wichtigste historische Tat ist der Krieg von 1919-1922. Und die Partei, die er gegründet hat (die Republikanische Volkspartei). Und der Staat 'Republik Türkei', an dessen Gründung er großen Anteil hatte. Atatürks historische Taten müssen als Einheit mit seinen Gedanken gewertet werden. Wir werden in dieser Schrift vor allem das Problem Kurdistan berühren. Das heißt, wir werden Atatürks Taten und Gedanken vor allem in Hinblick auf das Problem Kurdistan hin einschätzen. Indem wir, sei es nun bei der Analyse und Einschätzung seiner Gedanken oder dem Inhalt seiner Taten, die faktische Existenz des kurdischen Volkes, die faktische Existenz Kurdistans als eine Grundtatsache vor Augen führen. Kurz, wir werden seine Gedanken in Bezug auf seine historische Vorgehensweise gegen Kurdistan einschätzen.



I. Die Zerstückelung Kurdistans

Imperialistische Teilung, die Anwendung der Teile-und-herrsche-Politik gegenüber dem kurdischen Volk und Atatürk

Atatürk sagte im März des Jahres 1933 folgendes: "...Seht die Sonne, die gerade im Osten aufgeht. Wie ich heute am Horizont die Sonne aufgehen sehe, so sehe ich auch die Völker des Ostens erwachen. Es gibt noch viele Brudervölker, die zur Freiheit und Unabhängigkeit drängen. Ihre Wiedergeburt wird auf Fortschritt und Wohlstand gerichtet sein. Diese Völker werden alle Schwierigkeiten, alle Hindernisse überwinden und die Freiheit erlangen, die auf sie wartet.

Kolonialismus und Imperialismus werden vom Erdboden verschwinden, und es wird ein Zeitalter anbrechen, wo ohne Ansehen von Farbe, Religion und Rassenunterschiede Harmonie und Zusammenarbeit herrschen."

Betrachtet man diese Gedanken, kann man leicht behaupten, Atatürk sei ein Gegner von Imperialismus und Kolonialismus gewesen. Atatürk betont, daß alle unterdrückten Völker, alle in Abhängigkeit lebenden, geknechteten und versklavten Völker im Osten und auf der ganzen Welt zu Freiheit und Unabhängigkeit gelangen werden. Daß er die Anstrengungen dieser Völker, zu Freiheit und Unabhängigkeit zu gelangen, von ganzem Herzen unterstütze. "Imperialismus und Kolonialismus werden vom Erdboden verschwinden, die Unterschiede von Religion, Sprache, Hauptfarbe zwischen den Menschen und Völkern werden vergehen", heißt es da.

Zum Verständnis und zur Einschätzung Atatürks sind diese Gedanken unzureichend. Atatürk bietet kein gutes Beispiel für solche Grundwerte. Er hat auch Taten vollbracht. Deren Inhalt muß man verstehen und einschätzen. Deswegen ist es wichtig, seine geschichtlichen Taten zu kennen und öffentlich zu machen.

Während des Ersten Weltkrieges und am Kriegsende fanden sehr wichtige Ereignisse, die mit der Kurdistanfrage zusammenhängen, statt. Die Teilung und Zerstückelung Kurdistans, die …

 




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