TOPKAPI - HARRAN EINFACH
Tausende Menschen im Feuer
Der Fahrer beschleunigt. Rüttelt an einer dünnen Eisenstange. Auf dem Pedal ein alter Schuh. Kolben bewegen sich auf und nieder. Menschen, vor Hunderttausenden Jahren lebendig, sind gleichsam mit den Wäldern Petroleum geworden. Jetzt verbrennen sie in den Zylindern. Vor uns die Lichter der Stadt. Der alte Schuh entfernt sich vom Gaspedal. Das Feuer, darin Tausende Menschen verglühen, hört für Sekunden zu brennen auf. Vor uns die Mauern von Topkapi. Ihre Öffnung ist breiter als hoch. Einst stürmten das winzige Loch, von Mehmet dem Eroberer geschlagen, Soldaten mit Schwert und Schild. Kanonenschüsse höhlten das Mauerwerk. Heute brandet der Westen an, bringt das byzantinische Gemäuer zum Einstürzen. Vor Jahren gaben wir auf derselben Straße meinem Vater das letzte Geleit. Gräber, so weit das Auge sah. In letzter Zeit verfielen sie allmählich. Tote, die nie gelebt haben, mach dem Sterben Verweste, Trauernde, an ihren Gräbern kauernd, vorn- oder hintenüber gekippte Grabsteine wiesen unserem Zug den Weg. Daran muß ich denken, während ich aus dem Kleinbus klettere. Ich schaue mich um. Rechts die Anatolien-Garage. Hunderte Autobusse. Als ob die Totenschädel den parkenden Wagen Härte verliehen. Oder als ob die Fahrzeuge, wie Öl umeinander- und davongleitend, sich auf j weißem, aus Totengebeinen gemischtem Asphalt fortbewegten. Ich wende meinen Kopf zurück zur Mauer von Topkapi. Sie grinst wie ein kariöses Gebiß mit einem einzigen heilen i Goldzahn. Denn hinab Richtung Yedikule ziehen sich nur niedrige, zerfallene Ausläufer. Vielleicht, rede ich mit mir selbst, lag einer einst dort in einer Mauerhöhle und schlief, im Schatten eines Baumes, neben seinem Pferd. Auf einmal schleichen Räuber heran. Daß der Besitzer im Schlaf liegt, ist ihnen günstig. Sie töten das Pferd mit einem Streich und füllen sein Fleisch in ihre Säcke. Als der Besitzer erwacht, sieht er ein Pferdeskelett, mit dem Halfter noch an den Baum gebunden, dicht bei der Mauer von Topkapi, unter der Tausende Wagen hinwegfahren …
Türkei: auf Glas geschrieben
„Ankara! Abfahrt sofort!“ „Mercedes 302 nach Tokat!“ „Apollo, Luftfederung! Ankara, Adana, Mara?.. .“ „Eski?ehir! Los geht’s!“ „Fahr mit Widder, Bruder!“ „Mit Saranlar nach Konya!“ „Einmal Aran, Izmir über Dardanellen.“ „Bitte sehr. Ein Fahrschein für den Herrn.“ Winzige Firmenbüros. Sie haben die ganze Türkei an die Fenster geschrieben. Ich bleibe stehen, suche auf den Scheiben Gaziantep. Ein paar Männer hängen sich an mich. Wieder Stimmengewirr. „Harput ist angekommen.“ „Was wünschen Sie noch, meine Dame? Dieser fährt sofort, Van ohne Umweg ...“ „Wohin?“ „Nach Antep“, sage ich. „Antep - Endstation?“ fragt ein anderer. „Nein, weiter nach Urfa“, sage ich. „Von da nach Harran.“ „Dann mußt du Stolz nehmen.“ „Ich will noch ein paar Tage in Nizip bleiben.“ „Antep? Herr-der-Weiden, Sentur, Maz, Taurusnuß, Schnell-und-sicher .. .“ Ich folge einem der Burschen. „Einmal Antep für den Herrn!“ ruft er beim Eintritt ins Büro. „Heute abend?“ fragt der Fahrscheinverkäufer. „Ja“, sage ich. Er schlägt den Sitzplan auf. „Platz 27, oder 35.“ „Möchte ich nicht. Ist hier nicht frei?“ Ich zeige auf Platz 9. „Nein, leider. Daneben sitzt eine Frau. Den kann ich nicht geben. Wir alle haben schließlich Mutter und Schwester.“ „Haben wir“, sage ich, „haben wir. Dann muß ich. mich woanders umsehen.“ Die Jäger mir auf den Fersen. „Wir fahren Magirus, Luftfederung, vorn und (hinten kein Unterschied. Bist du schon Flugzeug geflogen?“ Ein Neuer mischt sich ein: „Paß auf, wenn du eine andere Firma nimmst, landest du noch im Büssing. Laß den mal übers Hochland von Konya rumpeln, da merkst du, was los; ist. Hopla Hanya, hopla Konya! Die Fenster klappern wie eine Schellentänzerin!“ „MAN!“ erkläre ich, will auch nicht zurückstehen. „Ein starker Wagen! Besonders der 575!“ „MAN fährt die Strecke nicht.“ Ich suche von neuem die Scheiben ab. Istanbul, Ankara, Antep ... Ins nächste Büro ...
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